100 Jahre Schullandheim Barkhausen

Für Gene­ra­tio­nen von Bre­mer­ha­ve­ner Schü­lern ist das geschichts­träch­ti­ge Schul­land­heim Bark­hausen ein Ort vol­ler Erin­ne­run­gen. Zahl­rei­che Gäs­te­bü­cher geben dar­über Aus­kunft, wie prä­gend die unver­gess­li­chen Klas­sen­fahr­ten für die Jugend­li­chen waren. 

Schullandheim Barkhausen

Clamor Ehlert wohn­te in der Bre­mer­ha­ve­ner Bogen­stra­ße 17 und war Rek­tor der nahe­ge­le­ge­nen Goe­the­schu­le in der Grenz­stra­ße. Das Schul­ge­bäu­de gibt es schon lan­ge nicht mehr. Und nach dem Tode des Rek­tors geriet auch sein Name lang­sam in Ver­ges­sen­heit. Aber sei­ne Idee lebt wei­ter – das Schul­land­heim Barkhausen.

Das Schul­land­heim Bark­hausen liegt im 170 Kilo­me­ter ent­fern­ten Weser­berg­land. Dort, wo die Hun­te durch das Wie­hen­ge­bir­ge fließt, fin­det man die Dör­fer Bar­hau­sen und Lin­ne. Clamor Ehlert erblickt im Jah­re 1869 in Lin­ne das Licht der Welt und erlebt in die­ser Idyl­le glück­li­che Kind­heits­ta­ge. Als er nach Bre­mer­ha­ven zieht, um hier sein Lehr­amt anzu­tre­ten, lässt er sei­ne Kon­tak­te im Wie­hen­ge­bir­ge nicht abreißen.

Anfang des Jah­res 1917 erfährt Clamor Ehlert, dass die Pfar­rei in Bark­hausen ver­kauft wer­den soll. Die alte Dorf­pfar­rei befin­det sich auf einem 18.000 Qua­drat­me­ter gro­ßem Grund­stück mit einem üppi­gen Obst­baum­be­stand. Schul­di­rek­tor Clamor Ehlert hat die Idee, das 1780 erbau­te Pfarr­haus mit­samt dem gro­ßen Grund­stück zu erwer­ben und einem neu­en Zweck zuzu­füh­ren – aus dem Pfarr­haus soll ein Jugend­heim für Bre­mer­ha­vens Schü­ler wer­den. Die Stadt­kin­der sol­len das Land ken­nen­ler­nen, Pflan­zen- und Tier­ar­ten ent­de­cken, Ber­ge und Fluss­tä­ler erkun­den und mit Leib und See­le einen inten­si­ven Kon­takt zur Natur erleben.

Schullandheim Barkhausen

Drei Jah­re bevor die­se Idee in Clamor Ehlert her­an­reift, hat der letz­te Deut­sche Kai­ser in den Ers­ten Welt­krieg geführt. 1917 ist die Ver­sor­gung mit Lebens­mit­teln zusam­men­ge­bro­chen – in Bre­mer­ha­ven wird gehun­gert. Clamor Ehlert hat zwei Söh­ne ver­lo­ren – Opfer des Krie­ges, der nun schon fast drei Jah­re wütet.

Das Glück der eige­nen Kind­heit und die Trau­er um den Tod sei­ner Söh­ne trei­ben ihn an, für die Bre­mer­ha­ve­ner Jugend etwas Blei­ben­des zu schaf­fen. 15.000 Reichs­mark möch­te der Kir­chen­vor­stand von Bark­hausen für das Grund­stück mit der dar­auf ste­hen­den 130 Jah­re alten Pfar­rei haben. Soviel Geld hat Clamor Ehlert nicht zur Ver­fü­gung. Allei­ne kann er sei­ne Idee nicht realisieren.

Schullandheim Barkhausen

In Bre­mer­ha­ven gibt es seit 1884 den “Ver­ein zur För­de­rung des Volks­wohls”. Er betreibt in der Deich­stra­ße einen Kin­der­hort, in der Schif­fer­stra­ße ein Arbei­ter­heim, eine Volks­kü­che in der Geest­e­mün­der Anker­stra­ße und das Mari­en­bad. Da die Stadt am Ver­ein betei­ligt ist, trägt Clamor Ehlert sei­ne Idee Ober­bür­ger­meis­ter Wal­de­mar Becke vor. Am 4. März 1917 fährt eine Dele­ga­ti­on der Stadt nach Bark­hausen, besich­tigt die Lie­gen­schaf­ten und kehrt sicht­lich beein­druckt heim.

Am 12. Okto­ber 1917 wird die “Wie­ting-Stif­tung” aus dem Nach­lass des Kauf­manns Ernst Wie­ting gegrün­det und mit einem Stif­tungs­ka­pi­tal von 25.000 Reichs­mark aus­ge­stat­tet. Zweck der Stif­tung ist die “Errich­tung eines Jugend­hei­mes zur Erin­ne­rung an die im Welt­krieg gefal­le­nen Söh­ne Bre­mer­ha­ve­ner Eltern”. Die Ver­wal­tung des Hei­mes soll der “Ver­ein zur För­de­rung des Volks­wohls” über­neh­men. Die Stadt Bre­mer­ha­ven ver­pflich­tet sich, den Betrieb des Hei­mes mit jähr­lich 1.000 Reichs­mark zu bezuschussen.

Auch in der Bevöl­ke­rung erfährt Ehlert viel Zustim­mung und sam­melt uner­müd­lich Spen­den ein.  End­lich kann die Pfar­rei gekauft wer­den. Am 25. Juni 1918 öff­net das Schul­land­heim Bark­hausen sei­ne Türen für die ers­ten Besu­cher. Zur Ein­wei­hung trifft Clamor Ehlers mit 31 Bre­mer­ha­ve­ner Schü­lern ein. Für die meis­ten Kin­der war es die ers­te Ferienreise.

Kom­fort gibt es nicht. Die Toi­let­ten bestehen aus Plumps­klos zwi­schen Scheu­ne und Hüh­ner­stall. Das Was­ser wird aus dem Brun­nen gepumpt und in Ton­krü­ge ins Haus getra­gen. Die Zim­mer sind mit har­ten Feld­bet­ten aus­ge­stat­tet, dazu aus­ran­gier­te Mili­tär­spin­de und eiser­ne Waschgestelle.

Schullandheim Barkhausen

Wäh­rend ganz Deutsch­land Hun­ger lei­det, wer­den die ers­ten Besu­cher mor­gens, mit­tags und abends in der Die­le mit Zwie­back und Brot, Milch­sup­pe und Kek­sen, Grau­pen, Kohl und Steck­rü­ben, Sau­er­kraut, Salz­boh­nen und sonn­tags manch­mal mit Fleisch ver­wöhnt. Anna Kne­fel­kamp ist die ers­te “Heim­mut­ter” und bleibt es 40 Jahre.

Vier Wochen wer­den die Kin­der ver­wöhnt und neh­men zwei bis drei Kilo zu. “Wir wur­den hier herr­lich ver­pflegt,” ist im Gäs­te­buch zu lesen. Und ein 11-jäh­ri­ger Jun­ge ver­kün­det dort, “fast über fünf Kilo” zuge­legt zu haben.

Als am 18. Sep­tem­ber 1944 Bre­mer­ha­ven bom­bar­diert wird, ster­ben vie­le Kin­der in den ver­meint­lich siche­ren Luft­schutz­räu­men. Aber eini­ge weni­ge Schul­kin­der, fast alle neun Jah­re jung, sind in Sicher­heit: Sie hal­ten sich gera­de im Schul­land­heim Bark­hausen auf. Auch wäh­rend des Zwei­ten Welt­krie­ges besuch­ten Schul­klas­sen regel­mä­ßig das Heim.

Im Juni 1988 wird drei Tage lang das Bark­hausen-Jubi­lä­um gefei­ert. In 70 Jah­ren waren hier 70.000 Schü­ler zu Gast. Doch das Inter­es­se der jun­gen Leu­te an die länd­li­che Idyl­le schwin­det. Es droht die Schließung.

Schullandheim Barkhausen

Das Schul­land­heim Bark­hausen liegt im gleich­na­mi­gen Orts­teil Bark­hausen in der Gemein­de Bad Essen. Es wur­de bereits mehr­mals moder­ni­siert und bie­tet heu­te 64 Bet­ten an, ver­teilt auf vier Ein­zel­zim­mer und zehn Mehr­bett­zim­mer mit 4 – 10 Bet­ten. Mitt­ler­wei­le fah­ren aus dem gan­zen Bun­des­ge­biet Grup­pen in das Wiehengebirge.

Scha­de, dass das einst städ­ti­sche Schul­land­heim in den Bre­mer­ha­ve­ner Schu­len kaum noch Beach­tung zu fin­den scheint. Im ver­gan­ge­nen Jahr bega­ben sich nur noch acht Bre­mer­ha­ve­ner Klas­sen an die gemäch­lich dahin­plät­schern­de Hun­te, um die Dino­sau­ri­er­fähr­ten zu erkunden.

Ehe­ma­li­ge Bre­mer­ha­ve­ner Schü­ler dage­gen schwär­men noch heu­te von ihrer Klas­sen­fahrt in das Schul­land­heim Barkhausen.

Mike J. schwärmt: “Ich war drei­mal da, ein­mal von der Grund­schu­le (Goe­the­schu­le), ein­mal mit der OS (Pau­la-Moder­sohn-Schu­le) und ein­mal mit der Real­schu­le (auch Pau­la). Dino-Spu­ren, Flie­ger­quel­le, Extern-Stei­ne, Her­manns-Denk­mal, Adler­war­te, Jun­ker­haus, Bür­ger­meis­ter­he­xen­haus… Viel wan­dern, Son­nen­schein, Regen, kur­ze Näch­te — gute und schlech­te Erin­ne­run­gen. Das waren noch Zeiten!”

Schullandheim Barkhausen

Auch Lin­da Astrid B. ist im Schul­land­heim Bark­hausen gewe­sen: “Wir (Gaußschule/Herr Scholz), 5. oder 6. Klas­se, fuh­ren zusam­men mit zwei ame­ri­ka­ni­schen Schul­klas­sen. Die haben immer das Lied ‘Do, re, mi, fa, so, la,ti,do’ gesun­gen. Es wur­de viel gewan­dert, in der Hun­te Was­ser­müh­len gebaut und vom Leh­rer Ärger bekom­men, weil es zu ‘kalt’ für uns wäre. Wan­de­rung zu den Dino­sau­ri­er­spu­ren, Exstern­stei­ne erklom­men, Nacht­wan­de­run­gen. Das Adler­horst war lei­der geschlossen.”

Ein wei­te­rer Schü­ler erin­nert sich, dass er wohl 1974 dort gewe­sen ist. Die ver­stei­ner­ten Dino­sau­ri­er­spu­ren haben ihn fas­zi­niert. Aber er und sei­ne Schul­ka­me­ra­den zwei­fel­ten doch sehr die Echt­heit der Spu­ren an: “Damals waren wir Kids uns ziem­lich sicher, dass die “gefaket” waren. Die Plat­te mit den Spu­ren rag­te ja auf­recht aus dem Boden. Wel­cher Dino läuft die Wän­de hoch, frag­ten wir uns.”

Auch Horst-Die­ter B. denkt ger­ne an sei­ne Zeit im Schul­land­heim Bark­hausen zurück: “Wir waren 1963 dort, und unse­re Band ‘The Wuls­dor­fer Beat­les’ hat­te ihren ers­ten Auf­tritt. Damals muss­te jede Klas­se einen bun­ten Abend bestrei­ten. Unser Bei­trag war eben ein Auf­tritt der Fab Four, an den ich mich aller­dings nur sche­men­haft erin­nern kann. ‘I want to hold your Hand’ war gera­de her­aus gekom­men. Früh übt sich, denn aus die­ser Trup­pe ent­stand 2 Jah­re spä­ter eine klei­ne unschein­ba­re Band mit dem ‘Namen Black Beats’.”

Schullandheim Barkhausen

Regi­na Sch. weiß noch heu­te, wie ent­täuscht alle waren, als sie mit der 5. oder 6. Klas­se eine hal­be Tages­wan­de­rung zu den Flie­ger­quel­len unter­wegs war, um dann nur einen klei­nen Bach vorzufinden.

Im Jah­re 1975 fuhr Sil­ke St. mit der 5. Klas­se (Klas­sen­leh­rer Herr Schul­ze) der Gorch-Fock-Schu­le in das Wie­hen­ge­bir­ge: “Ich erin­ne­re mich an ein Mäd­chen­zim­mer zu sechst und unzäh­li­ge Mücken, die Frau Schul­ze (Ehe­frau des Klas­sen­leh­rers) immer mit Essig­was­ser behan­del­te, ohne gro­ßen Erfolg; der Juck­reiz war uner­träg­lich. Zu den Mahl­zei­ten gab es immer Hage­but­ten­tee, den ich seit damals nicht mehr getrun­ken habe. Lus­tig waren die Gemein­schafts­du­schen der Mädels mit Frau Schul­ze. Wir sind auch immer viel gewan­dert; am liebs­ten moch­te ich die Nacht­wan­de­run­gen mit Lager­feu­er, wo Würst­chen am Stock gegrillt wurden.”

Schullandheim Barkhausen

Vie­le wei­te­re Schü­ler aus Bre­mer­ha­ven erin­nern sich ger­ne an die Fahrt in das Schul­land­heim Bark­hausen. Eri­ka Sp. kann sich kaum noch erin­nern: “Ich war auch da, aber das war so lan­ge her, die Erin­ne­run­gen sind anschei­nend begra­ben. Es war aber eine schö­ne Zeit.” Eri­ka hat ganz tief gegra­ben und ein paar schö­ne Bil­der aus ihrem Kar­ton ans Tages­licht gebracht.

Arthur T. war bereits in den 1960er Jah­ren mit sei­ner Klas­se von der Pes­ta­loz­zi­schu­le dort (Klas­sen­leh­rer war Herr Scheidt­mann). Und Andre­as B. war Mit­te der 1970er Jah­re mit sei­ner Klas­se im Schul­land­heim Bark­hausen und hat mir eine Ansichts­kar­te von damals zur Ver­fü­gung gestellt:

Schullandheim Barkhausen

In die­sem Jahr kann das Schul­land­heim Bark­hausen sein 100-jäh­ri­ges Bestehen fei­ern. Die Zei­ten waren nicht immer ein­fach. 1996 woll­te die Stadt Bre­mer­ha­ven die belieb­te Ein­rich­tung end­gül­tig schließen. 

1999 kau­fen Ingrid und Karl Ehler­ding der Stadt Bre­mer­ha­ven das Schul­land­heim ab, nach­dem sie zuvor erfolg­los ver­sucht haben, das tra­di­tio­nel­le Haus durch Geld­spen­den zu ret­ten. Im Jah­re 2000 über­ga­ben sie die Trä­ger­schaft in die neu gegrün­de­te Ehler­ding-Stif­tung. Die Stif­tung ließ das Schul­land­heim umfang­reich umbauen.

Quel­len:
A. Kro­ne: Die Ret­ter des Schul­land­hei­mes in Bark­hausen, Nord­see-Zei­tung v. 4.8.2006
A. Kro­ne: Bark­hausen: Die gute Idee in schlech­ter Zeit, Nord­see-Zei­tung v. 22.7.2009
T. Brock­mann: Herr­li­che Tage in Bark­hausen, Nord­see-Zei­tung v. 16.6.2018

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