Kategorie: Görlitzer StadtBILD

Das ist alles nur geklaut

Das ist alles nur geklaut”, singt die Leip­zi­ger Band “Die Prin­zen” 1993. Aber geklaut wur­de schon 1867, wie die Chro­nik des dama­li­gen “Hotels zum Prin­zen Fried­rich Carl“ (spä­ter Hotel „Mono­pol“) in Gör­litz , Post­platz 9, zu berich­ten weiß. Hotel „Monopol“ in Görlitz

1867 wur­de das Hotel näm­lich von einer Grä­fin von Pleß besucht, die dem Per­so­nal nicht unbe­kannt war, da die­se bereits frü­her schon ein­ma­lin die­sem Haus logiert hat­te. So prüf­te man auch nicht der Grä­fin Iden­ti­tät, zumal die Frau von Pleß auch “von ziem­lich anstän­di­gem Äuße­ren” war.

Innenansichten des Hotel „Monopol“ in Görlitz

Frau von Pleß war in Gör­litz ganz umtrieb­sam. Ein Schuh­ma­cher bekam den Auf­trag, ein Paar Stie­fel­chen anzu­fer­ti­gen, die der Hotel­die­ner spä­ter abhol­te. In einem Spiel­zeug­la­den order­te sie für 32 Taler Galan­te­rie­wa­ren, in einem klei­nen Kauf­haus auf der Stein­stra­ße ließ sie zur spä­te­ren Abho­lung eine grö­ße­re Men­ge Apfel­si­nen bereitstellen. 

Spielwarenladen Wientapper

Eines guten Tages hat­te die Grä­fin das Hotel unbe­merkt ver­las­sen, Hotel und Läden blie­ben auf ihre unbe­zahl­ten Rech­nun­gen sit­zen. Der Hotel­be­sit­zer recher­chier­te den Ver­bleib des betrü­ge­ri­schen Hotel­gas­tes, die Spur führ­te nach Kohl­furt. Dort konn­te die Betrü­ge­rin von der Poli­zei fest­ge­nom­men wer­den. Die Per­so­nen­über­prü­fung ergab, dass Frau Grä­fin bei­lei­be nicht von Adel war. Ihr wirk­li­cher Name ist nicht über­lie­fert.
Quel­le:
Säch­si­sche Zei­tung vom 26. Janu­ar 2013

Görlitzer Winterzauber in Vorkriegszeiten — vor 1914 und vor 1939

Der Gör­lit­zer His­to­ri­ker Herr Dr. Ernst Kretz­schmar schrieb Erin­ne­run­gen über die Win­ter in den Zei­ten vor den bei­den Welt­krie­gen 1914 und 1939 nie­der, die in  der Stadt­BILD im Dezem­ber 2009 ver­öf­fent­licht wurden.

Weihnachtsbaum auf dem DemianiplatzVie­le Leser wer­den sich sicher­lich noch an die Zei­len aus Schil­lers “Lied von der Glo­cke” erinnern:

”Hol­der Glo­cke, süße Ein­tracht
wei­let, wei­let
freund­lich über die­ser Stadt!
Möge nie der Tag erschei­nen,
wo des rau­hen Krie­ges Hor­den
die­ses stil­le Tal durch­to­ben,
wo der Him­mel,
den des Abends sanf­te Röte
lieb­lich malt,
v
on der Dör­fer, von der Städ­te
wil­dem Bran­de schreck­lich strahlt!”

Marienplatz in GörlitzIn der Rück­schau erschei­nen gera­de die Jah­re kurz vor den Welt­kriegs­brän­den in freund­li­ches Licht getaucht, obwohl auch sie, wie wir wohl wis­sen, ihr Für und Wider hat­ten. Wir hör­ten dar­über von unse­ren Eltern und Groß­el­tern, die uns über die Erleb­nis­se der Kin­der und Erwach­se­nen 1913 erzähl­ten, und wir erleb­ten es als Kin­der selbst noch 1938. Zwar konn­te man in bei­den Jah­ren in den Gör­lit­zer Tages­zei­tun­gen über inter­na­tio­na­le Kon­flik­te und mili­tä­ri­sche Rüs­tun­gen lesen, aber vie­le woll­ten den Tag genie­ßen, schon gar im Advent, zu Weih­nach­ten und Neu­jahr. Die Begü­ter­ten zeig­ten nun gern, was sie sich leis­ten konn­ten an reich bestück­ten Gaben unterm Weih­nachts­baum. Auch die Ärme­ren fan­den und such­ten ihre Freu­de, oft auf­rich­ti­ger und prä­gen­der als jene.

KaisertrutzManch­mal gab es sogar schon etwas Schnee im Dezem­ber und die ers­ten Eis­blu­men an den Fens­tern. In den Neben­stra­ßen ver­brei­te­ten die Gas­la­ter­nen ihr mil­des Licht, an den Haupt­stra­ßen aber strahl­ten die gro­ßen Schau­fens­ter hell bis über die brei­te Fahr­bahn, wo die Stra­ßen­bahn tie­fe Fur­chen in das feuch­te Weiß gegra­ben hat­te. Die Sta­ke­ten­zäu­ne oder Eisen­git­ter der Vor­gär­ten hat­ten wei­ße Schnee­kap­pen auf­ge­setzt. Mei­sen und Spat­zen balg­ten sich in den Fut­ter­häus­chen, die vor den Küchen­fens­tern ange­bracht Stadthalleoder neben der Gar­ten­lau­be auf­ge­stellt waren. Schul­kin­der drän­gel­ten sich 1913 bei Straß­burg, Bar­gou oder Fried­län­ders gera­de eröff­ne­ten Kauf­haus vor den Schau­fens­tern mit Spiel­zeug­ei­sen­bah­nen, Dampf­ma­schi­nen, Sol­da­ten­fi­gu­ren und Pup­pen­stu­ben, 1938 auch vor den Läden von Zip­pel und Ditt­mann. In Haus­auf­sät­zen muss­ten die Klei­nen in der Schu­le I an der Schul­stra­ße ihre Weih­nachts­vor­be­rei­tun­gen schil­dern, weil die Leh­rer so neu­gie­rig waren, wie sie mein­ten. Hin­ter die Bil­der­rah­men in den Klas­sen­räu­men steck­te man Tan­nen­zwei­ge. Bald sah man mor­gens auf dem Schul­weg zur Annen­schu­le auf dem Wochen­markt Eli­sa­beth­stra­ße Weih­nachts­bäu­me zum Ver­kauf ausgelegt.

Ver­gli­chen mit dem heu­ti­gen Gedu­del und Gewum­mer aus den Laut­spre­chern waren die vor­weih­nacht­lich geschmück­ten StadttheaterChrist­kin­del­märk­te doch so ruhig, dass man den fri­schen Schnee unter den Fuß­soh­len knir­schen hör­te. Was man jetzt in den Markt­bu­den vor der Post oder auf dem Unter­markt fast als exo­tisch emp­fin­det – ein­hei­mi­sches Pfef­fer­ku­chen­ge­bäck, hand­ge­zo­ge­ne Ker­zen und Holz­spiel­zeug aus hie­si­gen Werk­stät­ten – war vor den Krie­gen (und erst recht danach) das Übli­che. Man nahm das Geläut der Kir­chen­glo­cken wahr und ver­nahm sogar die Tex­te vor­weih­nacht­li­cher Lie­der der klei­nen Kur­ren­de-Sän­ger. Weih­nachts­kar­ten mit hand­ge­schrie­be­nen Grü­ßen war­fen die Kin­der in die Post­brief­käs­ten, die es fast an jeder Stra­ßen­ecke gab, auch am UntermarktBahn­post­amt oder auf dem Post­platz; sie gin­gen an Tan­ten und Groß­el­tern in den Nach­bar­or­ten oder in fer­ne Gar­ni­sons­städ­te. Ansichts­kar­ten, Meis­ter­fo­to­gra­fien oder unbe­hol­fe­ne Schnapp­schüs­se über­lie­fer­ten die Stim­mung den Heu­ti­gen. Den Zau­ber abend­li­cher Spa­zier­gän­ge mit den Klas­sen­ka­me­ra­den durch den ver­schnei­ten Schel­ler­grund oder über die rut­schi­gen Trep­pen und Wege hin­auf zur Lan­des­kro­ne bewahr­te man lan­ge im Gedächt­nis. An den Weih­nachts­fei­er­ta­gen lock­te es die Fami­li­en und die Ein­sa­men 1913 zur stil­len Augus­ta­stra­ße oder 1938 zu den Neu­bau­ten an der Büch­te­mann­stra­ße, wo hin­ter den Fens­ter­schei­ben noch ein­mal die bren­nen­den Baum­ker­zen erstrahl­ten und unge­trüb­tes Fami­li­en­glück zu ver­mu­ten war.

Der rich­ti­ge kal­te Win­ter kam oft erst vor oder nach Sil­ves­ter. Es Portikusschnei­te mit­un­ter tage­lang, und es war auch weit käl­ter als heu­te. Geh­we­ge und Stra­ßen muss­ten von den Anwoh­nern beräumt wer­den. Hohe Schnee­hau­fen zogen sich zwi­schen frei­ge­hal­te­ner Abfluss­rin­ne und Stra­ßen­mit­te an den Häu­ser­fluch­ten ent­lang. Den Schnee der Haupt­stra­ßen ließ die Stadt mit Pfer­de­fuhr­wer­ken zur Eis­wie­se an der Stra­ße nach Bies­nitz brin­gen und dort zum Abtau­en abladen.

Nun zog es die Schlit­ten­fah­rer zum Block­haus und zum Wein­berg­haus zu den sanf­ten Hän­gen oder zur Luther­kir­che mit dem stei­len Abhang, die Küh­nen aber zur Lan­des­kro­ne  mit der 1910 ein­ge­weih­ten Rodel­bahn. Die Schlitt­schuh­läu­fer traf man Landeskroneauf dem Aus­stel­lungs­teich an der Ruh­mes­hal­le oder auf der Eis­bahn am Lin­den­weg. Zu einem Glas Punsch oder Grog kehr­ten die Erwach­se­nen im Wein­berg­haus ein. Die Klei­nen mit ihren klam­men Fin­gern und rot­ge­fro­re­nen Näs­chen trieb es nach Hau­se, wo man den Rücken an den war­men Kachel­ofen lehn­te und dabei die rest­li­chen Pfef­fer­ku­chen vom Weih­nachts­tel­ler unterm Weih­nachts­baum ver­drü­cken durfte.

Jun­ge Paa­re schlen­der­ten 1913 in die Varie­tés (Reichs­hof Ber­li­ner Stra­ße, Wil­helms­thea­ter hin­ter dem Waren­haus, Euro­päi­scher Hof an der Ecke Jakobstraße/Bahnhofstraße) und Kanonendenkmal1938 in eines der sechs Kinos, wo in der Wochen­schau über Win­ter­freu­den in den Alpen berich­tet wur­de. Den­noch war in den Win­ter­mo­na­ten der Blick mehr nach innen gerich­tet, auf die Fami­lie, die Freun­de und Schul­ka­me­ra­den. Man genoss die Gebor­gen­heit in der Gemein­schaft. Die Kin­der ver­gnüg­ten sich mit Kauf­manns­lä­den Kas­per­le­thea­ter und Pup­pen­stu­ben, die Älte­ren blät­ter­ten in einem Heft mit Win­ter­mo­den oder lasen einen Roman von Gang­ho­fer. Gern besuch­te man älte­re oder kränk­li­che Ver­wand­te und Freundinnen.

Die meis­ten Erin­ne­run­gen aus spä­te­ren Lebens­jahr­zehn­ten ver­blass­ten frü­her oder spä­ter, aber den Win­ter­zau­ber in der Hei­mat, vor allem in der Kind­heit, tru­gen vie­le ihr Leben lang als kost­ba­ren Schatz im Her­zen, gera­de auch in den schwe­ren Zei­ten, die dar­auf folg­ten, die zwei Welt­krie­ge und die Not­jah­re nach 1918 und 1945. Ob die Reiz­über­flu­tung durch Fern­se­hen und Inter­net und die kul­tu­rel­le Ver­fla­chung durch die ideo­lo­gi­schen Glo­ba­li­sie­rer das tie­fe Erleb­nis win­ter­li­cher Ruhe und weih­nacht­li­cher Freu­de für die nächs­ten Gene­ra­tio­nen beschä­di­gen oder gar zer­stö­ren kön­nen? Solan­ge es noch Fami­li­en gibt, liegt es an ihnen, den Kin­dern Augen und Her­zen für den Win­ter­zau­ber zu öff­nen. Denn wir Älte­ren wer­den vor allem unse­ren Eltern gera­de dafür bis zuletzt dank­bar bleiben.

Mit freund­li­cher Geneh­mi­gung des Stadt­BILD-Ver­la­ges Görlitz.

Der Deich­SPIE­GEL wünscht allen Lesern ein fro­hes neu­es Jahr 2013, Gesund­heit, Glück und Zufrie­den­heit. Dan­ke für die Treue im ver­gan­ge­nen Jahr und viel Spaß mit mei­nen Blogs im neu­en Jahr.

Das erste Weihnachtsfest nach dem Krieg — ein Fest der Hoffnung

Das ers­te Weih­nachts­fest nach dem Krieg” ist eine Erin­ne­rung an eine schlim­me Zeit, die ein Leser der Monats­zeit­schrift Stadt­BILD in Gör­litz erlebt und nun für die Aus­ga­be 12/2012 nie­der­ge­schrie­ben hat. Und die­se “Weih­nachts­ge­schich­te” möch­te ich Euch nicht vorenthalten.

Nein, lei­der funk­tio­niert mein PC nach wie vor nicht. Ich habe müh­sam mit mei­nem Smart­phone geschrie­ben, ver­zeiht mir also bit­te Schreibfehler.

Das ers­te Weih­nach­ten nach dem Krieg! Es ist auch nach bei­na­he sie­ben Jahr­zehn­ten noch deut­lich in mei­ner Erin­ne­rung gegen­wär­tig. Ein Weih­nach­ten in völ­li­ger Armut und unter dürf­tigs­ten Ver­hält­nis­sen, wie sie heu­te in Deutsch­land kaum noch vor­stell­bar sind.

Mei­ne Mut­ter ohne Mann mit drei Kin­dern, aus­ge­wie­sen aus dem Sude­ten­land. Wir hat­ten eine klei­ne Woh­nung in Klein­bies­nitz (immer­hin eine eige­ne Woh­nung!) und brauch­ten nicht in einer frem­den Woh­nung in einem abge­tre­te­nen Zim­mer unter­krie­chen. Da wir unweit der frü­he­ren Dru­cke­rei im Schat­ten der ers­ten Buchen der Lan­des­kro­ne wohn­ten, fiel es uns nicht schwer, unter dem dort ver­streut her­um­lie­gen­den Plün­de­rungs­gut eini­ges sicher­zu­stel­len, was den Grund­stock unse­rer Möblie­rung bil­de­te. Aber der ein­zi­ge Kachel­ofen in unse­rer Woh­nung mit den natür­lich ein­fach ver­glas­ten Fens­tern kam nicht an gegen die Käl­te, zumal nas­se Braun­koh­le und Holz nicht das rich­ti­ge Fut­ter für ihn waren.

Und wovon leb­ten wir in einer Zeit, in der es kei­ner­lei kom­mu­na­le oder staat­li­che Unter­süt­zung gab. Das weni­ge Bar­geld, das wir auf der Flucht geret­tet hat­ten, war bald ver­braucht. Mein sie­ben­jäh­ri­ger Bru­der ging nach lan­gen Mona­ten wie­der zur Schu­le; für mei­ne sieb­zehn­jäh­ri­ge Schwes­ter und für mich, sech­zehn­jäh­rig, stand aus finan­zi­el­len Grün­den ein wei­te­rer Schul­be­such über­haupt nicht zur Debat­te. Wir muß­ten arbei­ten, irgend­wie Geld verdienen.

Mei­ne Schwes­ter fand eine Stel­le bei einer Schnei­de­rin, bei der sie für ein paar Pfen­ni­ge Arbei­ten erle­dig­te, die jedes Mäd­chen in ihrem Alter beherrsch­te. Ich konn­te nach lan­ger Suche beim Bäcker­meis­ter Dorn in der Salo­mon­stra­ße im Sep­tem­ber eine Leh­re begin­nen. Ein wah­rer Glücks­fall in die­ser Zeit, in der Satt-essen-kön­nen ein Pri­vi­leg war. Jeden­falls war ich zuhau­se „aus dem Fut­ter“, und zu frie­ren brauch­te ich auch nicht, weder in der Back­stu­be noch in der über dem Back­ofen gele­ge­nen Schlaf­kam­mer. Wenn ich sonn­abends nach der Arbeit, meis­tens erst am Abend, nach Hau­se kam, stand mir zwar eine kal­te Nacht bevor, aber mit dem Vier­pfund­brot, das mir der Meis­ter jedes Mal mit­gab, brach­te ich drei Augen­paa­re zum Leuchten.

Mei­ne Mut­ter, die in die­ser schwe­ren Zeit sehr schnell ein gro­ßes Talent im „Orga­ni­sie­ren“ und „Tau­schen“ ent­wi­ckel­te, hat­te dann bald auch eine alte Näh­ma­schi­ne in der Woh­nung ste­hen und ver­dien­te sich mit dem Nähen und Ändern von Klei­dung etwas Geld.

So rück­te die Weih­nachts­zeit her­an, eine Zeit, in der die Frau­en die aus­ge­sto­che­nen Pfef­fer­ku­chen­plätz­chen und den Teig zur Auf­be­rei­tung der Stol­len zum Bäcker brach­ten, denn wer hat­te damals schon einen E‑Herd in der hei­mi­schen Küche? Nun könn­te man den­ken, dass in einer Zeit, in der es nicht mal das Nötigs­te zum Leben gab, kei­ne Kuchen geba­cken wur­den. Weit gefehlt. Ein schle­si­sches Weih­nachts­fest ohne Stol­len und Pfef­fer­ku­chen war undenk­bar, und so hat­ten die Haus­frau­en von dem Weni­gen, was es auf Lebens­mit­tel­kar­ten gab, schon Wochen vor­her immer etwas gespart. Aus gestop­pel­ten oder manch­mal auch stie­bitz­ten Zucker­rü­ben war in der hei­mi­schen Küche Sirup für die Pfef­fer­ku­chen gekocht wor­den. Zu Hau­se in Bies­nitz stand die Pfan­ne, in der der Rüben­saft ver­dampft und ein­ge­dickt wur­de, tage­lang auf dem Gaskocher.

Wer zu den Glück­li­chen zähl­te, kein Flücht­ling zu sein und die eige­ne Woh­nung unbe­schä­digt über den Krieg geret­tet hat­te, ging aufs Land und tausch­te wert­vol­les Por­zel­lan, über­schüs­si­ge Wäsche und alles, was sich in Tru­hen und Schrän­ken fand und nicht unbe­dingt selbst gebraucht wur­de bei den Land­wir­ten gegen But­ter, Mehl, Quark, Mohn oder Win­ter­äp­fel ein.

In den Tagen vor Weih­nach­ten muss­ten sich die Frau­en im Laden der Bäcke­rei Dorn einen Ter­min zum Brin­gen ihrer Haus­bä­cke­rei geben las­sen, denn anders war der Ansturm in der Back­stu­be nicht zu bewäl­ti­gen. Da waren mit­un­ter auch Kuchen dabei, bei denen in einer Spring­form eine Teig­mas­se aus unde­fi­nier­ba­ren Zuta­ten zusam­men­ge­rühr wor­den war, von der erwar­tet wur­de, dass sie sich mit Hil­fe der bei­gefüg­ten Hefe zu einem anseh­li­chen Kuchen ent­wi­ckeln wür­de. Doch wie lan­ge die Spring­form auch im Ofen stand, der Teig ging nicht auf, beweg­te sich nicht von der Stel­le. Ich sehe im Geis­te noch das ent­täusch­te Gesicht einer Frau vor mir, die einen sol­chen Kuchen abhol­te und die der Meis­ter Dorn teil­neh­mend frag­te, was sie denn da zusam­men­ge­mischt habe, und die dann rot wur­de und etwas von gemah­le­nen Buch­eckern flüsterte.

Auch mei­ne Mut­ter hat­te gespart und „gehams­tert“ und mir die Zuta­ten für Pfef­fer­ku­chen und einen Stol­len mit­ge­ge­ben, so dass ich unter den Augen des Meis­ters mei­ne Weih­nachts­bä­cke­rei erle­di­gen konnte.

So kam Weih­nach­ten her­an. Nun hät­te der Hei­li­ge Abend ja sehr trau­rig wer­den kön­nen, wenn mei­ne Mut­ter und wir drei Geschwis­ter allein gewe­sen wären, uns weh­mü­tig an ver­gan­ge­ne Weih­nachts­fes­te erin­nert und des Vaters, von dem wir nicht wuß­ten, wo er war, gedacht hät­ten. Und so hat­ten wir schon vor län­ge­rer Zeit mit drei Jugend­li­chen unse­res Alters aus der Nach­bar­schaft — Flücht­lin­ge oder Ver­trie­be­ne wie wir — abge­macht, uns zu Hei­lig­abend bei uns zu einer Spie­le­run­de zusam­men­zu­set­zen. Wir hat­ten zwar kein Spie­le­sor­ti­ment, wie es heu­te in jedem Kin­der­zim­mer zu fin­den ist, aber immer­hin einen Satz fran­zö­si­sche Spiel­kar­ten, mit dem wir aller­lei anzu­fan­gen wuß­ten. Mei­ne Mut­ter schloss sich unse­rer Run­de an, und wir hat­ten viel Spaß und viel zu lachen, und so stimm­ten wir auch aus vol­lem Her­zen „O du fröh­li­che, o du seli­ge, gna­den­brin­gen­de Weih­nachts­zeit…“ und ande­re Weih­nachts­lie­der an. Ja, es war eine Gna­de, dass ich wäh­rend der letz­ten Kriegs­ta­ge dem Schick­sal ent­gan­gen war, das vie­le mei­ner Jahr­gangs­ka­me­ra­den hinwegraffte.

Ich kann noch heu­te das Gefühl von Dank­bar­keit und Hoff­nung in mir wach­ru­fen, das mich damals in der weih­nacht­li­chen Run­de beseel­te. Ich emp­fand es als Gna­de, dass wir nicht mehr Krieg hat­ten, und die Hoff­nung, dass nun unser Leben in eine fried­vol­le Zeit mün­den wür­de. Die­se Hoff­nung hat mich dann auch über die Jah­re hin­weg in die Zukunft getra­gen, auch wenn der Weg sehr stei­nig war.

Viel­leicht ist es auch noch einem ande­ren Umstand zu ver­dan­ken, dass ich mich die­ses Hei­li­gen Abends noch so gut erin­ne­re. In eines der Mäd­chen, das mit in unse­rer Run­de saß, habe ich mich näm­lich damals ver­liebt. Aber es zog mit sei­nen Ver­wand­ten schon weni­ge Tage nach Weih­nach­ten wei­ter in Rich­tung Wes­ten, und so blieb mir von die­ser kur­zen Ver­liebt­heit nur die Erin­ne­rung an einen ein­zi­gen Kuss.

Mit freund­li­cher Geneh­mi­gung des Stadt­BILD-Ver­la­ges Görlitz

 

 

Geschichte der Görlitzer Peterskirche

Geschich­te der Gör­lit­zer Peterskirche

Geschichte der Görlitzer PeterskircheMäch­tig und stolz ragt unse­re alt­ehr­wür­di­ge Peters­kir­che zum Him­mel auf dem alten Burg­ber­ge der Stadt Gör­litz, und sie­ben Jahr­hun­der­te hat sie mit den Bür­gern der Stadt als Trös­te­rin, Erbaue­rin und Ermah­ne­rin Freud und Leid geteilt. Hei­li­ge Scheu umfängt uns, wenn wir den alten, wun­der­vol­len Bau mit sei­nen unzäh­li­gen Merk­wür­dig­kei­ten und Rät­seln betre­ten, die Form und Inhalt im gan­zen und ein­zel­nen dem sin­nen­den Beschau­er aufgeben.

Frei­lich wis­sen wir, das unser Got­tes­haus nicht mehr das ist, was es einst war, son­dern das ein furcht­ba­rer Brand fast alles zer­stör­te und nur kaum etwas den Flam­men ent­ging. Aber wer das herr­li­che West­por­tal, die Kryp­ta und die Men­schen­fi­gu­ren an ihren Wän­den, Kon­so­len und Pfei­lern, die Was­ser­spei­er mit den Teu­fels­mas­ken, die Affen, Schwei­ne, Hun­de und aller­hand ande­res Getier nach­denk­lich betrach­tet, der wird sich bald so sehr in den Geist der Gotik, ja noch frü­he­rer Zei­ten, ver­set­zen, dass er gern den Nach­rich­ten lauscht, die über Grün­dung und Ent­wick­lung vor­han­den sind.

Sagen ver­schie­dens­ter Art haben ihren Ursprung umspon­nen, von einer hier ver­ehr­ten Gott­heit Isis, von einem Hei­den­tem­pel, von ihrer Ent­ste­hung durch die Glau­bens­bo­ten Metho­di­us und Cyril­lus, aus einer dem Hei­li­gen Georg geweih­ten Kapel­le und noch mehr. Es war ums Jahr 1225, als die ältes­te Kir­che gegrün­det und auf­ge­baut wur­de, ob in Anleh­nung an eine noch älte­re Kapel­le (nicht Kryp­ta) zum Hei­li­gen Georg, die an ihrer Ost­sei­te gestan­den haben müss­te, bleibt hier uner­ör­tert. Wir müs­sen uns dar­auf beschrän­ken, dass schon die­se Kir­che ein statt­li­cher Bau war, eine Pfei­ler­ba­si­li­ka mit drei Schif­fen, die schon damals eine bevor­zug­te Stel­lung unter den Kir­chen des Ostens ein­zu­neh­men vermochte.

An einem Kreuz­bau mit Quer­schiff ist nicht zu den­ken. Aber sie war für die rasch auf­blü­hen­de Stadt bald zu klein und wur­de trotz schwe­rer Wir­ren und Krie­ge doch in lan­ger Zeit (1423–1497) so stark erwei­tert, dass nur wenig von dem ältes­ten Bau übrig blieb: die West­front mit ihrem Por­tal bis in die unters­ten Turm­ge­schos­se hin­ein, ein Teil der Süd­wand und ein Teil des Ost­ab­schlus­ses, der die West­wand der Kryp­ta bil­det. Von den wesent­li­chen For­men die­ses goti­schen Bau­es kann man sich leich­ter eine Vor­stel­lung machen, da aus der Zeit vor dem Bran­de Abbil­dun­gen erhal­ten sind, und zwar auf dem Holz­schnit­te von Metzger-Scharffenberg(1565) und dem von Braun von Hogen­berg ( 1575).

Fast 200 Jah­re war die­se herr­li­che Kir­che mit ihren acht Tür­men die Freu­de und der Stolz der Gör­lit­zer, bis sie am 16.März 1691 ein furcht­ba­rer Brand zugleich mit 191 Häu­sern der­art zer­stör­te, das fast nichts als gesprun­ge­ne Mau­ern, Pfei­ler und Gewöl­be ste­hen blie­ben. Nur die West­front mit den Res­ten der Haupt­tür­me rag­te aus den Rui­nen zum Him­mel her­vor. Aber schon am 7. Mai 1696 konn­te der Neu­bau dem Got­tes­diens­te wie­der­ge­ge­ben wer­den, wie er mit Aus­nah­me der Tür­me, die 1891 in ihrem obe­ren Tei­le ange­tra­gen und mit neu­en goti­schen Hel­men ver­se­hen wur­den, bis heu­te geblie­ben ist.

Geblie­ben ist im wesent­li­chen der Grund­riss der frü­he­ren Kir­che, die ja bereits gegen­über dem ers­ten Bau über die Ost­front hin­aus ent­wi­ckelt wor­den war. Fünf mäch­ti­ge Schif­fe wöl­ben sich wie zuvor über dem gewal­ti­gen Rau­me, der sich uns erschließt, wenn wir durch das Por­tal der sie­ben­hun­dert jäh­ri­gen West­wand das Inne­re betreten.Geschichte der Görlitzer Peterskirche

Pie­tät­voll ist auch, dass am Äuße­ren des Neu­bau­es alles erhal­ten wur­de, was irgend­wie geret­tet und bewahrt wer­den konn­te. Fas­sen wir die Süd­sei­te ins Auge, so wer­den wir beson­de­re Ver­schie­den­hei­ten in Stel­lung und Grö­ße der Fens­ter fin­den. Aber auch den an der Süd­wand vor­ge­la­ger­ten Turm fin­den wir ver­än­dert vor.

Wir fin­den heu­te in die­sem Vor­bau so man­ches, was aus der älte­ren Kir­che, zum Teil wie durch ein Wun­der, geret­tet wur­de. Bei­spiels­wei­se die bei­den alten Holz­sta­tu­en des Petrus und Pau­lus, sowie die alte, einst gern bewun­der­te Por­phyr­säu­le. Auch die Stre­be­pfei­ler sind nicht die­sel­ben geblie­ben, wäh­rend die eben­falls durch eine Säu­le geteil­te und getra­ge­ne offe­ne Ein­gangs­hal­le am öst­li­chen Teil der Süd­front seit ihrer Erbau­ung im 16.Jh. ziem­lich unver­sehrt geblie­ben ist. Auch auf der Nord­sei­te befand sich eine schö­ne Ein­gangs­hal­le, über der sich ein ganz ähn­li­cher Turm mit goti­scher hoher Spit­ze erhob.

Stein­bän­ke zie­hen sich ent­lang der Wän­de bei­der Ein­gangs­hal­len. Wur­de die süd­li­che betürm­te Hal­le völ­lig gotisch gehal­ten, so erschei­nen in der offe­nen Nord­hal­le die Sei­ten­wän­de mit aller­lei Muschel- und Blu­men­schmuck, die Decken aber mit wun­der­ba­ren gewun­de­nen Rei­hun­gen. Von plas­ti­schem Schmuck, der sich aus alter Zeit geret­tet hat, ist zwar das Kru­zi­fix, das die Nische an der rech­ten Sei­te der West­front zier­te, ver­schwun­den, dage­gen sehen wir noch eine Tau­be auf ihrer Bekrö­nung und unter der Nische feis­te Gesich­ter, die man als Son­ne und Mond deutete.

Auf dem Türm­chen selbst die Sta­tue des St. Petrus. An der­sel­ben Ecke nach Süden erbli­cken wir einen gekrümm­ten Hund und einen Affen, der sin­nend einen Men­schen­kopf zu betrach­ten scheint. Der “Bau­meis­ter” an der Nord­west­sei­te und der Kopf des Bischofs Kas­par von Schön­berg erre­gen beson­de­re Auf­merk­sam­keit, die auch die bei­den Was­ser­spei­ser an der Süd- und Ost­front ver­die­nen. Peterskirche in Görlitz  
Wie herr­lich muss der alte Bau des 15. Jahr­hun­derts, an dem 74 Jah­re lang gear­bei­tet wor­den war, gewe­sen sein. Äußer­lich wie auch inner­lich unter­schei­det er sich nicht nur durch das Mate­ri­al von den Back­stein­kir­chen Schle­si­ens. Sei­ne Son­der­stel­lung beruht auf der Brei­ten­ent­fal­tung der fünf Schif­fe, auf der Durch­sich­tig­keit des Raum­bil­des, die durch den wei­ten Pfei­ler­ab­stand erzielt wur­de und auf der dif­fe­ren­zier­ten Pro­fi­lie­rung der schlan­ken Stüt­zen, denen die Gewöl­be­rip­pen entwachsen.

Das Netz­ge­wöl­be, das ohne Gurt­mar­kie­rung die Decke über­spinnt, dient der Ver­schmel­zung der Raum­tei­le. “All dies ist schle­si­schen Kir­chen fremd und lässt die­sen Bau als einen äußers­ten Vor­pos­ten welt­li­cher Hal­len­räu­me erschei­nen.” So spricht ein her­vor­ra­gen­der Fach­ge­lehr­ter in der “Kunst in Schle­si­en”, und der Ver­fas­ser des schle­si­schen Denk­mä­ler­werks, Geheim­rat Lutsch, zählt den Bau der Grö­ße wie der Raum­wir­kung nach zu den bedeu­tends­ten Kir­chen des öst­li­chen Deutschlands.

Das Ange­sicht die­ser Kir­che, mit dem es die Kennt­nis ihrer Gesamt­heit eröff­net, war zu allen Zei­ten ihr Por­tal, das durch alle Fähr­lich­kei­ten von Umbau­ten und Brand hin­durch von dem hohen Kunst­ge­schmack der Erbau­er und ihrem star­ken Wil­len, ihrer Stadt in der neu­en Kir­che etwas her­vor­ra­gen­des zu schaf­fen, kün­det. Aus der vom ursprüng­li­chen drei­schif­fi­gen Bau der ältes­ten Kir­che erhal­ten geblie­be­nen West­sei­te mit ihrer durch Lisen­en abge­teil­ten und durch je einen Boden­fries des Über­gangs­sti­les der roma­ni­schen Zeit in Geschos­se zer­leg­ten Außen­wand tritt in mäch­ti­ger Wei­se das von einem hohen, von zwei Säu­len gestütz­ten Spitz­gie­bel über­stie­ge­ne Pracht­por­tal weit her­aus, zu des­sen erha­be­nem Auf­bau eine viel­stu­fi­ge Frei­trep­pe emporführet.

Die sich nach außen ver­brei­tern­de Tür­öff­nung ist vier­mal abge­treppt mit je einer Säu­le in den Pfei­ler­win­keln, die alle köst­li­che Kapi­tä­le tra­gen. In erstau­nens­wer­ter Wei­se sind aus ihrerPortal der Peterskirche in Görlitz Wür­fel­form bis über die Hälf­te Ran­ken- und Blatt­ge­win­de her­aus­ge­ar­bei­tet, die je zwei meist ein­an­der zuge­wen­de­te Tie­re umschlie­ßen: Affen und Del­phi­ne, Tau­ben, Füch­se und ande­res Getier, die als Aus­druck eines Volks­glau­bens, der in wun­der­ba­ren Tier­ge­stal­ten die Trä­ger mensch­li­cher See­len sah, galten.

In einer Rei­he von je zwei ara­bes­ken­ar­tig gekrümm­ten und mit der Bauch­sei­te gegen­ein­an­der gerich­te­ten phan­tas­ti­schen Tie­ren sind Wuls­te gebil­det, deren inners­ter am Kapi­täl aus Sphin­xen her­aus­wächst. Rechts sehen wir einen bär­ti­gen Mann mit erho­be­nen Armen, links einen Engel mit gefal­te­ten Hän­den und dane­ben eine nack­te Kna­ben­ge­stalt mit her­ab­hän­gen­den Bei­nen. Auch die zwi­schen den Wuls­ten ver­lau­fen­den Stä­be bie­ten dem Auge in nie sich wie­der­ho­len­der meis­ter­haf­ten Aus­füh­rung pracht­vol­ler Ent­wür­fe immer etwas Neu­es und Anzie­hen­des. Auch die Basis der Säu­len zeigt noch die ursprüng­li­che Form des Übergangsstils.

Und auf was hat dieses Portal geschaut!

Die ers­te Wei­he ums Jahr 1225, die zwei­te von 1457, die in den Chro­ni­ken sei­ten­lang beschrie­ben wird, mit all ihren Pomp der katho­li­schen Zeit, imagewo der Bischof von Mei­ßen — Kas­par von Schön­berg —  nach lan­ger Pro­zes­si­on um die Kir­che mit sei­nem Krumm­sta­be an die Pfor­te klopf­te, auf deren Flü­geln Petrus und Pau­lus gemalt waren, bis zu den vie­lem Braut­paa­ren, die die geweih­te Pfor­te betraten.

Ein Blick in den erha­ben-gewal­ti­gen Raum genügt, um sich sol­chen Urtei­len bedin­gungs­los anzu­schlie­ßen. Frei­lich, die 36 Altä­re der goti­schen Zeit, deren einen nur noch unser Muse­um birgt, sind ver­schwun­den, eben­so wie die 38 zum Teil hoch­be­deut­sa­men und wun­der­ba­ren Epi­ta­phien, die die Wän­de schmück­ten. Gesprun­gen und ver­nich­tet sind die berühm­ten alten Glas­fens­ter der goti­schen Zeit, ver­schwun­den infol­ge des Bran­des von der Mit­ter­nachts­wand imageam frü­he­ren Hoch­al­ta­re “das aus kla­ren Stei­nen künst­lich durch­ge­ar­bei­te­te Sakra­ments­häus­chen”, 24 Ellen hoch, zur Auf­be­wah­rung der geweih­ten Hos­tie, woge­gen ganz in sei­ner Nähe an der Nord­wand der Kir­che bis heu­te eine lebens­gro­ße Rund­fi­gur Mari­as mit dem Chris­tus­kin­de beschä­digt geblie­ben ist.

Doch trotz aller schwe­ren Ver­lus­te hat hin­ge­ben­der Opfer­wil­le auch das Inne­re gar bald wie­der zu dem über­wäl­ti­gen­den Ein­dru­cke erho­ben, der heu­te hier jeden in sei­nen Bann zieht. Die geret­te­ten Kost­bar­kei­ten sind wohl­ge­bor­gen und treff­lich wie­der auf­ge­stellt — außer der Maria, den bei­den bereits erwähn­ten Holz­fi­gu­ren des St. Petrus und Pau­lus und der präch­ti­gen Tauf­glo­cke mit ihrem köst­li­chen Git­ter, die der Brand ver­schon­te. Neben dem einem geret­te­ten Epi­ta­phi­um des Bür­ger­meis­ters Geh­ler von 1675, das gebes­sert wur­de, tra­ten unter ande­rem die des Bür­ger­meis­ters Som­mer, wie auch Kunst­wer­ke aus ver­gol­de­ten Mes­sing im Gewich­te von nahe­zu 18 Zent­nern mit den Bild­nis­sen der Ver­stor­be­nen, von 1696 und 1703 auf. Wohl­ha­ben­de Bür­ger wett­ei­fer­ten in der Stif­tung von Aus­stat­tungs­ge­gen­stän­den für den Gottesdienst.

Die Kan­zel wur­de 1693 von dem Kauf­mann August Kober, der Altar von der ver­wit­we­ten Frau Som­mer 1695 gestif­tet. Er ist 30 Ellen hoch, aus Sand­stein, Stuck und Mar­mor, das Altar­blatt, das Chris­ti Him­mel­fahrt dar­stellt, wur­de von Ernst John, einem Maler aus Bres­lau, geschaffen. 
Drei Kron­leuch­ter, deren einer (beim Altar) in Nürn­berg gefer­tigt wur­de, ergänz­ten die­se Geschen­ke und 1712 wur­de die neue Beda­chung aus 447 Zent­nern Kup­fer voll­endet. Sie kos­te­te 17.870 Taler.

Die 13 Schluss­stei­ne des Mit­tel­schiffs haben noch ihren plas­ti­schen Schmuck mit Bema­lung und der Dar­stel­lung von Sze­nen aus dem Leben Jesu, des Todes der Maria und der Drei­ei­nig­keit. Die West­sei­te ziert die wap­pen­ge­schmück­te Magis­trats­lo­ge und die gewal­ti­ge Orgel Cas­pa­ri­nis von 1703. Eine der am hells­ten strah­len­den Sei­ten der Gör­lit­zer Kir­chen­ge­schich­te ist die Beschaf­fung der neu­en Orgel, die durch Gaben der Gemein­de ermög­licht wurde.

Cas­pa­ri­ni, am Anfang sei­ner Arbeit 74-jäh­rig, voll­ende­te nach 6 jäh­ri­ger Bau­zeit sein Meis­ter­werk. Am 19. August 1703 wur­de die Orgel fei­er­lich geweiht. Orgel in der PeterskircheEuge­ni­us Cas­pa­ri­ni war als Sohn eines tüch­ti­gen Orgel­bau­ers in Sorau/NL gebo­ren und ging mit 17 Jah­ren auf Rei­sen nach Bay­ern und Ita­li­en, wo er allein 50 Jah­re in Padua leb­te und streb­te. Nach einer Tätig­keit an der Hof­ka­pel­le in Wien, die ihm 1000 Duka­ten und eine gol­de­ne Ket­te mit dem Bil­de des Kai­sers ein­brach­te, bau­te er eine Orgel , fast so groß wie die unse­re, im Tri­ent, wo er von E. E. Rat zu Gör­litz den Ruf zum Baue der gro­ßen Orgel erhielt und im Ver­trau­en auf die Hil­fe sei­nes tüch­ti­gen Soh­nes Adam Hora­ti­us annahm. Die Orgel soll 25.000 Taler gekos­tet haben, von denen der Erbau­er 7.100 Taler und freie Sta­ti­on erhielt. Cas­pa­ri­ni starb 1706 in Nie­der-Wie­sa bei Greiffenberg.

Schon das auf­se­hen­er­re­gen­de Äuße­re der Orgel erweck­te den Wunsch nach Bil­dern von ihr, und bald nach ihrer Ein­wei­hung wur­de sie nach einer Zeich­nung von Johann Chris­toph Brendt, der Bür­ger und Gold­schmied in Gör­litz war, in Kup­fer gesto­chen und mit einer Beschrei­bung ihres Orga­nis­ten Ch. Lud­wig Box­berg gedruckt. Ande­re Abbil­dun­gen folg­ten, bis der hei­mat­li­che Maler Chris­toph Nathe aus Nie­der­biel­au um 1800 die treff­li­che Zeich­nung schuf, die unse­rer Abbil­dung zugrun­de liegt.

Schwer las­te­te nach der Schlacht bei Mühl­berg im Jah­re 1547 der soge­nann­te Pön­fall auf den Sechs­städ­ten, beson­ders auf unse­rem Gör­litz: alle Güter und die Hei­de wur­den ihm genom­men, und neben ande­ren schwe­ren Bußen ihren Kir­chen auch die Abend­mahls­ge­rä­te. Ein ein­zi­ger Kelch samt Pate­ne aus dem 15. Jahr­hun­dert war den Gör­lit­zer Pro­tes­tan­ten belas­sen wor­den: frei­lich nicht der schlech­tes­te, son­dern ein Prunk­stück, wie es weni­ge gibt. Aus schwer ver­gol­de­tem Sil­ber gear­bei­tet, baut er sich in einer Höhe von 29 Zen­ti­me­tern mit sei­nem Fuße auf einem Sechs­ecke auf. Die Begren­zung des eigent­li­chen Fußes wird von einem durch­bro­che­nen Ban­de gebil­det. Von den bis zum Knauf von Perl­stä­ben abge­schlos­se­nen sechs gro­ßen und  klei­nen Fel­dern ent­hal­ten ers­te­re fol­gen­de Dar­stel­lun­gen: Chris­tus am Schä­cher­kreuz mit Maria und Johan­nes; Petrus und Pau­lus; der Hei­li­ge Georg zu Ross, die Hei­li­ge Bar­ba­ra mit Turm und ein Bischof. In den sechs klei­nen Fel­dern befin­den sich Engel mit Spruch­bän­dern auf Blatt­werk­hin­ter­grund. Der Knauf ist prunk­voll zu sechs Nischen aus­ge­stal­tet, von goti­schen Säu­len und Türm­chen flan­kiert und von Spitz­bö­gen mit Kreuz­blu­men über­höht. Kelch in der Peterskirche GörlitzIn die­sen Nischen wer­den dar­ge­stellt: Chris­tus mit Dor­nen­kro­ne, Len­den­tuch und Kelch; Mar­tha mit Koch­löf­fel und Schüs­sel; Hei­li­ge mit Kir­che und Rosen­kranz; Mar­ga­re­ta als Patro­nin der Gebä­ren­den mit Kreuz und gefes­sel­ten Dra­chen; Doro­thea mit Pal­me und Korb und Katha­ri­na mit Schwert und Rad. Der Boden der Kup­pa, des eigent­li­chen Kel­ches, ist mit Blatt­or­na­men­ten, Flam­men und Strah­len ver­ziert, wäh­rend ihr Ober­teil aus einem Kranz von frei gear­bei­te­ten Pal­met­ten auf­steigt, die unten auf einem Laub­kran­ze ruhen, der von Perl­stä­ben begrenzt ist. Die Kup­pa ist 10 cm hoch bei einem Durch­mes­ser von 14cm.

Der präch­ti­ge, in spät­go­ti­schem Sti­le aus­ge­führ­te “Spei­se­kelch” stammt aus der katho­li­schen Zeit, dem 13. Jahr­hun­dert, und gehört auf­grund sei­nes Gewich­tes und sei­ner Grö­ße zur Form der Reli­qui­en­kel­che, gleich­viel, ob im 15.Jahrhundert eine Reli­quie in sei­nem Knau­fe ver­wahrt ward oder nicht. Er befin­det sich in den Samm­lun­gen der Gedenk­hal­le als wert­vol­le Leih­ga­be der Gör­lit­zer Peterskirche.

Wie mag der von Fer­di­nand I. und dem Her­zo­ge Alba über Gör­litz ver­häng­te Kir­chen­raub die Bür­ger der Stadt ange­mu­tet haben, nach­dem erst neun Jah­re zuvor der­sel­be Fer­di­nand in Gör­litz geweilt, die Peters­kir­che besucht, und von ihrem Anbli­cke so ergrif­fen war, dass er gleich ein Bild von ihr zu haben wünschte!

Wohl jede Kryp­ta umfängt den Besu­cher mit einer Art von gru­se­li­ger Scheu, mit einer aus Gra­bes­kult und Wun­der­glau­ben gemisch­ten Luft. Waren doch die alten ech­ten Kryp­ten Die heutige Krypta in der Görlitzer Peterskircheunter­ir­di­sche Ruhe­stät­ten von Mär­ty­rern und Hei­li­gen, die auf die ältes­ten Zei­ten der Kir­chen­bau­ten zurück­ge­hen. Der Gra­bes­kult blieb unse­rer Kryp­ta sicher fern, nicht aber das geheim­nis­voll Wun­der­ba­re. Sicher ist, dass der heu­ti­ge Bau durch das Bedürf­nis ent­stan­den ist, die ursprüng­li­che Peters­kir­che mit ihrem Chor vor­zu­schie­ben und die­sen, am abschüs­si­gen Ber­ges­han­ge durch einen Unter­bau zu stüt­zen. Die fei­er­li­che Grund­stein­le­gung die­ses Neu­bau­es fand am 8. Mai 1423 statt und die Wei­he uns­rer jet­zi­gen Kryp­ta erfolg­te 1432. Die Haupt­säu­len sind die­sel­ben, die den Chor der Ober­kir­che tra­gen, aber das Mit­tel­schiff ist durch eine neue mitt­le­re Pfei­ler­rei­he noch­mals gestützt, so dass der Unter­bau aus vier Schif­fen besteht. Die Kryp­ta ent­hält innen wie außen noch oft beach­te­te Merk­wür­dig­kei­ten: Im Inne­ren eine Säu­le mit einem Fries, die einem Man­ne mit Zip­fel­müt­ze zeigt, der mit Hun­den, Löwen und ande­ren Tie­ren eine Ket­te bil­det und an einem Stre­be­pfei­ler eine Grup­pe von Affe und Schwein, die auf Dar­stel­lung ver­werf­li­cher Trunk­sucht deu­tet. Über ihrem Süd­ein­gan­ge befin­den sich sechs ein­ge­mau­er­te Töp­fe, die sicher nicht auf einen “frü­he­ren Topf­markt” deu­ten, son­dern viel tie­fe­ren Sinn haben.

Stammt unse­re heu­ti­ge Kryp­ta von 1423- 1432, so ist es sicher, dass die Ver­bin­dung mit St. Georg, dem sie geweiht ist, auf weit älte­re Ver­hält­nis­se zurück­geht. Von einer alten Kryp­ta, wie von einer  Burg­ka­pel­le kann kaum die Rede sein, aber eini­ge Urkun­den und Berich­te las­sen es wahr­schein­lich erschei­nen, dass bereits vor dem ältes­ten Bau der Peters­kir­che hier eine Kapel­le, St. Geor­gii, stand, die schon 1379 erwähnt wur­de. Als die Deut­schen unter Gobies­laus 1131 aufs neue den Burg­berg befes­tig­ten, brauch­ten sie eine nahe  Erbau­ungs­stät­te vor Not und Kampf. Die Peters­kir­che aber wur­de erst 100 Jah­re spä­ter gegrün­det. So ent­stand wohl eine Rund­ka­pel­le deren Run­dung noch heu­te an der Nord­wand der Kryp­ta zu sehen ist, vor der die Wei­ter­füh­rung des nörd­lichs­ten Schif­fes halt gemacht hat, wie die alte Kir­che selbst, in ihrem Ost­ab­schlus­se, der sonst in sei­ner gerad­li­ni­gen Gestalt, den die Kryp­ta birgt, kaum erklär­bar wäre. Die neue Kryp­ta ver­schlang die alte Kapel­le, aber ihr Name blieb!

Nach­druck über die Geschich­te der Gör­lit­zer Peterskirche
Text und Bil­der aus “Stadt­BILD Jah­res­buch 2003” mit freund­li­cher Geneh­mi­gung des Stadt­BILD-Ver­la­ges Görlitz

Görlitzer Turmgeschichten — Der Nikolaiturm

Quelle: StadtBild-Verlag GörlitzDass auch die ältes­te Gör­lit­zer Stadt­an­la­ge schon befes­tigt war, unter­liegt kei­nem Zwei­fel. Sie wird kaum anders als durch Erd­wer­ke und Pali­sa­den aus­ge­führt gewe­sen sein. 

Eine Ver­stär­kung dürf­te nach Abschluss des Sechs­städ­te­bun­des im Jah­re 1346 erfolgt sein, der sich nach­drück­lich gegen das Raub­rit­ter­we­sen rich­te­te, ganz beson­ders aber nach Ein­füh­rung des Schieß­pul­vers, das die Gör­lit­zer seit etwa 1394 benutz­ten, und als Schutz gegen die furcht­ba­ren Angrif­fe der Hus­si­ten.

Der Drei­ßig­jäh­ri­ge Krieg, der der Stadt Gör­litz viel Unge­mach, nament­lich durch die Bela­ge­rung von 1641 brach­te, und die Wie­der­her­stel­lung der durch die Kriegs­wir­ren ent­stan­de­nen Schä­den sind der Aus­gangs­punkt für die Befes­ti­gungs­an­la­gen, die dann im wesent­li­chen bis etwa 1840 bestan­den haben.

Eine dop­pel­te, sel­ten drei­fa­che Mau­er zog sich um die gan­ze Stadt. Die inne­re war sehr stark, hat­te einen von Turm zu Turm lau­fen­den über­dach­ten Wehr­gang und Schieß­schar­ten. Die äuße­re, die den Wall­gra­ben und Zwin­ger, den man frü­her auch Par­chen nann­te, abschloss, hat­te kei­nen Wehr­gang, wohl aber zum Teil Schieß­schar­ten, und sie war auch noch außer­or­dent­lich hoch.

Der Gesamt­um­fang der Stadt­mau­er betrug 2.460 Meter. Die Ver­tei­di­gungs­fä­hig­keit der Mau­er wur­de, abge­se­hen von den auch als Wache und Aus­lug wich­ti­gen Tür­men, durch Bas­tei­en und Ron­del­le erhöht, von denen die ers­te­ren vier­eckig, die letz­te­ren rund waren. Bei­de hat­ten meh­re­re Stock­wer­ke mit Schießscharten,um nach jeder Rich­tung hin den sich annä­hern­den Feind unter wirk­sa­mes Feu­er neh­men zu können.

In der Zeit zwi­schen 1641 und 1763 hat­te die Gör­lit­zer Stadt­mau­er 13 Bas­tei­en und 19 Tür­me. 1476 sol­len nur 21 Bas­tei­en und Tür­me mit einer täg­li­chen Wache von 355 Mann unter 33 Haupt­leu­ten, vor­han­den gewe­sen sein. Sieb­zehn Büch­sen­ma­cher, 33 Hand­büch­sen und 68 grö­ße­re und klei­ne­re Geschüt­ze stan­den für die Ver­tei­di­gung zur Ver­fü­gung. Alle Bas­tei­en und Tür­me hat­ten bestimm­te Namen.

Quelle: StadtBild-Verlag GörlitzVom Niko­lai­turm soll hier die Rede sein. Frü­her gehör­te zu die­sem Turm auch das gleich­na­mi­ge Tor. Vom Niko­lai­tor, dem zweit­äl­tes­ten der Stadt, steht heu­te nur noch — sei­ner Mau­ern beraubt — der Turm, der kahl wie eine dicke Röh­re ‘gen Him­mel ragt. Das Tor wur­de bereits auf den ers­ten Blät­tern des alten Gör­lit­zer Stadt­bu­ches aus dem Jah­re 1305 erwähnt, ja, die Sage behauptet,es sei von Her­zog Sobies­laus 1131 erbaut wor­den. Nach alten Bil­dern und Plä­nen zu urtei­len, war es ein drei­fa­ches, über­aus star­kes Tor.

Das ers­te Tor führ­te von der Niko­lai­stra­ße durch die inne­re Stadt­mau­er, das zwei­te, das durch ein star­kes Fall­gat­ter bewehrt war, durch die Außen­mau­er des Zwin­gers, wäh­rend das drit­te Tor, das sich unter dem Tor­hau­se öff­ne­te, an den Gra­ben und die Zug­mau­er stieß.

Wenn die Zug­mau­er Quelle: StadtBild-Verlag Görlitzauf­ge­zo­gen war, war das Tor völ­lig ver­deckt. 1400 wur­de ein neu­es Tor­haus, an dem frü­her seit 1399 Hals­ei­sen befes­tigt waren, geschaf­fen. In die­ser Gestalt stand es wohl bis zum Brand im Jahr 1456, der das Tor auch bis zu den Umfas­sungs­mau­ern zer­stör­te. Schon im fol­gen­den Jahr wur­de es in der frü­he­ren Fes­tig­keit auf­ge­baut. Trotz man­chen Wet­ter­schla­ges und man­cher Ver­än­de­rung hielt es so vie­le lan­ge Jahre. 

Auch in Frie­dens­zei­ten war es bewacht. 1539 wur­de auf dem Turm ein Wäch­ter, der die Zeit anschlug, ein­ge­setzt. Ein sol­cher wur­de 1586 bei sei­nem Tun vom Blitz erschla­gen. Bis 1752 ging man außer­halb des Tur­mes über die Stadt­mau­er auf einer Trep­pe hin­auf zum Turm­stüb­chen. Erst danach wur­de unten am Boden eine Tür als Zugang eingebrochen.

In frü­he­ren Jah­ren hat­te der Niko­lai­turm eine goti­sche Spit­ze und auch mehr Zie­rat. Heu­te wird er oben nur von zwei Gurt­ge­sim­sen umzo­gen, und er trägt auch eine baro­cke Hau­be. 1848 wur­den die Tor­an­la­gen besei­tigt, seit­dem steht nur noch der Niko­lai­turm selbst mit sei­nen am Fuße 2,86 Meter dicken Mauern.

Im Okto­ber 1904 schaff­te die Stadt Gör­litz Tür­merstel­le ab. Das Läu­ten der Glo­cken geschah jetzt elek­trisch. Auch die NamenQuelle: StadtBild-Verlag Görlitz der zahl­lo­sen Tür­mer, die zum Wohl der Stadt Zeit und Feu­er anzeig­ten, sind längst vergessen.

In vie­len frei­wil­li­gen Arbeits­stun­den wur­de der Niko­lai­turm von 1971 bis 1980 instand­ge­setzt und beher­bergt heu­te neben vie­len ande­ren Expo­na­ten ein nach­ge­stal­te­tes Tür­mer­stüb­chen. Auch eine Turm­be­stei­gung ist mög­lich. Betreut und in Ord­nung gehal­ten vom Zir­kel Gör­lit­zer Hei­mat­for­scher e. V. ist der Niko­lai­turm eine klei­ne Gör­lit­zer Attrak­ti­on, von denen es noch vie­le in unse­rer Stadt gibt. ‑flor-
Mit freund­li­cher Geneh­mi­gung des Stadt­BILD-Ver­la­ges Görlitz

Görlitzer Juden — ihre vergessenen und verfallenen Spuren

Unter dem Druck wach­sen­der Dis­kri­mi­nie­rung und Ver­fol­gung sind die meis­ten Gör­lit­zer Juden im Lau­fe der 1930er Jah­re aus­ge­wan­dert, unter teil­wei­se dra­ma­ti­schen Umstän­den. Die, die geblie­ben waren, wur­den im Krieg in den Ver­nich­tungs­la­gern ermordet.
Z
um bau­li­chenTextilhaus Totschek, Steinstraße 2 - 5, um 1910 Erbe der Gör­lit­zer Juden gehört weit mehr als die Syn­ago­ge, die im letz­ten Jahr ihr hun­dert­jäh­ri­ges Jubi­lä­um fei­ern konn­te. Da ist der zum Glück erhal­te­ne Fried­hof. Da sind die Wohn­häu­ser, die Fabri­ken und Geschäf­te, die Arzt- und Recht­an­walts­pra­xen. Bei einem Rund­gang zu Stät­ten jüdi­schen Lebens in Gör­litz kann man über meh­re­re Stun­den vie­les ent­de­cken und erfah­ren, aber auch erschre­cken über den heu­ti­gen Zustand vie­ler Bau­lich­kei­ten und Anlagen.
Gut, es gibt inzwi­schen neue Stra­ßen­na­men, die an sei­ner­zeit bekann­te Per­sön­lich­kei­ten erin­nern. Es gibt eini­ge “Stol­per­stei­ne” vor den ehe­ma­li­gen Wohn­stät­ten von Todes­op­fern. Dar­um hat­te sich die hie­si­ge christlich—jüdische Görlitzer Eckhaus Obermarkt 7 - Steinstraße | Foto: wikipedia-ManeckeGesell­schaft bemüht. Die Denk­mal­pfle­ge­be­hör­de konn­te am ehe­ma­li­gen Mode­haus Mei­row­sky Ecke Ober­markt/Steinstraße die Mono­gramm-Kar­tu­sche über der Ein­gangs­tür zur Erin­ne­rung an den Bau­her­ren (“I.M.” für Isaac Mairowsky)retten.
Vie­le Bau­wer­ke sind in einem frag­wür­di­gen Zustand. Ursa­chen, Zusam­men­hän­ge und Zukunfts­aus­sich­ten sind unter­schied­lich und kom­pli­ziert. In der Gesamt­heit ergibt sich ein Bild, das der Stadt kei­ne Ehre macht.Jugendstilwarenhaus am Demianiplatz | Foto: Manecke Das gilt ja schon für das bekann­tes­te und am meis­ten beklag­te Bei­spiel, das Waren­haus am Demia­ni­platz, des­sen Bau­herr der Kauf­mann Lou­is Fried­län­der war. Es ist ein prä­gen­des Gebäu­de im Stadt­zen­trum, bei der Bevöl­ke­rung und Archi­tek­tur­his­to­ri­kern in hohem Anse­hen. Sei­ne Zukunft ist ungewiss.
Die Gäste des Victoria-Hotels konnten von ihren Zimmerfenstern aus das pulsierende Leben im Zentrum der aufblühenden Stadt Görlitz vom Morgen bis zum Abend verfolgen | Foto: Robert Scholz um 1900Bes­ser geht es da dem Bau an der Post­platz-Nord­sei­te, des­sen Mit­tel­teil bis nach 1918 das Vik­to­ria-Hotel von Nathan Gold­stein beher­berg­te. Das frü­he­re Schuh­haus Rauch in der Ber­li­ner Stra­ße 61 wird heu­te durch Fiel­mann-Optik genutzt. Eben­falls sorg­fäl­tig saniert wur­de das zwei­te Mode­haus Mei­row­sky in der Hos­pi­tal­stra­ße 36. Das führende Schuhhaus Rauch überraschte die Kunden mit zahlreichen Dienstleistungen. Es gab eigene Abteilungen für Kinderschuhe und Strümpfe, eine Reparaturwerkstatt und einen Röntgenapparat zur Fußuntersuchung. | Fotografie Lünig um 1932
Schlech­ter sieht es in der Stein­stra­ße aus, frü­her Stand­ort meh­re­rer jüdi­scher Geschäf­te. Das ehe­ma­li­ge Beklei­dungs­haus Tot­schek in der Stein­stra­ße 2 — 5 ist ein beson­ders reprä­sen­ta­ti­ves Han­dels­haus des spä­ten 19. Jahr­hun­derts, an dem man etli­che Spu­ren frü­he­ren Glan­zes fin­det. Denk­mal­pfle­ge­risch saniert und nicht­mo­der­nis­tisch ver­schan­delt, könn­te es ein Schmuck­stück einer Ein­kaufs­mei­le werden.
Villa Kaufmann in der Bergstraße 1 (links) und Textilfabrik an der Uferstraße um 1920Betrüb­lich ist auch der Zustand der frü­he­ren Fabri­kan­ten­vil­la Berg­stra­ße 1; sie gehör­te Rosa Kauf­mann, Mit­in­ha­be­rin der Webe­rei und Fär­be­rei Mül­ler und Kauf­mann an der Ufer­stra­ße. Das außen und innen gedie­ge­ne Gebäu­de im Stil des frü­hen 20. Jahr­hun­derts ist lei­der nach 1990 zuneh­mend ver­wahr­lost, nach­dem sich der Plan zer­schla­gen hat­te, ein Senio­ren­heim für geho­be­ne Ansprü­che dar­aus zu machen.
Villa Ephraim, Goethestraße 17, 1907Die berühm­te Vil­la Ephra­im in der Goe­the­stra­ße 17, ein Werk des Ruh­mes­hal­len-Archi­tek­ten Hugo Behr, war bis Anfang der 1920 Jah­re Wohn­sitz des Eisen­wa­ren­händ­lers, Stadt­ver­ord­ne­ten und Muse­umför­de­rers Mar­tin Ephra­im und bis vor kur­zem [Ende 2010] eine Jugend­her­ber­ge. Ihr kost­ba­rer archi­tek­to­ni­scher Grund­be­stand konn­te durch die Woh­nungs­bau­ge­sell­schaft weit­ge­hend erhal­ten wer­den, braucht aber drin­gend eine stil­ge­rech­te Sanie­rung und ange­mes­se­ne Nut­zung, es ist ein Juwel der dama­li­gen ört­li­chen Bau­kul­tur und zugleich Erin­ne­rungs­ort für eine her­aus­ra­gen­de Per­sön­lich­keit (Ephra­im starb 1944 als 84jähriger im KZ The­re­si­en­stadt) [Nach­dem 2010 die Jugend­her­ber­ge hier aus­zog, hat die Woh­nungs­bau­ge­sell­schaft die Vil­la sanie­ren las­sen. Heu­te ist hier das Gäs­te­haus Alte Her­ber­ge untergebracht].
Wohnhaus Ephraim, Jakobstraße 5, um 1900Verwaltungsgebäude Ephraim, Zittauer Straße 56, 1927Auch das frü­he­re Wohn­haus Epha­rim (Jakobstra­ße 5, spä­ter Franz Gru­n­ert) hat inzwi­schen gelit­ten. Das Ver­wal­tungs­ge­bäu­de der Fir­ma Ephra­im Eisen­han­del in der Zit­ter­stra­ße 56 (vor dem Schüt­zen­haus) errich­te­te 1927 der in Gör­litz durch zahl­rei­che Groß­bau­ten ver­tre­te­ne Archi­tekt Alfred Hent­schel; es steht leer und verfällt.
Steinbank vor Fabrik Raupach, um 1910Die Sitz­bank mit Brun­nen, Aus­stel­lungs­stück der Gewer­be- und- Industrieausstellung1905 in Gör­litz für die Gra­nit­fir­ma Theo­dor Alex­an­der Katz, erwarb der Fabri­kant Richard Rau­pach und stell­te sie an der Zit­tau­er Stra­ße vor sei­nem Werk­ge­län­de auf;dort ver­fällt sie heu­te nach und nach, wür­de aber gut in das Umfeld der Stadt­hal­le passen.
Modehaus Frankenstein/Markus in der Berliner Strasse 10, um 1925Ein Opfer der ober­fläch­li­chen Schnell­sa­nie­run­gen Anfang der 1990er Jah­re wur­de das frü­he­re Tex­til­haus Frankenstein/Markus in der Ber­li­ner Stra­ße 10. Die ehe­ma­li­ge Fas­sa­de ist nur noch in der Grund­auf­tei­lung erkenn­bar, das Inne­re eine gesichts­lo­se Hal­le mit lan­gen Rega­len zum raschen Aus­tausch der Gewer­be­mie­ter, archi­tek­to­nisch tot.
Die Vil­la Alex­an­der Katz neben dem Stän­de­haus (frü­her Pro­me­na­de 14) wur­de noch 1945 durch Bom­ben zer­stört und ist heu­te Müll­hal­de und Urwald, eine Schan­de in Grenz­nä­he. Die Tex­til­fa­brik Mül­ler und Kauf­mann an der Ufer­stra­ße ist Rui­ne und Die Kofferfabrik von Julius Arnade in Moys (Ujazd) ist stillgelegtteils abge­tra­gen, die Kof­fer­fa­brik in Moys (Ujazd) ist stillgelegt.
Die Auf­stel­lung lie­ße sich fort­set­zen. Es ist nicht zu über­se­hen: Die­se Erbe ist weit­ge­hend vergessen.Im öffent­li­chen Bewusst­sein und in der denk­mal­pfle­ge­ri­schen Dring­lich­keits­lis­te kommt es kaum vor. Irgend­wann wer­den ver­mut­lich nur noch Der Eingang zum Lager Biesnitzer GrundSyn­ago­ge und KZ Bies­nit­zer Grund (die­ses auch über­baut) mit der Geschich­te der Gör­lit­zer Juden in Zusam­men­hang gebracht wer­den, nicht mehr ihre Wohn- und Wir­kungs­stät­ten vor 1933, also aus den Jahr­zehn­ten ihrer Viel­fäl­ti­gen Tätig­keit für das Wohl der Stadt.
Paul MühsamNicht ein­mal beschei­de­ne Täfel­chen erin­nern an den Dich­ter Paul Müh­sam (Bis­marck­stra­ße 4) oder an den Kom­mer­zi­en­rat und Stif­ter Les­ser Ephra­im (Jakobstra­ße 5). Es wäre an der Zeit, Grund­stücks­käu­fer und Inves­to­ren auf die­ses ver­pflich­ten­de Erbe auf­merk­sam zu machen und für des­sen Erhal­tung zu wer­ben. Anfän­ge sind gemacht. Auf die Dau­er kann sich die Stadt nicht vor der mora­li­schen Last der Geschich­te davon­steh­len. Dies nur als Fuß­no­te zum gelun­ge­nen Synagogenjubiläum.
Von Dr. Ernst Kret­sch­mar, Görlitz
Mit freund­li­cher Geneh­mi­gung des Stadt­BILD-Ver­la­ges Görlitz
Die in ecki­gen Klam­mern kur­siv ein­ge­füg­ten Hin­wei­se stam­men nicht vom Autor. 

Wei­te­re Informationen:
Zei­ten­sprün­ge-Pro­jekt
Syn­ago­ge. Juden in Görlitz
Die Syn­ago­ge in Görlitz

Aus dem Heimatbuch von Kunnersdorf — Teil 2

Was­ser­müh­len am Wei­ßen Schöps Obermuehle Kunnersdorf“Es klap­pert die Müh­le am rau­schen­den Bach…”, so war einst die­ses alte Volks­lied auch für Kun­ners­dorf zutref­fend. Mit Aus­nah­me des Wehrs im Nie­der­dorf gibt es kei­nen Anhalts­punkt mehr für die zwei Was­ser­müh­len mit ihren klap­pern­den, höl­zer­nen Rädern im Kun­ners­dor­fer Schöps­tal. So ist die Erin­ne­rung an die Ober- und Nie­der­müh­le bei Ein­woh­nern nicht mehr vor­han­den bzw. sehr ver­blasst. Die Ober­müh­le hat­te etwa zwei­hun­dert Meter fluss­ab­wärts nach der Ober­brü­cke ihren Stand­ort. Das Wehr im Nie­der­dorf gibt den Hin­weis auf die ehe­mals in sei­ner Nähe vor­han­de­ne Nie­der­müh­le. Wann die bei­den Was­ser­müh­len erst­mals “klap­per­ten”, kann nicht ange­ge­ben wer­den. Anzu­neh­men ist, dass eine von ihnen bereits in den Anfangs­jah­ren von Kun­ners­dorf am Schöps errich­tet wur­de, um das Getrei­de der Bau­ern­wirt­schaf­ten mah­len zu kön­nen. Die älte­re von bei­den ist wahr­schein­lich die Nie­der­müh­le. Ab dem Jahr 1644 sind fast alleMännergesangsverein Kunnersdorf Namen der Mül­ler­meis­ter über die Jahr­hun­der­te bis zur Auf­ga­be des Mahl­be­trie­bes für bei­de Was­ser­müh­len bekannt. Bild­ma­te­ri­al von den Müh­len­ge­bäu­den ist nur mit weni­gen Fotos aus der Mit­te des 20. Jahr­hun­derts vor­han­den. Für die Ober­müh­le befand sich unter­halb der Ober­brü­cke ein Wehr, wel­ches das ange­stau­te Was­ser über einen brei­ten Mühl­gra­ben zum Was­ser­rad lei­te­te. Die Mül­ler der Ober­müh­le waren bis 1859 über­wie­gend deren Eigen­tü­mer. Im genann­ten Jahr kauf­te der hie­si­ge Rit­ter­guts­be­sit­zer die Was­ser­müh­le und ließ sie von Päch­tern bewirt­schaf­ten. Der Mahl­be­trieb ist 1941 ein­ge­stellt wor­den. Oskar Wil­helm Rad­tke war der letz­te Müh­len­päch­ter. Er ist wohl eini­gen älte­ren Ein­woh­nern noch bekannt. In den Kriegs­jah­ren dien­te das Müh­len­grund­stück als Unter­kunft für Kriegs­ge­fan­ge­ne, die in Kun­ners­dorf zur Zwangs­ar­beit ein­ge­setzt waren. Die Ober­müh­le ist um 1981 auf­grund von Bau­fäl­lig­keit abge­ris­sen wor­den. Die zum eins­ti­gen Müh­len­ge­höft gehö­ren­de Stall­scheu­ne steht heu­te noch unge­nutzt unter­halb des Mühl­ber­ges in der Schöp­s­aue. Aus der Müh­len­ge­schich­te der Nie­der­müh­le sind zwei Beson­der­hei­ten her­vor­zu­he­ben. Die Was­ser­müh­le gehör­te über Jahr­hun­der­te zu Königs­hain. Die Mül­lern, ob Eigen­tü­mer oder Päch­ter, muss­ten für Königs­hai­ner Rit­ter­guts­be­sit­zer und Bau­ern mit mah­len. Wie die­se Rege­lun­gen im Ein­zel­nen aus­sa­hen, ist lei­der nicht bekannt. Die Stra­ße von Liebstein bis zum Kun­ners­dor­fer Nie­der­dorf trägt heu­te noch die Bezeich­nung “Mühl­stra­ße”. Wehr_am_weissen_SchoepsDie zwei­te Beson­der­heit besteht dar­in, dass vom Mühl­rad auch ein Säge­gat­ter ange­trie­ben wur­de. Bereits Anfang des 19. Jahr­hun­derts als “Brett­schneid­müh­le” erwähnt, hat hier über hun­dert Jah­re ein Säge­be­trieb statt­ge­fun­den. Die Mül­ler­fa­mi­lie Rothe war von 1680 bis 1734 in meh­re­ren Gene­ra­tio­nen in der Nie­der­müh­le ansäs­sig. Vater und Sohn Woll­mann übten als Mül­ler­meis­ter in den Jah­ren von 1784 bis 1836 ihr Gewer­be aus. Sie sind “Erb- und Eigen­tums­mül­ler in der zu Königs­hain gehö­ri­gen Nie­der­müh­le”. Ab 1873 waren die Mül­ler­fa­mi­li­en Fröm­ter bis zur Betriebs­ein­stel­lung 1952 Eigen­tü­mer der Was­ser­müh­le. So sind heu­te noch Ein­woh­nern die Bezeich­nun­gen “Fröm­ter Müh­le“ und “Fröm­ter Brü­cke” geläu­fig. Die alten aus den Jah­ren um 1880 stam­men­den Gebäu­de sind abge­ris­sen wor­den. Das Müh­len- und Wohn­ge­bäu­de wur­de durch Um- und Aus­bau im Jah­re 1979 zum Wohn­haus, Nie­der­dorf Nr 17. In den bei­den Müh­len gab es in der zwei­ten Hälf­te des 19. Jahr­hun­derts und in der Nie­der­müh­le noch kurz nach der Jahr­hun­dert­wen­de Bäcke­rei­en. Neben dem Müh­len­ge­wer­be haben bei­de Was­ser­müh­len auch eine klei­ne Land­wirt­schaft beses­sen. Aus der Viel­falt der über Jahr­hun­der­te erhal­te­nen Mül­lersprü­che stammt fol­gen­der: Ein Mül­ler der nicht säuft, ein Mühl­rad, das nicht Iäuft, das sind Din­ge auf der Welt, von denen kei­nes mir gefällt. Hans-Joa­chim Sci­bor­ski, Bork­hei­de Aus: Kun­ners­dorf, Per­le am Wei­ßen Schöps. Lau­sit­zer Hei­mat­ver­lag 2009 Mit freund­li­cher Geneh­mi­gung desLau­sit­zer Hei­mat­ver­la­ges und des Stadt­BILD-Ver­la­ges Görlitz

Aus dem Heimatbuch von Kunnersdorf — Teil 1

Grund- und Guts­herr­schaft Kunnersdorf - Buch zur DorfgeschichteDie Grund- und Guts­herr­schaft in Kun­ners­dorf ist zugleich ein Abbild der loka­len Adels­ge­schich­te. Mit der Grün­dung des ein­sei­ti­gen Wald­hu­fen­dor­fes ging der west­lich des Wei­ßen Schöp­ses gele­ge­ne Gemar­kungs­an­teil im Wesent­li­chen in das Eigen­tum des Lan­des­herrn über. Die­ser ließ die Län­de­rei­en anfangs als Lehen bewirt­schaf­ten. Spä­ter kamen sie zum Ver­kauf für ent­spre­chend “har­te Wäh­rung”. Die Dorf­be­woh­ner — Bau­ern, Gärt­ner und Häus­ler — sind nach anfäng­li­chen Frei­hei­ten zuneh­mend zu den soge­nann­ten Hof­diens­ten und zu Abga­ben an die jewei­li­gen Grund­her­ren gezwun­gen wor­den. Ein bis­her ältes­tes bekann­tes Doku­ment aus dem Jah­re 1435 ver­weist nament­lich auf die Herr­schaft in Kun­ners­dorf. Dar­in bestä­tigt der Bischof Johann von Mei­ßen den Ver­kauf des Bischofs­zehn­ten im Dor­fe Kun­ners­dorf, den der bis­he­ri­ge Besit­zer Hans Eymud an den “Gör­lit­zer Haupt­mann Hein­c­ze Kott­witz” ver­äu­ßert hat. Mehr­fach wech­sel­ten in den fol­gen­den Jahr­hun­der­ten die Eigen­tums­ver­hält­nis­se. Aus der Viel­zahl der Grund­her­ren und Rit­ter­guts­be­sit­zer soll nach­fol­gend eine Aus­wahl vor­ge­stellt wer­den: Der rei­che Gör­lit­zer Groß­kauf­mann Hans Fren­zel erwirbt im Jah­re 1505 Kun­ners­dorf. Liebstein wur­de 1525 sein Eigen­tum. Erst zum Ende des 16. Jahr­hun­derts wech­sel­te Kun­ners­dorf aus dem Besitz der Frenzel’schen Fami­lie in ande­re Hän­de. Man kann anneh­men, dass um 1600 das Alte Schloss, die spä­te­re Schloss­gärt­ne­rei, erbaut wur­de. Schloss Kunnersdorf Ab dem Jah­re 1640, Joa­chim von Schach­mann auf Kös­litz und Gir­bigs­dorf hat Kun­ners­dorf gekauft, sind bis 1772 Glie­der der Schachmann’schen Fami­lie Eigen­tü­mer des Dor­fes. Das Neue Schloss ist nach eini­gen Anga­ben am Anfang und nach ande­ren Mit­tei­lun­gen in der Mit­te des 18. Jahr­hun­derts erbaut wor­den. Nach denen von Schach­mann wech­sel­ten die Eigen­tü­mer­ver­hält­nis­se wie­der in schnel­ler Fol­ge. Um 1850 ist die Regu­lie­rung der durch den preu­ßi­schen Staat gesetz­lich ver­ord­ne­ten Abschaf­fung der Diens­te und Abga­ben der Ein­woh­ner an die Guts­herr­schaft bzw. das Rit­ter­gut nach meh­re­ren Jahr­zehn­ten Ver­hand­lun­gen abge­schlos­sen wor­den. Damit war die Guts­herr­schaft in Kun­ners­dorf im Prin­zip been­det. Im Jahr 1851 kauf­te der bel­gi­sche Gesand­te am preu­ßi­schen Hofe in Ber­lin, Jean Bap­tis­te Not­homb, die ‚”Herr­lich­keit Kun­ners­dorf en bloc — mit dem Land­gut Char­lot­ten­hof und der Zie­ge­lei –“. Der welt­ge­wand­te Baron von Not­homb, er war 1852 in den Adels­stand erho­ben wor­den, bringt im hie­si­gen Schloss sei­ne berühm­te, umfang­rei­che euro­päi­sche Samm­lung von Kar­ten und Doku­men­ten unter. Zahl­rei­che Gäs­te aus nahe­zu allen euro­päi­schen Län­dern wer­den auf Schloss Kun­ners­dorf von ihm zu poli­ti­schen und wirt­schaft­li­chen Gesprä­chen emp­fan­gen. Sei­nem Ein­fluss ist auch die nach­träg­li­che Errich­tung des Bahn­hofs Char­lot­ten­hof zu ver­dan­ken. Er ließ das Gut von einem Päch­ter bewirt­schaf­ten. Baron von Not­homb stirbt im Jah­re 1881, und sei­ne Erben ver­wal­ten noch bis 1885 das Kun­ners­dor­fer Rit­ter­gut. Luisenbund KunnersdorfHugo von Stock­hausen, preu­ßi­scher Regie­rungs­rat a.D. aus Köln und katho­li­scher Kon­fes­si­on, ist ab 1885 durch Kauf der neue Eigen­tü­mer des Rit­ter­gu­tes. Mit der evan­ge­li­schen Kir­chen­ge­mein­de lag er in einem lang­jäh­ri­gen, Auf­se­hen erre­gen­den gericht­li­chen Streit. Als Patron von Kir­che und Schu­le monier­te er vie­le Jah­re die aus die­ser Pflicht ent­stan­de­nen Bei­trä­ge für Repa­ra­tu­ren und Anschaf­fun­gen im Kir­chen- und Schul­be­reich. Fritz von Wran­gel hei­ra­te­te in die Fami­lie von Stock­hausen ein und war bis 1945 mit sei­ner Frau der letz­te adli­ge Bewoh­ner von Schloss Kun­ners­dorf. Durch die Boden­re­form 1945/46 ist das Rit­ter­gut ent­eig­net wor­den. Als “Sied­ler­gut” nahm es Ver­trie­be­ne aus ehe­ma­li­gen deut­schen Ost­ge­bie­ten auf, die hier einen neu­en Anfang als selb­stän­di­ge Land­wir­te fan­den. An die­ser Stel­le ist ein­zu­fü­gen, dass zum Kun­ners­dor­fer Rit­ter­gut im Osten der Gemar­kung ein Vor­werk gehör­te. Nach­weis­lich schon seit dem Anfang des 17. Jahr­hun­derts bestehend, wur­de es spä­ter Char­lot­ten­hof genannt. Hans-Joa­chim Sci­bor­ski, Bork­hei­de Aus: Kun­ners­dorf, Per­le am Wei­ßen Schöps. Lau­sit­zer Hei­mat­ver­lag 2009 Mit freund­li­cher Geneh­mi­gung desLau­sit­zer Hei­mat­ver­la­ges und des Stadt­BILD-Ver­la­ges Görlitz