Der unehrbare Beruf eines Scharfrichters in Görlitz
Da wieder viel über die Geschichte des Scharfrichters in Görlitz und auch über den frühmodernen Ständestaat am Dienstag, 11. Februar 2014, um 17 Uhr im Ratsarchiv zu erfahren ist, möchte ich die Interessierten unter Euch mit diesem Beitrag kurz auf das Thema einstimmen.
Das blutige Gewerbe des städtischen Henkers erweckte schon immer aus den verschiedensten Gründen ein Interesse bei einem breiten Publikum. Allerdings erfährt aus den Görlitzer Akten, dass die Aufgabe des Henkers nur zu einem kleinen Teil so schreckliche Verrichtungen wie peinliche Befragungen (Folter), Leibesstrafen oder Hinrichtungen ausmachten. Sein Broterwerb verdiente er sich hauptsächlich damit, totes Vieh aus der Stadt und dem Umland zu schaffen. Die Felle, Knochen (Leim) und das Fett (Unschlittkerzen = Kerzen aus minderwertigem Talg) durfte er verwerten.
Auch war er dafür verantwortlich, dass seine Gehilfen aus den Gassen alles “Ungeziefer und alle stinkenden Materien“ wegschaffen und die Abtritte auf dem Rathaus räumen. Aber der Scharfrichter war auch “Hundeschlager”. Herumstreuende Hunde fing er ein, erschlug sie und machte “Hundeschmalz” aus ihnen, eine Salbe für hinkende Pferde, die ihn einen guten Zuverdienst einbrachte.
Der bekannteste Görlitzer Scharfrichter war wohl der von 1602 – 1694 lebende Lorenz Straßburger. Durch seinen täglichen Umgang mit Tieren hat er sich umfangreiche anatomische Kenntnisse angeeignet, die ihn zu einem ausgezeichneten Barbier und Chirurg befähigten. Und dennoch, der Status des Scharfrichters blieb der eines unehrenhaften Berufes, der gesellschaftlich auf der untersten Stufe angesiedelt war. Er musste einen grün gefärbten Hut tragen, Zutritt zu Weinkeller und Bierhäuser blieben ihm versagt.
Vor 370 Jahren aber geschah etwas noch nie Dagewesenes. Der 1592 geborene Scharfrichter Valentin Kühne – auch er war ein hervorragender Arzt — starb ab 13. Februar 1644. Sein Leichnam wurde im Scharfrichterhaus am Finstertor aufgebahrt. Anschließend wurde er in einer Begräbnisprozession, angeführt von den Gymnasiasten, durch Görlitz geführt. Viele Handwerker und Ratsdiener wiesen dem Verblichenen ihre Ehre, indem sie dem Sarg folgten. Auch zahlreiche fremde Scharfrichter in kostbaren Mänteln befanden sich im Trauerzug, der sich zur Klosterkirche bewegte, wo der Oberpfarrer eine feierliche Leichenpredigt hielt.
Eigentlich war dieser Vorgang ungeheuerlich. Doch die Witwe des Verstorbenen hat den Stadtrat ersucht, die Prozession zu erlauben. Und tatsächlich, der Rat gestattete erstmals einen bürgerlichen Trauerzug für einen Mann mit einem als unehrbar geltenden Beruf. Dass vor und nach der Predigt an der Kirchentür gesungen wird und das die Waageknechte wie bei ehrbaren Bürgern den Sarg tragen, diese Bitten wurden allerdings nicht erfüllt.
Besonders die außerordentliche Kunst der Scharfrichter Valentin Kühne und Lorenz Straßburger als Wund- und Rossärzte machten sie beim Adel und vermögenden Bürgertum sehr beliebt. Aber obgleich beide sehr vermögend waren, hätte kein Handwerker seinen Kindern gestattet, sich mit dem Kind eines Scharfrichters zu vermählen. So blieb es nicht aus, dass sich in Sachsen, Schlesien, Böhmen und der Oberlausitz eine enge familiäre Dynastie der Scharfrichter herausbildete.
Quellen:
Ratsarchivar Siegfried Hoche vom Ratsarchiv Görlitz
Henkermuseum Sissach