Nach Weihnachten
Nach Weihnachten
Verglimmt sind die Lichter am Weihnachtsbaum,
Und Tannenduft erfüllt den Raum,
Verstummt der größte Kinderjubel,
Und ausgetobt der Christnachtstrubel,
Verklungen das „ Stille Nacht, heilige Nacht”,
Die Festtagsschüsseln sind leergemacht.
Von Karpfen, Wurst und Heringssalat,
Und was es sonst Rares gegeben hat.
Bald geht es wieder im alten Gang,
Man sitzt nicht mehr die Nächte lang,
Man schleppt sich nicht mehr mit Paketen,
Auch Heimlichkeit nicht mehr vonnöten.
Doch war die Zeit voll zarten Sorgen
Mir lieber als der Weihnachtsmorgen;
Denn Jeder weiß nun was er hat. —
Doch — wurden alle Wünsche satt?
Ich wollt’, ich könnt’ ein Maler sein,
Um die Geschichten groß und klein,
Am Weihnachtsabend zu gestalten,
Und ihren Ausdruck festzuhalten.
Was hätt’ ich alles da zu malen!
Hier dankbares, glückseliges Strahlen,
Dort wehmutvolle Freudentränen
Und heißes, ungestilltes Gähnen.
Hier glückliche Zufriedenheit,
Dort Trotz, Enttäuschung, scheler Neid!
Die sich am allermeisten freuten,
Steh’n heut bei unzufried’nen Leuten,
Und die auf weiter nicht gehofft,
Das sind die Reichstbeschenkten oft.
Die segenvollste Weihenacht
Hat der der viele frohgemacht —
Wie heut, so fühlt man nirgends mehr
Dass geben doch weit seliger.
Doch hat das Schenken seine Mucken —
Wer kann auch gleich ins Herze gucken?
Du schenkest deinem Schatz ein Kleid —
Sie wünschte eine Kleinigkeit
Von Amethysten und Rubinen;
Darum die sauersüßen Mienen,
Drum leisten sie sofort Verzicht,
Als Männchen vom Theater spricht.
Du wähltest wohI marineblau,
Sie aber dachte: mausegrau.
Der Fächer im RokokostiI —
Er lässt die Holde gänzlich kühl.
Du weißt es nicht, sonst weiß es Jeder:
Sie schwärmt doch stets für Straußenfeder.
Der Onkel wählte für die Nichte
Carl Geroks herrliche Gedichte —
„Nein, wie geschmacklos! Welcher Hohn!
Sind wir denn noch in Pension?
So was mag wohl ein – Backfisch lesen
Noch besser passt ’s für ’n Küchenbesen.”
Jedoch das heutige Geschlecht,
Kennt „Neue Bahnen” nur als echt;
Die wahre Kunst liegt im Roman
Von “Zola oder — Sudermann.”
Auch bei dem liebevollen Neffen,
Ist’s gar sehr schwer, das Rechte treffen.
Ein Hundertmarkschein ist willkommen,
Doch werden mehr’ auch angenommen.
Nun, freut denn Niemand sich so recht?
Die Kinderfreude ist doch echt?
Ach — lieber Freund — es wird mir schwer
Zu sagen: Kinder gibt ‘s kaum mehr.
Ein Kind, das recht sich freuen kann
Ist rar, und wir — sind schuld daran.
Wir machen ihre Wunsche groß
und ihre Weihnacht — weihelos.
Doch still’, ich will nicht weiter klagen,
Will auch nicht viel von jenen sagen,
Die reich bedacht zur Weihnachtszeit.
Durch christliche Barmherzigkeit,
Und die dafür, anstatt zu danken,
Auf Gaben und auf Geber — zanken.
Und doch hat unterm Weihnachtsbaum
Noch so unendlich Liebe Raum.
Ich weiß manch’ Stübchen, klein und stille,
Da wohnt das Glück in reicher Fülle,
Ob auch die Gabe noch so klein —
Das macht: Die Herzen waren rein
von Neid und von Begehrlichkeit;
Da gab es sel’ge Weihnachtszeit!
Von Emil Barber, Görlitz
In: Görlitzer Dichterheim.
Verlag Eugen Munde, Görlitz 1903
Mit freundlicher Genehmigung StadtBILD-Verlag Görlitz.