Verschlagwortet: Geestemünde

Kriegsfischkutter “Wilhelm Peter” schwimmt nicht mehr

Kriegs­fisch­kut­ter “Wil­helm Peter” schwimmt nicht mehr

Seit fast 20 Jah­ren lag der ehe­ma­li­ge Kriegs­fisch­kut­ter “Wil­helm Peter” im Fische­rei­ha­fen. Aus den Außen­bord­laut­spre­chern erklang stets fröh­li­che Musik. Über die Top­pen geflagg­te Signal­flag­gen und ein klei­nes Schild­chen “Zum Absa­cker – herz­lich will­kom­men” luden zu Kaf­fee und Kuchen ein. Damit ist nun Schluss, ver­gan­ge­nen Mon­tag muss­te das Schiff geräumt werden.

Kriegsfischkutter "Wilhelm Peter"

Der Kriegs­fisch­kut­ter “Wil­helm Peter” wur­de 1943 als KFK 185 auf der Bur­mes­ter­werft in Swi­ne­mün­de gebaut. Von den 1072 Kut­tern, die die Mari­ne 1942 in Auf­trag gab, wur­den 612 Kut­ter in Dienst gestellt. Einer davon war der Kriegs­fisch­kut­ter “Wil­helm Peter”. Das mit einem 220-PS star­ken Die­sel­mo­tor aus­ge­stat­te­te Schiff bekam die Seri­en­num­mer 185 und dien­te als Vor­pos­ten­boot in der Nord- und Ostsee.

Nach dem Krieg tauf­te man das Schiff in “Wil­helm Peter” um und setz­te es bis 1955 zum Lachs­fang ein. In der Fol­ge­zeit wech­sel­ten die Eig­ner mehr­fach, bis der Kut­ter 1985 zu einem Expe­di­ti­ons­schiff mit voll­kli­ma­ti­sier­ten Kabi­nen umge­baut wur­de, um Wracks zu suchen und mari­ne­his­to­ri­sche Kul­tur­stät­ten zu fin­den. Bre­mer­ha­ven wur­de nun der Hei­mat­ha­fen, und hier lag der ehe­mail­ge Kriegs­fisch­kut­ter seit 1998 als schwim­men­de Gast­stät­te fest an einer Kaje im Fischereihafen.

Kriegsfischkutter "Wilhelm Peter"

Wer Lust hat­te, ging an Bord, nahm an Ober­deck an einem klei­nen Tisch­chen Platz und ließ bei Kaf­fee und Kuchen sei­nen Blick über den Fische­rei­ha­fen schwei­fen. Und hör­te gespannt zu, wie der Kapi­tän Her­bert Gre­gor Dönt­jes aus Zei­ten erzähl­te, als er mit dem Zwei­mast-Gaf­fel-Seg­ler  unter­wegs auf Wrack­su­che war. Bis zu zwei Jah­re dau­er­ten sei­ne Expe­di­tio­nen in die Kari­bik, nach Pana­ma, Gua­te­ma­la oder Hon­du­ras. Und natür­lich immer dabei sei­ne Ehe­frau Laura.

Kriegsfischkutter "Wilhelm Peter"

Aber jetzt hat für den Motor-Gaf­fel-Seg­ler  wohl das letz­te Stünd­lein geschla­gen. Zwar hal­ten die Gre­gors ihren alten Kriegs­fisch­kut­ter “Wil­helm Peter” für sicher, aber eine von der FBG gefor­der­te Schwimm­fä­hig­keits­be­schei­ni­gung für den Kut­ter sol­len sie nicht vor­ge­legt haben. Die Fische­rei­ha­fen-Betriebs­ge­sell­schaft (FBG) ist jeden­falls der Mei­nung, dass der Rumpf der “Wil­helm Peter” maro­de ist. Um eine end­gül­ti­ge Sicher­heit über den Zustand des Rump­fes zu erlan­gen, soll der Hafen­ka­pi­tän eine Besich­ti­gung des Unter­was­ser­schif­fes an Land oder in einem Dock für erfor­der­lich halten.

Kriegsfischkutter "Wilhelm Peter"

Nur durch ste­ti­ges Abpum­pen von ein­ge­drun­ge­nem Was­ser konn­te bis­her ver­hin­dert wer­den, dass der Kut­ter sinkt. Und nach­dem Tau­cher ober­halb der Was­ser­li­nie gro­ße Löcher im Rumpf ent­deckt haben, kam es, wie es kom­men muss­te. Am ver­gan­ge­nen Mon­tag ließ ein Gerichts­voll­zie­her die “Wil­helm Peter” zwangs­wei­se räumen.

Anschlie­ßend wur­de das 120 Ton­nen schwe­re Schiff am fol­gen­den Diens­tag mit einem Schwimm­kran aus dem Was­ser geho­ben. Ein Gut­ach­ter stuf­te die “Wil­helm Peter” als Wrack ein und glaubt nicht dar­an, dass sie jemals in das nas­se Ele­ment zurück­keh­ren wird. Zunächst lagert sie nun, geschützt durch einen Bau­zaun, im Fische­rei­ha­fen auf einem Holzbalken.

Kriegsfischkutter

In den Jah­ren 2013 und 2014 sind im Fische­rei­ha­fen die bau­glei­chen Kut­ter “See­lust” und “Thor” gesun­ken. Ursa­che waren in bei­den Fäl­len schad­haf­te Rümp­fe. Wäre der ehe­ma­li­ge Kriegs­fisch­kut­ter “Wil­helm Peter” von einem glei­chen Schick­sal ereilt wor­den, hät­te der Steu­er­zah­ler für Ber­gungs­kos­ten von min­des­tens 150.000 Euro auf­kom­men müs­sen. Die Schiffs­eig­ner sol­len näm­lich nicht ent­spre­chend ver­si­chert gewe­sen sein. 
Quel­len:
Andrea Lam­mers: Sonn­tags­jour­nal vom
20.07.2014, Sei­te 3
Wolf­gang Ehr­ecke: Nord­see-Zei­tung vom
08.01.2015, Seite11
Mar­cel Ruge: Nord­see-Zei­tung vom
03.02.2015, Sei­te 9
Mar­cel Ruge: Nord­see-Zei­tung vom
04.02.2015, Sei­te 13
wikipedia.org

Oda Kelch: Erinnerungen an meine Georgstraße

Erin­ne­run­gen an mei­ne Georg­stra­ße” habe ich die­sem Arti­kel als Über­schrift gege­ben. Dazu mei­nen ganz lie­ben Dank an Oda Kelch, die mir ihre auf­ge­schrie­be­nen Kind­heits­er­in­ne­run­gen an “ihre gelieb­te Georg­stra­ße” zur Ver­fü­gung gestellt hat mit der Erlaub­nis, die­sen Wis­sens­schatz für die Leser des “Deich­SPIE­GEL” zu veröffentlichen. 

Erinnerungen an meine Georgstraße

Seit 1847 gibt es Geest­e­mün­de, vom dama­li­gen König Georg V ( Sohn von König Ernst August, vor­mals Her­zog von Cum­ber­land — Sohn Georg III von Eng­land — und sei­ner Gemah­lin Frie­de­ri­ke, Schwes­ter der belieb­ten Köni­gin Lui­se von Preu­ßen ) gegrün­det. Seit 1862 die Eisen­bahn­ver­bin­dung, die “Geest­e­bahn”, nach Bremen.

Erinnerungen an meine Georgstraße

Und einer von den dort beschäf­tig­ten Loko­mo­tiv­füh­rern war mein Urgroß­va­ter. Er bewohn­te mit sei­ner Fami­lie eine Dienst­woh­nung nahe dem Bahn­hofs­ge­bäu­de, Ecke Ell­horn­stra­ße und war ein­ge­fleisch­ter “Wel­fe”, wie sich die dama­li­gen “Fans” des han­no­ver­schen Königs­hau­ses nannten.

1864 wur­de mein Groß­va­ter Bern­hard Knob­lauch gebo­ren. Zwei Jah­re spä­ter dann die natio­na­le Kata­stro­phe: König­grätz. Das Water­loo für alle “Wel­fen”. Aber spä­ter nahm mein Urgroß­va­ter die preu­ßi­sche Pen­si­on ohne Mur­ren hin. Mit den neu­en Her­ren wur­de vie­les anders. Der Bahn­hof wur­de um etli­ches erwei­tert, und dafür muss­ten die Dienst­woh­nun­gen abge­ris­sen und die Bewoh­ner umge­sie­delt wer­den. Knob­lauchs zogen um in die dama­li­ge Markt­stra­ße, heu­te Ver­de­ner Stra­ße, in Altgeestemünde.

Ihre Nach­barn waren Harz­mey­ers, deren Fami­li­en­ober­haupt der Schuh­ma­cher Her­mann war. Wie vie­le Kin­der jede Fami­lie hat­te und um wel­che Zeit sich das alles abspiel­te, weiß ich nicht. Von Erzäh­lun­gen mei­ner Mut­ter, Groß­mutter, ‑vater, ‑tan­te ist mir ledig­lich bekannt, dass mein Groß­va­ter und der Sohn Her­mann Harz­mey­er enge Freun­de wur­den. Jung-Harz­mey­er lern­te das Schuh­ma­cher-Hand­werk, mein Groß­va­ter das des Uhr­ma­chers. Nach der Leh­re ging er als Gehil­fe für eini­ge Zeit nach Sangershausen.

Erinnerungen an meine Georgstraße

Als er zurück­kam und sei­nen Freund und Nach­barn begrü­ßen woll­te, stand des­sen Schwes­ter  Hele­ne  im Raum. Nach sei­nem Weg­gang sag­te sie ent­setzt zu ihrer Mut­ter: ” Nee doch, dis­sen swat­ten Dübel!” — Kur­ze Zeit spä­ter waren sie ver­lobt. Das alles spiel­te sich in Geest­e­mün­de ab. Süd­öst­lich davon lag — und liegt heu­te noch — die Gemar­kung Geest­en­dorf, durch die sich die Bre­mer Land­stra­ße hin­zog. Sie war in “Georg­stra­ße” umbe­nannt wor­den ( nach dem letz­ten han­no­ver­schen König ) und soll­te nun bebaut wer­den. Mein Groß­va­ter und sein — mitt­ler­wei­le — Schwa­ger grif­fen zu.  Auch hier­von weiß ich nicht die Zeit. Es muss in den aus­ge­hen­den 1980er Jah­ren gewe­sen sein.

Mein Opa hat­te im Haus Georg­stra­ße 43 einen Laden, in dem er in einem Hin­ter­zim­mer sei­ne Werk­statt und die Fami­lie ihre Wohn­räu­me ein­schließ­lich Küche hat­te. Irgend­wann gab es auch Gas­be­leuch­tung. Die dazu­ge­hö­ri­gen Roh­re waren noch 1944 zu sehen. Da mein Groß­va­ter immer die Nase vorn hat­te, gab es aber bald Elek­tri­zi­tät. Haus­be­sit­zer war sei­ner­zeit noch ein Tier­arzt. Um das Vieh auf dem Hof anzu­bin­den, hat­te er Rin­ge in das Neben­haus Nr. 45 schla­gen las­sen, die von spä­te­ren Gene­ra­tio­nen Mäd­chen zum Seil­sprin­gen benutzt wurden.

Wie kam man auf den Hof, der doch rings­um von Gebäu­den umge­ben war? Wenn man sich das Haus auf alten Fotos ansieht, erkennt man ganz links ein Bar­bier­ge­schäft. Das gab es ursprüng­lich nicht, denn da war die Ein­fahrt zum Hof. Als man die nicht mehr brauch­te, hat man davon einen Laden gemacht.

Wann mein Opa das Haus kau­fen konn­te, weiß ich nicht. Mei­ne Mut­ter und ihre Schwes­ter haben jeden­falls ihre ers­ten Lebens­jah­re noch im Laden ver­bracht. “Von Sporn un Worn kommt Heb­ben von her” — und die Ver­mie­tung der Woh­nun­gen brach­te schon aller­lei ein. Da konn­te man sich selbst einschränken.

Irgend­wann wur­de das Hin­ter­haus gebaut. Zunächst als Wohn­haus, dann als Dru­cke­rei. Bis nach dem Krieg war die “Weser­dru­cke­rei” Inha­ber. Frü­he­re Inha­ber waren u.a. Nieb­ling & Feld­ba­cher, die im Vor­der­haus den klei­nen Laden links vom Ein­gang, also zwi­schen dem gro­ßen Laden und dem Bar­bier hat­ten. Wie lan­ge, das weiß ich nicht. Mei­ne Erin­ne­rung setzt erst ein, als Herr und Frau Birn­baum dort ein Musi­ka­li­en­ge­schäft hat­ten. Das Inter­es­san­tes­te an ihnen war, dass sie nicht in einem gewöhn­li­chen Haus wohn­ten, son­dern hin­ten in Lehe in einem Wochen­end­haus, und bei einer Über­schwem­mung ihre Hüh­ner im Wohn­haus hat­ten. Ich habe es mir ange­se­hen als mein Vater mit mir dahin fuhr.

Anfang des Krie­ges zogen sie aus. Thams & Garfs hat­ten Inter­es­se an unse­rem gro­ßen Laden. Da nahm mein Vater den klei­nen und über­ließ ihnen den ande­ren. Aber ich grei­fe schon vor.

Irgen­wann zogen mei­ne Groß­el­tern in den zwei­ten Stock des Hau­ses. Auf dem Foto steht mei­ne Groß­mutter mit mei­ner Mut­ter (gebo­ren 1896) und mei­ner Tan­te (gebo­ren 1898) auf dem Bal­kon. Aus den Fens­tern gucken die übri­gen Haus­be­woh­ner, denn es war ja vor­her ange­kün­digt wor­den, dass ein Foto­graf kommt. Unten im gro­ßen Haus­ein­gang steht mein Groß­va­ter mit Ange­stell­ten oder Passanten.

Das Haus hat­te zwei Eta­gen mit ins­ge­samt vier Woh­nun­gen. Ganz oben war ein gro­ßer Boden mit etli­chen Boden­kam­mern und einer Wasch­kü­che, die mein Groß­va­ter nach den moderns­ten Gesichts­punk­ten hat­te ein­rich­ten las­sen. Der übri­ge Boden­raum war mit Lei­nen bespannt und dien­te zum Trock­nen. Aller­dings waren auch Zieh­lei­nen von den Bal­kons zum Kon­tor­haus der Dru­cke­rei gespannt zum Trock­nen bei schö­nem Wet­ter. Noch heu­te habe ich das Quiet­schen und das Geräusch der ros­ti­gen Sei­le beim Hin- und Her­zie­hen in den Ohren.

Außer­dem lagen auf dem Boden die Fah­nen. Mei­ne ers­te Erin­ne­rung waren die schwarz-weiß-rote, gro­ße, lan­ge, schwe­re. Spä­ter irgend­wann kam eine klei­ne Haken­kreuz­fah­ne dazu. Und eines Tages gab es nur noch sol­che, aber auch gro­ße. Geflaggt wur­de viel. War auch kein Pro­blem. Nur waren die Mas­ten so schwer, dass nur Män­ner sie bewäl­ti­gen konn­ten. Und für uns Kin­der jedes Mal span­nend. Mein Groß­va­ter und mein Vater haben aber sicher­lich mit den Zäh­nen wegen der Ände­rung zum Haken­kreuz geknirscht. Gesagt haben sie in Gegen­wart von uns Kin­dern nichts — wie eh und je.

Und dann war da oben noch eine Kam­mer. Wir waren ja in Preu­ßen (oder war das woan­ders auch so?). Ob sie jemals dazu gedient hat, Ein­quar­tie­rung auf­zu­neh­men, weiß ich nicht. Ich habe nur in Erin­ne­rung, dass wir ein­mal wel­che hat­ten, ob Sol­da­ten oder “braun”. Ansons­ten spiel­ten wir Kin­der gern dar­in, weil da alte aus­ran­gier­te Möbel stan­den, die so herr­lich rochen, knarr­ten, quietsch­ten und das Fens­ter so schön nied­rig war, und man so weit gucken konnte.

Am schöns­ten war ein alter Bar­bier­stuhl aus dem Nach­lass mei­nes Groß­va­ters Andre­as Kelch. Viel anfan­gen konn­ten wir nicht mit dem Möbel­stück, aber er dreh­te sich wie unser Kla­vier­ho­cker. Dass man sol­che Behau­sung anbot, ver­ste­he ich heu­te nicht. Es fehl­te näm­lich die heu­te selbst­ver­ständ­li­che sani­tä­re Ein­rich­tung. Statt des­sen: Nacht­pott und Waschschüssel.

Der sani­tä­re Stan­dard, den wir heu­te haben, fehl­te sowie­so im Haus. Flie­ßend Kalt­was­ser gab es zwar in jeder Woh­nung. Aber die Klo­setts waren auf dem Bal­kon, bzw. ein Pis­soir für die Läden auf dem Hof. Mei­ne Groß­el­tern hat­ten in ihrer Woh­nung aus einem Zim­mer ein Bade­zim­mer machen las­sen. Das war wohl auch spä­ter sehr nötig, denn mein Groß­va­ter war durch einen Schlag­an­fall halb­sei­tig gelähmt.

Erinnerungen an meine Georgstraße

Doch erst mal wie­der zurück zur Anfangs­zeit. Bern­hard Knob­lauch hat­te das Haus Georg­stra­ße 43, sein Freund und Schwa­ger — viel­leicht auch noch sein Schwie­ger­va­ter — das Haus Georg­stra­ße 41. Auf jeden Fall aber sei­ne Schwie­ger­mut­ter, Oma Harz­mey­er Tabe­ta, geb. Mahl­stedt aus Gan­der­ke­see, mei­ne Urgroß­mutter. Die hat­te die Hosen an! Ihre Toch­ter, mei­ne Groß­mutter, eben­so. Das war wohl so üblich. Sie waren die See­le vom Gan­zen. Wie hät­ten die Hand­wer­ker es sonst schaf­fen kön­nen? Mein Opa Knob­lauch brach­te zum Bei­spiel häu­fig bei ihm gekauf­te oder repa­rier­te gro­ße Uhren per­sön­lich zu den Kun­den auf das Land, denn er hat­te eine gro­ße Land­kund­schaft. Daher war es auch selbst­ver­ständ­lich, dass er platt schnack­te — und Frau und Toch­ter, die im Laden hal­fen, ebenso.

Das alles ohne eige­nes Fahr­zeug. Er war auf öffent­li­che Trans­port­mit­tel ange­wie­sen und mach­te vie­le Stre­cken zu Fuß. Es gab aber auch Lus­ti­ges: eines Tages kam eine Frau in den Laden und ließ sich ziem­lich kost­spie­li­gen Schmuck vor­le­gen. Als mei­ne Mut­ter dann vor­sorg­lich auf den hohen Preis hin­wies, erwi­der­te sie see­len­ru­hig: “Macht nix, min Mann fohrt dor ja för.”

Heu­te, 2014, wird in den Medi­en immer wie­der auf die ver­gan­ge­nen 100 Jah­re hin­ge­wie­sen und man könn­te glau­ben, sie erzäh­len von der Stein­zeit. Mir dage­gen sind die ver­gan­ge­nen 100 Jah­re wie ges­tern, obwohl ich sie nur zur Hälf­te erlebt habe. Das habe ich mei­ner Mut­ter, mei­nen Groß­el­tern und Tan­ten zu ver­dan­ken. Die konn­ten viel erzäh­len. Irgend­wo in Geest­e­mün­de, in der Georg­stra­ße und “umzu” wohn­ten sie alle, kann­ten sich alle, waren zusam­men zur Schu­le oder in die Tanz­stun­de gegan­gen, hat­ten bei Fräu­lein Block in der Gra­ben­stra­ße (heu­te Ram­sau­er­stra­ße) Weiß­nä­hen gelernt, oder “die fei­ne Küche” bei Lehr­ke, oder hat­ten Wan­de­run­gen mit dem Wan­der­vo­gel gemacht, waren in einem Turn­ver­ein (GTV oder GSC) oder Gesangs­ver­ein oder zog mit dem Wan­der­vo­gel durch die Lande.

Erinnerungen an meine Georgstraße

Es gab noch kei­ne Teen­ager, aber dafür Back­fi­sche. Und die gin­gen auf der Georg­stra­ße bum­meln (Die Stei­ge­rung war “bür­gern”). Mit 14 Jahr und 7 Wochen ist der Back­fisch aus­ge­kro­chen. Dafür gab es extra Kett­chen mit einem klei­nen Fisch. Zu mei­ner Zeit war das nur noch Erin­ne­rung mei­ner Mut­ter und Tan­ten. Die­se 14/15jährigen trip­pel­ten dann mit ihren Stie­fel­chen und Hin- und Her­bü­del (Pom­pa­dur) die Georg­stra­ße auf und ab, schiel­ten ver­stoh­len zur Sei­te, wo die Pen­nä­ler eben­falls auf und ab schlen­der­ten und ver­mut­lich auch ver­stoh­len zu den jun­gen Damen schiel­ten. Jeden­falls zogen sie hin und wie­der ihre damals übli­chen Schü­ler­müt­zen zum Gruß. Sehr förm­lich! Auf der weib­li­chen Sei­te wur­de die Gegrüß­te sicher­lich rot und ver­le­gen — ver­gaß aber nicht, die Sache ins Notiz­buch einzutragen.

War die Cho­se vor­bei, wur­de unter den Freun­din­nen aus­ge­zählt, wer die meis­ten Grü­ße bekom­men hat­te. Aber nicht nur die Anzahl zähl­te, son­dern auch — und vor allen Din­gen — die Far­be der Müt­zen. Ein­zel­hei­ten weiß ich nicht mehr, aber soviel, dass die wei­ßen den höchs­ten Wert hat­ten. Das waren die Pri­ma­ner (spä­ter Ober­pri­ma­ner). Aber auch die­se Epi­so­den habe ich nicht mehr erlebt.

Mei­ne Erin­ne­rung von der Georg­stra­ße 43, in der ich auf­ge­wach­sen bin, setzt eigent­lich ein mit dem Aus­gu­cken vom Erker­fens­ter mei­ner Groß­el­tern. Das war unge­heu­er viel. Anfang der 1930er Jah­re. Da fuh­ren noch Pfer­de­fuhr­wer­ke durch die Stadt, Rind­vieh wur­de — ich weiß nicht, woher — durch die Stra­ße zum Schlacht­hof getrie­ben. Ein­mal woll­te eine Kuh nicht mit­ma­chen son­dern zog unse­ren Haus­ein­gang und den dahin­ter lie­gen­den Hof und Gar­ten vor. Mein Vater, der den Umgang mit Vie­chern kann­te, brach­te sie dann wie­der zur Her­de zurück.

Dann war da auch ein Stein­koh­len­wa­gen, mit dem die Häu­ser von der Stra­ße her belie­fert wur­den. Und Frau Sche­we an der Ecke Georg- und Ram­sau­er­stra­ße, unse­rem Erker direkt gegen­über, die vom ihrem Kar­ren aus per Liter­maß Gra­nat verkaufte.

Und der Later­nen­mann. Vor unse­rem Haus stand eine alte Later­ne. Wie­so, weiß ich nicht, denn es gab doch nor­ma­ler Wei­se Stra­ßen­be­leuch­tung. Und zu eben die­ser Later­ne kam hin und wie­der ein Later­nen­mann mit einer lan­gen Stan­ge. Was er damit oben an der Later­ne mach­te, weiß ich nicht.

Erinnerungen an meine Georgstraße

Eben­so schön anzu­se­hen waren die Trau­er­zü­ge. Ach, waren die schön! Eine Kut­sche wie für einen König, aber nicht gol­den son­dern schwarz, mit Kut­scher, und viel Blu­men und Musik­ka­pel­le, die den Trau­er­marsch spiel­te. Opa sang dann immer: “Ach, nun trinkt er kei­nen Rots­pon mehr.” Meis­tens gin­gen vie­le Men­schen mit. Dann schau­kel­te die Men­ge im ein­tö­ni­gen Rhyth­mus immer von links nach rechts und wie­der zurück.

Aber auch moder­ne Fahr­zeu­ge gab es zu sehen: Autos! Wir hat­ten Spaß dar­an, uns die KFZ-Num­mern anzu­se­hen. IA war Ber­lin , die ande­ren weiß ich nicht. Ich glau­be, wir, das heißt unse­re Umge­bung, gehör­ten zu Han­no­ver und war IIIA. Inter­es­san­ter war für mich damals, dass die Wagen sich so ver­än­der­ten. Zum Bei­spiel die Schein­wer­fer oder die Fens­ter oder die Hupen. Wir setz­ten unse­ren Ehr­geiz dar­ein, die Autos mit ihrem Namen zu ken­nen: Opel, Adler, Ford — aber damit war mein Bedarf dann auch gedeckt. Wir hat­ten kein Auto, mein Vater spar­te auf einen VW.

Spä­ter kamen dann die Blau­en Jungs. Die mar­schier­ten mit Gesang durch die Stra­ße, mal in blau, mal in Trai­nings­zeug. Irgend­wo im Süden hat­ten sie einen Trai­nings­platz — und im Nor­den war ihre Kaser­ne. Und hin und wie­der war es auch braun. Ich hat­te immer mei­nen Spaß an den Dane­ben­lau­fen­den, die dann immer “links, links, links zwo drei vier” schrien um eini­ger­ma­ßen Gleich­schritt in die Trup­pe zu kriegen.

Noch konn­te man quer über die Stra­ße zur ande­ren Sei­te lau­fen. Damit war irgend­wann Schluss. Ein Schu­po stand in der Mit­te der Georg­stra­ße, da wo sich die Bucht- und die Ram­sau­er­stra­ße tra­fen, und regel­te den Ver­kehr. Wir Kin­der spiel­ten mit Oma und Opa ein Brett­spiel, das uns die Ver­kehrs­re­geln beibrachte.

Nur frei­tags­nachts war von der neu­en Ord­nung nichts mehr zu spü­ren. Dann beka­men die Arbei­ter von See­becks Werft ihren Lohn. Wer nicht schon am Tor von sei­ner Frau abge­fan­gen wor­den war und mit dem Zug nach Haus fah­ren muss­te, kam auf dem Weg zum Bahn­hof durch die Ram­sau­er­stra­ße, in der es eine Knei­pe gab. Von unse­rem Kin­der­zim­mer­fens­ter aus konn­te man direkt in die Ram­sau­er­stra­ße sehen. Wenn wir in unse­ren Bet­ten lagen, hör­ten wir dann die Grö­le­rei und spä­ter den Krach beim Ver­las­sen des Lokals.

Eines Nachts war es anders, es war kein Frei­tag und kein Sau­ferei­ge­grö­le, es war ein ande­res Gegrö­le und viel, viel Schei­ben­ge­klir­re. Es war, als leg­te sich ein schwe­res Brett über uns. Wir Kin­der ver­such­ten, aus dem Fens­ter zu sehen, wur­den aber von den Eltern zurück­ge­hal­ten. An irgend­wel­che Gesprä­che mit ihnen kann ich mich nicht erin­nern. Es war der 9. Novem­ber 1937. Auch an Rauch­ge­ruch kann ich mich nicht erinnern.

Am nächs­ten Tag fehl­te Hen­ni Horn­berg in der Klas­se. Hen­ni war Jüdin und saß in der Bank­rei­he neben mir auf der ande­ren Sei­te. Ich wuss­te, dass ich nicht mit ihr und sie nicht mit mir spre­chen durf­te. Hat­te es aber den­noch getan. Wir hat­ten eine Leh­re­rin, Fräu­lein Jun­ge, die so war, wie ein Mensch sein muss. Und eine Leh­re­rin ist für alle da. Und so ach­te­te sie immer dar­auf, dass Hen­ni eine Schü­le­rin wie alle ande­ren war. Ob Fräu­lein Jun­ge nicht merk­te, dass ich mit Hen­ni sprach, glau­be ich nicht, denn sie bemerk­te in mei­nem Zeug­nis: “Oda muss bedeu­tend ruhi­ger wer­den.” Aber zu mei­ner Quas­se­lei mit Hen­ni sag­te sie nie was.

Als Hen­ni dann wie­der­kam, frag­te ich sie sofort wegen der Nacht aus, und sie erzähl­te mir, dass man bei ihnen die Schei­ben ein­ge­schla­gen und ihren Vater mit­ge­nom­men hät­te. Ihrer klei­nen Schwes­ter haben sie dann gesagt, dass der Papa bald wie­der­kom­men und Bon­bons mit­brin­gen wür­de. Das war das Letz­te, was ich von Hen­ni weiß. Spä­ter, als ich mal einen Tag nicht in der Klas­se war, sind — so wur­de mir spä­ter erzählt — zwei Män­ner in Män­teln gekom­men und haben sie abge­holt. Da hat Fräu­lein Jun­ge dar­um gebe­ten, dass Hen­ni noch ein Lied für alle singt, weil sie das so gern tat. Als Jüdin durf­te sie zwar kei­ne “deut­schen” Lie­der sin­gen. Aber gegen jüdi­sche Kom­po­nis­ten war nichts ein­zu­wen­den. Also sang sie “Ich hab ein Diw­an­püpp­chen süß und rei­zend wie du” aus einer Ope­ret­te von Paul Abra­ham, das sie auch liebte.

Jah­re spä­ter las ich, dass sie und ihre Fami­lie in Minsk umge­bracht wor­den ist. Mei­ne Mut­ter und ich lasen das zusam­men anläss­lich einer Ver­an­stal­tung. Für mei­ne Mut­ter wur­den vie­le Erin­ne­run­gen wach, und sie erzähl­te mir von jüdi­schen Geschäfts­leu­ten, bei denen sie und die bei ihrem Vater Kun­den gewe­sen waren und wel­che guten Geschäfts­ver­bin­dun­gen man pfleg­te. Als sie zum Bei­spiel in der Kai­ser­zeit ihren ers­ten Faschings­ball hat­te, beriet sie einer der Her­ren. Und Fräu­lein Lieb­mann, deren Geschäft spä­ter ari­siert wur­de, hat­te immer etwas Beson­de­res für sie. Sie wur­de auch umge­bracht. Mei­ne Mut­ter sprach noch jah­re­lang von ihr.

Uns gegen­über, Ecke Ram­sau­er­stra­ße, war Anton Kohn. Mein Groß­va­ter und spä­ter mein Vater stan­den immer mal im gro­ßen Haus­ein­gang um “fri­sche Luft zu schnap­pen”. Da pas­sier­te es häu­fig, dass Herr Kohn sich zu ihnen gesell­te. Wir kauf­ten oft bei ihm, beson­ders in den “wei­ßen Wochen”. Und er war Kun­de von uns. Fräu­lein Lieb­mann natür­lich auch. Eines Tages war sein Geschäft arisiert.

Mei­ne Groß­el­tern hat­ten ein jun­ges Mäd­chen im Haus­halt, das vor­her bei Juden gear­bei­tet hat­te. Natür­lich frag­te mei­ne Mut­ter sie danach aus. Dadurch erfuhr sie etwas über die Sit­ten und konn­te Jah­re spä­ter mir von Milch­ding­tisch und Fleisch­ding­tisch erzäh­len, von koscher und von Rabbi.

Mei­ne Mut­ter hat­te noch inten­si­ver in das jüdi­sche Leben sehen kön­nen. Am 10. Novem­ber 1937 ging sie mit mir zusam­men zur bren­nen­den Syn­ago­ge an der Elbe­stra­ße. Sie brann­te nicht lich­ter­loh, man konn­te sie betre­ten. Ich habe mei­ne Mut­ter nie wie­der so bedrückt gese­hen. Sie wirk­te wie irgend­was Ver­lo­re­nes. Geweint hat sie nicht, auch nicht unter­drückt. Dann trat sie an das Har­mo­ni­um und nahm die ver­kohl­ten Noten­blät­ter in die Hand. Ich glau­be, sie hat mich gar nicht wahr­ge­nom­men — oder war inner­lich froh, mich bei sich zu haben. Vie­le Jah­re spä­ter erzähl­te sie mir, dass sie eine Klas­sen­ka­me­ra­din gehabt hät­te, die sie zu sich, zu ihrer Fami­lie ein­ge­la­den hät­te. Ihr Vater war Kan­tor in der Syn­ago­ge und wohn­te mit sei­ner Fami­lie auch dort. Natür­lich war mei­ne Mut­ter damals der Ein­la­dung gern gefolgt.

Wie man auf dem Bild sehen kann, sind die Häu­ser nicht Wand an Wand gebaut wor­den. Zwi­schen den Häu­ser­wän­den war jeweils ein Sicher­heits­gang wegen even­tu­el­ler Feu­ers­ge­fahr. Das war nicht bei allen Häu­ser­zei­len der Fall. Man­che hat­ten brei­te Gän­ge. Ich glau­be, das waren frü­her Ein­fahr­ten zum Hof gewe­sen — wie bei uns. Auch in der Thee­stra­ße 7, in dem Haus mei­nes Urgroß­va­ters Schmidt, und auch im alten Harz­mey­er­schen Haus war die Ein­fahrt inner­halb des Hau­ses. Von dort gelang­te man ins Trep­pen­haus. Wenn wir nicht erwischt wur­den, spiel­ten wir gern bei schlech­tem Wet­ter in die­sen geschütz­ten Räu­men. Aber das hat­ten die Bewoh­ner nicht so gern, denn wir waren ja nicht lei­se, und mit Roll­schu­hen auf Flie­sen — das macht Krach.

Ein Zwi­schen­gang war am Ende des Hau­ses Georg­stra­ße 45, das spä­ter das Kino “Metro­pol” war. Die­ser Gang war von unse­rem Gar­ten aus über eine Grot­te zu errei­chen. Natür­lich war uns ver­bo­ten, über die­se Grot­te zu stei­gen. Aber natür­lich taten wir es doch. Die Toi­let­ten­fens­ter des Kinos lagen näm­lich zu die­sem Gang hin. Da wäre es doch ein leich­tes gewe­sen, auf die­sem Weg umsonst einen Film sehen zu kön­nen. Ja, wenn unse­re Bei­ne lang genug gewe­sen wären. So blieb uns nur das Zuhö­ren, wenn bei war­men Wet­ter die Fens­ter zu unse­rem Hof geöff­net wur­den. Ver­stan­den haben wir nichts. Nur die Lach­sal­ven und die Musik waren hörbar.

Ich kann mich nicht mehr an ein­zel­ne Geschäf­te erin­nern. Wenn mei­ne Mut­ter und ihre Freun­din­nen in Erin­ne­run­gen kram­ten, kamen oft ganz unter­schied­li­che Fir­men­na­men ins Gespräch, weil ja im Lau­fe der Jah­re die Besit­zer wech­sel­ten. Für uns Kin­der waren meis­tens auch nur die inter­es­sant, bei denen es “sich lohnte”.

Da war denn am nächst­ge­le­ge­nen das Schuh­haus Staf­felt in Georgsta­ße 41. Mein Urgroß­va­ter Her­mann Harz­mey­er war längst tot und sein Sohn — Her­mann H. Harz­mey­er — auch. Der Nach­fol­ger war Hugo Staf­felt. Natür­lich war für uns Kin­der kein Unter­schied, ob Onkel Her­mann oder Staf­felt. Und immer “gab es was zu”. Da ich ange­hal­ten war, nie etwas für mich allein zu erwar­ten, son­dern auch für mei­nen klei­nen Bru­der, den ich “Bibi” (Baby) nann­te, zu bit­ten, mach­ten sich Staf­felts einen Spaß dar­aus, mir alle Klei­nig­kei­ten nur ein­mal zu geben. Und prompt kam dann auch von mir: “Und ein für mein Bibi.”

Georg­stra­ße 39 war das Lebens­mit­tel­ge­schäft von See. Wohl­ge­merkt: zu mei­ner Zeit. Ich glau­be aber, dass da vor­her Duben­horst war. Wir konn­ten das vom Erker sehen. Zwi­schen Georg­stra­ße 39 und 37 war ein brei­ter Gang, durch den wir im Krieg zum dahin­ter­lie­gen­den Bun­ker lie­fen, wenn die Sire­nen heulten.

Georg­stra­ße 37 war — glau­be ich — Leder­wa­ren Reu­sche. Sie mach­ten nach dem Angriff auf der Weser­stra­ße ein Geschäft auf. In dem Haus in der Georg­stra­ße war noch ein Laden. Ich habe noch so Erin­ne­rung an Namen wie Korff oder Jor­dan und an Hüte. Was davon wohin gehört, weiß ich nicht.

Um so bes­ser bleibt mir sicher­lich bis an mein Lebens­en­de Frau Rog­ge in Georg­stra­ße 35. Frau Rog­ge hat­te eine Dro­ge­rie und zwei Söh­ne. Der eine hieß Eilert. Mehr weiß ich nicht von ihm Aber der Name gefiel mir so gut. Ob es einen Herrn Rog­ge gab und wie der ande­re Sohn hieß, weiß ich auch nicht. Aber es gab ja Frau Rog­ge! Wenn sie nichts zu tun hat­te und wir auf der Stra­ße spiel­ten, hat­te sie immer ein lie­bes oder lus­ti­ges Wort für uns. Sie stand dann gern in ihrer Laden­tür, wie ande­re Inha­ber es auch taten. Mir woll­te sie immer ein­re­den, dass ich eigent­lich “Sie­da” hie­ße. Denn als ich gebo­ren wor­den war und mein Vater mich hat sehen wol­len, konn­te er mich nicht im Bett fin­den, weil ich ja so klein war. Als er dann aber doch Erfolg hat­te, soll er erfreut geru­fen haben: “Sieh, da ist sie ja!”. Trotz etli­cher Wie­der­ho­lun­gen habe ich es ihr nicht geglaubt.

Geliebt habe ich sie aber wegen der Sal­mi­ak­pas­til­len. Wir muss­ten dann zu ihr in den Laden kom­men, Zun­ge raus­ste­cken und jeweils an einer Sal­mi­ak­pas­til­le lecken, die sie uns dann mit ande­ren zusam­men zu einem Stern auf unse­ren Hand­rü­cken kleb­te. Noch heu­te esse ich gern Sal­mi­ak­pas­til­len und den­ke dabei an Frau Rog­ge. Was aus ihr gewor­den ist, weiß ich nicht.

Ich glau­be, das Neben­haus war Bet­ten-Helm­ke. Dort wohn­te jeden­falls eine alte Dame mit einem Reh­pin­scher. Wenn die bei­den auf die Stra­ße kamen und wir mit unse­ren Pup­pen­wa­gen dort bereits spa­zier­ten, muss­te das arme Vieh dran glau­ben: es wur­de kut­schiert. Hat ihm wohl auch Spaß gemacht, denn ich kann mich nicht ans Gegen­teil erinnern.

Das war die Sache mit “Effie”, einem klei­nen lang­haa­ri­gen schwarz-wei­ßen Hund, der Fräu­lein Küp­pers gehör­te. Fräu­lein Küp­pers hat­te nicht nur die­se Furie von Hund, son­dern auch ein Mie­der­ge­schäft im Harz­mey­er­schen Haus, zwi­schen Staf­felt und Blu­men­haus Freund. Freund war spä­ter in unse­rem Haus, Staf­felt Ecke Loth­rin­ger- und Schil­ler­stra­ße und Fräu­lein Küp­pers in der Nähe des Hauptbahnhofes.

Was nach Bet­ten­haus Helm­ke kam, weiß ich im Ein­zel­nen nicht mehr. Es waren klei­ne Häu­ser. Und als Läden weiß ich nur noch Schlach­te­rei Bode, Fri­seur von Lie­nen, (hat ver­mut­lich bis Anfang der 20er Jah­re mei­nem Groß­va­ter Andre­as Kelch gehört), “Weser­mün­der Neu­es­te Nach­rich­ten”, Wirt­schaft Morg­ner, Bäcker Lin­de­mann, Fisch­ge­schäft Wes­ter­mann und Uhr­ma­cher (spä­ter Opti­ker) Baier.

Viel­leicht habe ich da was durch­ein­an­der bekom­men. Aber soviel weiß ich: Der Uhr­ma­cher Fried­rich Bai­er hat­te eine Frau Sophie, geb. Schmidt, Toch­ter von Kup­fer­schmied Schmidt aus der Thee­stra­ße. Ihre Schwes­ter war Lina, ihr Nach­bar der Bar­bier Andre­as Kelch. Sie konn­ten zusam­men nicht kom­men, denn er war Thü­rin­ger, sprach ein ande­res Deutsch und war trotz vie­ler Anstren­gun­gen kein Bür­ger Geest­e­mün­des. Und sowas hei­ra­tet man nicht. Aber wer sich nicht zu hel­fen weiß, ist es nicht wert, dass er in Ver­le­gen­heit gerät. Also: er schwän­ger­te sie und so wur­den sie spä­ter mei­ne Großeltern.

Nach die­sem Gebäu­de­kom­plex kam die Kreuz­stra­ße — und damit das Ende mei­ner Erin­ne­run­gen von die­ser Stra­ßen­sei­te. Gegen­über begann es mit dem Eck­haus von Ples­se. Ich weiß dann noch, dass dort auch eine Buch­hand­lung war, in der Fräu­lein Müg­ge arbei­te­te. Danach kam ver­mut­lich Aron­heim, bei dem wir Kin­der gern kauf­ten, weil er wie alle jüdi­schen Geschäf­te bil­lig war.

Ein gro­ßes Haus war Gör­del. Ich mei­ne, mei­ne Mut­ter habe mir erzählt, dass dies renom­mier­te Beklei­dungs­ge­schäft vor der Ari­sie­rung Lieb­mann gehört habe, wo sie so gern kauf­te. Wei­ter gen Süden gab es noch Hüte und Wäsche Bösch. Eins von den bei­den Geschäf­ten gab es noch lan­ge nach dem Krieg. Ich habe dort gern und man­chen Hut gekauft.

Ecke Arndt­stra­ße war eine Gast­wirt­schaft. Den Namen habe ich ver­ges­sen, ich weiß nur, dass dort die Bus­se nach Bever­stedt abfuh­ren. Dann sind mir noch die Geschäf­te von Specht, Nie­mey­er und Becken in Erin­ne­rung, die ja noch lan­ge nach dem Krieg exis­tier­ten. Und die Nord­deut­sche Kre­dit­bank mit ihrem Gie­bel, der mich immer an die nord­deut­sche Renais­sance erin­ner­te. Von unse­rem Kin­der­zim­mer­fens­ter aus habe ich oft den Gro­ßen Bären dar­über ste­hen sehen.

Ecke Thee­stra­ße war Elek­tro­ge­schäft Rei­chelt. Dahin muss­te ich immer mit unse­rer Haus­ge­hil­fin gehen, um den Akku für das Radio auf­la­den zu las­sen, das mein Vater selbst gebas­telt hat­te. Das war immer sehr span­nend für mich, denn ich ver­stand die gan­ze Cho­se nicht. Zuerst konn­ten wir noch ein­fach quer über die Stra­ße lau­fen. Spä­ter, als der Schu­po dort stand, muss­ten wir uns an die Ver­kehrs­re­geln halten.

Dann kam Por­zel­lan-Peter­sen. Auch das war span­nend für mich. Der Inha­ber hieß näm­lich mit Vor­na­men “Mein­hard” — und einen sol­chen Namen hat­te ich noch nie gehört. Ecke Ram­sau­er­stra­ße war das Weiß­wa­ren­ge­schäft (?) Anton Kohn, das spä­ter eben­falls ari­siert wur­de. An der süd­li­chen Ecke der Ram­sau­er­stra­ße stand — und das Gebäu­de steht heu­te noch — die Hirsch­apo­the­ke mit dem gol­de­nen Hirsch auf dem Vor­dach. Anschlie­ßend hat­te Jans­sen sein Por­zel­lan­ge­schäft. Was für Häu­ser und Geschäf­te sich anschlos­sen, weiß ich nicht mehr.

Es war da ein ziem­lich alt­mo­di­sches Wäsche­ge­schäft, Eisen­wa­ren Daetz, irgend­wo auch eine Samen­hand­lung Petrasch, bei der wir Fut­ter für unse­ren Wel­len­sit­tich kauf­ten, und die Spe­di­ti­on Ges­wein, die frü­her auch die Feu­er­wehr stell­te und mit viel Krach mit den Pfer­den durch die Georg­stra­ße saus­te. Was danach kam, weiß ich erst recht nicht. Es gab da noch eine Schmie­de und Bau­ern­häu­ser — aber das war wohl in einer Neben­stra­ße. Auf der gegen­über­lie­gen­den Georg­stra­ßen­sei­te — also der öst­li­chen — gab es Schreib­wa­ren Schwert­fe­ger mit der sin­ni­gen Inschrift am Haus: “Ora et labo­ra”, womit sicher­lich nicht Bene­dicts Män­ner gemeint waren.

Die Häu­ser, die dann in Rich­tung Bucht­stra­ße stan­den, ken­ne ich zum Teil nicht mehr, und die Rei­hen­fol­ge schon gar nicht. Da war das Scho­ko­la­den­ge­schäft von Frau Rook. Scha­de, dass es so etwas Außer­ge­wöhn­li­ches nicht mehr gibt. Mei­ne Mut­ter bat mei­nen Vater häu­fig, ihr von Frau Rook Cognac­boh­nen mit­zu­brin­gen. Mein Vater nahm dann eine Akten­ta­sche mit, damit man nicht erken­nen konn­te, dass er “ein­hol­te”.

Uhr­ma­cher Stu­te war auch  da, ent­we­der auf der öst­li­chen oder west­li­chen Sei­te. Und I.G. Schmidt, der Ofen­händ­ler. Und ein Elek­tro­ge­schäft. Und ein Café oder Eis­ca­fé — öst­lich oder west­lich. Und Scho­cken, das spä­ter Mer­kur wur­de, dann kam Kauf­mann Lüt­h­je, bei dem es lecke­re grü­ne Bon­bons gab und wo man meh­re­re Stu­fen hin­auf­klet­tern musste.

An der Ecke Buch­stra­ße kam dann das Kropp­sche Haus, in dem unten die Geschäf­te Ten­gel­mann, der Bar­bier Pipo­wa­ski und das Schreib­wa­ren­ge­schäft Wolf (Fräu­lein Jul­chen) war. Die bei­den letz­ten Grund­stü­cke wur­den von der Stadt für die Erwei­te­rung der Bucht­stra­ße nach dem Krieg ein­ge­zo­gen. Eben­so erging es unse­rem Neben­grund­stück. Aller­dings woll­te ein Inter­es­sent in den 50er Jah­ren dar­auf ein viel­stö­cki­ges Wohn­haus bau­en. Da hat mei­ne Mut­ter aber schärfs­tens pro­tes­tiert. So ein Koloss hät­te ja alles Licht für die Nach­barn verbannt.

Erinnerungen an meine Georgstraße

Am 18. Sep­tem­ber sind es 70 Jah­re her, dass ein Bom­ben­an­griff der alten Georg­stra­ße den Gar­aus mach­te. Mein Vater hat es nicht mehr erlebt. Er war am 1. Sep­tem­ber gestor­ben. Mein Bru­der war seit August auf einem Inter­nat, mei­ne Groß­el­tern kamen beim Bom­ben­an­griff um, mei­ne Tan­ten und alle übri­gen Ver­wand­ten waren in alle Win­de zer­streut. Mei­ne Mut­ter und ich waren plötz­lich allein.
Lie­be Leser, wenn Ihr mögt, schreibt doch eben­falls Eure Erin­ne­run­gen an Bre­mer­ha­ven auf und sen­det sie mir zu. Ich wür­de sie hier ger­ne ver­öf­fent­li­chen, weil ich glau­be, dass Eure Erin­ne­run­gen nicht in Ver­ges­sen­heit gera­ten sollten.

Geestemünde in alten und neuen Ansichten — Teil 10

Geest­e­mün­de in alten und neu­en Ansich­ten — Teil 10

Im Volks­mund gibt es vie­le Gelän­de­be­zeich­nun­gen, die für den Ein­hei­mi­schen eine genaue Orts­an­ga­be dar­stel­len. Die­se oft­mals schon vie­le hun­dert Jah­re alten Bezeich­nun­gen gera­ten lang­sam in Ver­ges­sen­heit. Dar­um ist es wich­tig, die­se alten Flur­be­zeich­nun­gen für unse­re Nach­kom­men zu erhal­ten, sind sie in ihrer Bedeu­tung doch ein Stück Hei­mat und Geschichte.

In Geest­e­mün­de gibt es die Bezeich­nung “Pasch­vier­tel”. Das Wort “Pasch“ soll vom Nie­der­rhein stam­men und setz­te sich auch im nord­deut­schen Sprach­ge­brauch durch. Sei­nen Ursprung fin­det es jedoch in der latei­ni­schen Spra­che. Es stammt von “pascua” ab, was Wei­de oder Wei­de­land bedeu­tet. Wer heu­te durch die mit dich­ten Häu­ser­rei­hen bebau­te Pasch­stra­ße geht, kann sich viel­leicht nicht mehr vor­stel­len, dass die­ses Gebiet ein­mal Wei­de­land gewe­sen sein soll.

Paschviertel

Geest­en­dorf ent­stand wohl aus dem bereits 1139 erst­ma­lig erwähn­ten  Kirch­dorf Ges­ten­thor­pe. Das mit­tel­al­ter­li­che Geest­en­dorf gehör­te zum Amts- und Gerichts­be­zirk Viel­and und befand sich auf dem Geest­rü­cken rund um die Mari­en­kir­che. 1813 leb­ten in Geest­en­dorf 491 Men­schen, noch 1823 sol­len es nur 576 gewe­sen sein. Doch mit der Grün­dung der Stadt Bre­mer­ha­ven und den Häfen kamen immer mehr Men­schen in das ver­schla­fe­ne Geest­en­dorf. Bereits 1858 leb­ten hier 2.296 Ein­woh­ner. Vor allem Arbei­ter und Hand­wer­ker sie­del­ten sich hier an, da in Bre­mer­ha­ven und dem 1845 eben­falls neu ent­stan­den Geest­e­mün­de die Zuzugs­be­din­gun­gen sehr restrik­tiv waren.

Paschviertel

Das Are­al des heu­ti­gen Neu­mark­tes befand sich im Eigen­tum des Amts­ho­fes, dem spä­te­ren Amt Viel­and. Der Amts­hof lag schräg gegen­über der Mari­en­kir­che und war mit ver­schie­de­nen Wohn- und Wirt­schafts­ge­bäu­den bebaut. Auch gehör­ten ein gro­ßer Gar­ten und umfang­rei­che Län­de­rei­en dazu. Die­se erstreck­ten sich im Nor­den bis zur Bucht­stra­ße und wur­den im Osten durch die Bül­ken­stra­ße begrenzt.

1936 Bismarckstrasse

Nach der Grün­dung von Bre­mer­ha­ven und Geest­e­mün­de nahm Geest­en­dorf – wie bereits erwähnt – als Wohn­vor­ort für die bei­den klei­nen Hafen­or­te inner­halb weni­ger Jahr­zehn­te einen erheb­li­chen Auf­schwung. Als Fol­ge hat­te sich die Wohn­be­bau­ung in Geest­en­dorf erheb­lich Rich­tung Osten und Nor­den erwei­tert und Geest­en­dorf wuchs ent­lang der heu­ti­gen Georg­stra­ße all­mäh­lich auf Geest­e­mün­de zu.

1905_Bülkenstrasse

Zur glei­chen Zeit ent­stand für die vie­len Neu­bür­ger auf einem nörd­lich des Geest­en­dor­fer Geest­rü­ckens gele­ge­nen Wei­de­land ein neu­es Wohn­ge­biet, dass man spä­ter in Anleh­nung an die alte Flur­be­zeich­nung den Namen “Pasch­vier­tel” gab. Die­ses von  der Georg­stra­ße, der Bis­marck­stra­ße, der Schil­ler­stra­ße und der Bucht­stra­ße begrenz­te Wohn­ge­biet besteht aus eng bei­ein­an­der lie­gen­den Gas­sen, die in einem leich­ten Bogen ver­lau­fen und von der Bucht­stra­ße schräg ange­schnit­ten wer­den. Das Pasch­vier­tel ent­wi­ckel­te sich zu einem dicht­be­sie­del­ten Orts­teil, der vom alten Geest­en­dor­fer Dorf­kern räum­lich getrennt war.

Mit dem Eisen­bahn­bau und der Erwei­te­rung der Geest­e­mün­der Hafen­an­la­gen wur­de für das Pasch­vier­tel 1856 eine wei­te­re Aus­deh­nung unmög­lich gemacht. Als 1863 der Handelshafen,der Nord­ka­nal und der Quer­ka­nal fer­tig­ge­stellt waren, muss­te die Chaus­see um das neu ent­stan­de­ne Zoll-“Freigebiet” her­um­ge­führt wer­den. Die zwi­schen 1859 und 1862 gebau­te Leher Stra­ße (spä­ter Bis­marck­stra­ße)  und  die  Leher  Chaus­see (spä­ter  Rhein­stra­ße) bil­de­ten die Bebau­ungs­gren­ze für das neue Wohn­vier­tel. Und der 1877 ange­leg­te Holz­ha­fen mach­te klar, dass es für das Pasch­vier­tel kei­ne wei­te­re Aus­deh­nung in nörd­li­cher Rich­tung geben kann.

1912 Buchtstrasse Ecke Keilstrasse

Also wur­de gen Süden wei­ter­ge­baut — zunächst ent­lang der bereits vor­han­de­nen Pasch­stra­ße, Bül­ken­stra­ße und Kur­ze Stra­ße (heu­te Tul­pen­stra­ße) — bis man die Bucht­stra­ße erreich­te. Hier war dann auch wie­der Schluss, denn das  jen­seits der Bucht­stra­ße gele­ge­ne Amts­hof­ge­län­de bil­de­te eine wei­te­re Gren­ze und so wur­de aus dem “Pasch”, ein­ge­zwängt zwi­schen Bucht­stra­ße und Bis­marck­stra­ße,  ein eng begrenz­tes und dicht­be­sie­del­tes Vier­tel mit klei­nen Arbei­ter- und  Hand­wer­ker­häu­sern  vom Typ “Leher Haus“.

Nelkenstraße

Zwi­schen Pasch­stra­ße, Bül­ken­stra­ße und Kur­ze Stra­ße wer­den wei­te­re Stra­ßen gebaut; Anfang der 1860er Jah­re ent­steht die Rosen­stra­ße und Mit­te der 1860er Jah­re die Nel­ken­stra­ße, in der heu­te noch ein paar Gebäu­de des Typ “Leher Haus” erhal­ten sind.

Die Grund­stü­cke waren sehr klein, sie reich­ten nur etwa zehn Meter in die Tie­fe. Dar­aus erga­ben sich Grund­stücks­grö­ßen von maxi­mal 100 Qua­drat­me­ter, oft­mals waren sie sogar noch klei­ner. So waren auch die Wohn­räu­me, jeden­falls gemes­sen an den heu­ti­gen Wohn­ver­hält­nis­sen, recht klein. Häu­fig muss­ten die Gewer­be­trei­ben­den auch ihre Werk­statt in den Woh­nungs­grund­riss ein­pla­nen, da die klei­nen Grund­stü­cke kein zusätz­li­ches Werk­statt­ge­bäu­de zuließen.

Kleingärten

Zwi­schen den Gebäu­den gab es schma­le Gän­ge, die zu den sehr klei­nen Hof­räu­men führ­ten. Die Anla­ge von Haus­gär­ten war in den klei­nen Hin­ter­hö­fen aller­dings nicht mög­lich. Zur Auf­bes­se­rung ihrer gerin­gen Ein­künf­te waren die Bewoh­ner dar­auf ange­wie­sen, in außer­halb gele­ge­nen Klein­gär­ten etwas Gar­ten­bau und auch Klein­vieh­hal­tung zu betrei­ben. Die­se Gär­ten wur­den am Ran­de des Pasch­vier­tels öst­lich der Schil­ler­stra­ße und Rhein­stra­ße ange­legt und zogen sich bis zum Gebiet des heu­ti­gen Haupt­bahn­ho­fes hin. Die Gär­ten ver­schwan­den erst in den 1950er Jahren.

Malergeschäft B. Hayen in der Friedrichstraße Ecke Tulpenstraße

Nur dort, wo irgend­wann ein­mal zwei Grund­stü­cke zusam­men­ge­legt wur­den, konn­ten die Hand­wer­ker und ande­re Gewer­be­trei­ben­de ihre Werk­statt außer­halb des Wohn­rau­mes unter­brin­gen. Nörd­lich der Fried­rich­stra­ße wur­den die Grund­stü­cke im Bebau­ungs­plan vom Anfang der 1850er Jah­re groß­zü­gi­ger ver­mes­sen. Hier konn­te man des­halb auch präch­ti­ge­re Gebäu­de mit grö­ße­rem Wohn­raum erstellen.

Heute gibt es hier auch das Malergeschäft von B. Hayen längst nicht mehr.

So befand sich etwa das Maler­ge­schäft B. Hay­en seit 1888 in dem klei­nen im Grün­der­haus­stil erbau­ten Wohn- und Geschäfts­haus an der Ecke Fried­rich­stra­ße und Tul­pen­stra­ße. Ein ande­res Gebäu­de, dass hier drei­ßig Jah­re lang stand, wur­de abgerissen.

Auch die heu­te noch bestehen­de Bäcke­rei Engel­brecht ent­stand hier zum Anfang des letz­ten Jahr­hun­dert an der Ecke Fried­rich­stra­ße zur Schil­ler­stra­ße in einer bereits vor­han­de­nen Bäckerei.

Bäckerei Engelbrecht in der Schillerstraße Ecke Friedrichstraße

Neben dem Maler­ge­schäft B. Hay­en ent­stan­den im Pasch­vier­tel vie­le ande­re Betrie­be. Max Sieg­hold, spä­te­rer Besit­zer der bekann­ten Sieg­hold-Werft, pach­te­te 1925 in der Nel­ken­stra­ße 2 von Fried­rich Nagel eine Schmie­de und begann sei­nen Betrieb mit einem Lehrling.

Möbelfabrik Schlüter

Pols­ter­meis­ter Lou­is Schlü­ter begann in der Nel­ken­stra­ße in einer klei­nen Werk­statt, bevor er um die Wen­de zum 20. Jahr­hun­dert sei­ne Möbel­fa­brik aufbaute.

Möbelfabrik Schlüter

Für die Tisch­ler­ar­bei­ten stell­te Lou­is Schlü­ter den im Jah­re 1898 gebo­re­nen Tisch­ler­meis­ter Karl Jüch­tern ein. Auch meh­re­re Gesel­len waren in der Möbel­fa­brik beschäftigt.

Möbelfabrik Schlüter

Der Betrieb bestand noch bis weit in die 1970er Jah­re hinein.

Karl Jüch­terns Vater hieß Hein­rich Jüch­tern, der hat­te ein klei­nes Transportunternehmen.

Transportunternehmen Heinrich Jüchtern

Mit sei­nem Pfer­de­fuhr­werk trans­por­tier­te er unter ande­rem das Gepäck der Rei­sen­den von und zum Bre­mer­ha­ve­ner Bahnhof.

1910 | Bierverlag Lehnert

Schräg gegen­über von Engel­brecht befand sich der Bier­ver­lag von Hein­rich Leh­nert, der eigent­lich eine Fleischwaren‑,  Margarine‑,  Bier- und Spi­ri­tuo­sen­groß­hand­lung war. Zwar gibt es das Leh­nert­sche Anwe­sen eben­falls nicht mehr, aber das

2014 | wieder aufgebaute Eckhaus an der Schillerstraße Ecke Raabestraße

Eck­haus wur­de zusam­men mit wei­te­ren Gebäu­den für einen Super­markt der­art wie­der auf­ge­baut, dass optisch eine his­to­ri­sche Ver­bin­dung zum alten Leh­nert­schen Gebäu­de­kom­plex her­ge­stellt wurde.

15. Mai 2014 Paschstrasse Blick Richtung Kreuzstrasse

Über das All­tags­le­ben im Pasch­vier­tel gibt kaum Auf­zeich­nun­gen. Es scheint aber ein Vier­tel gewe­sen zu sein, in dem die wohn­bau­li­chen und auch die hygie­ni­schen Ver­hält­nis­se anspruchs­los waren. Auch die Kana­li­sa­ti­on soll so unzu­rei­chend gewe­sen sein, dass die tie­fer gele­ge­nen Grund­stü­cke bei star­ken Regen­fäl­len unter Was­ser standen.

Paschschule

Dadurch, dass das Amts­hof­ge­län­de für die Geest­en­dor­fer Neu­bau­be­bau­ung eine Gren­ze dar­stell­te, blieb der Cha­rak­ter des Geest­en­dor­fer Orts­kern mit sei­nen alten Bau­ern­häu­sern bis weit ins letz­te Vier­tel des 19. Jahr­hun­derts erhal­ten. Das Pasch­vier­tel bekam sogar eine eige­ne Schu­le. 1863 wur­de in der Schil­ler­stra­ße 14 die Pasch­schu­le gebaut.

25. Mai 2014 | An der Schillerstraße/Ecke Raabestraße wurde im Frühjahr 1863 die neue vierklassige Paschschule bezogen.

1902 bezog die Katho­li­sche Volks­schu­le das Gebäu­de und blieb hier 37 Jah­re – bis zum Ver­bot im Jah­re 1939. Neben 13 wei­te­ren Schu­len wur­de durch den Luft­an­griff im Sep­tem­ber 1944 auch die Pasch­schu­le zerstört.

Kirche

Bei die­sem Angriff wur­de auch die 1911 ein­ge­weih­te Hei­li­ge Herz-Jesu-Kir­che durch Brand­bom­ben erheb­lich beschädigt.

Die alt­ein­ge­ses­se­nen Bewoh­ner Geest­en­dorfs blie­ben also “unter sich”, wäh­ren im Pasch­vier­tel die in Bre­mer­ha­ven und Geest­e­mün­de beschäf­tig­ten Arbei­ter ihre neue Hei­mat fan­den. Aber auch klei­ne­re Hand­werks­be­trie­be wie Bäcke­rei­en, Schlach­te­rei­en, Schus­te­rei­en und Milch­ge­schäf­te oder Koh­len­hand­lun­gen fan­den hier ihr Auskommen.

Bülkenstraße

Das blieb so, bis das Wohn­ge­biet durch den Luft­an­griff am 18. Sep­tem­ber 1944 fast völ­lig zer­stört wur­de und die an Stel­le der einst­mals klei­nen Wohn­häu­ser gebau­ten gro­ßen Wohn­blö­cke dem Vier­tel einen voll­kom­me­nen ande­ren Cha­rak­ter gaben.
Quel­len:
Dr. Hart­mut Bickel­mann, Nie­der­deut­sches Hei­mat­blatt Nr. 757 aus Janu­ar 2013
Daten zur Geschich­te der Katho­li­schen Schu­le…
His­to­ri­sche Bül­ken­stra­ße in neu­em Gewand (pdf-Datei)
Hart­mut Bickel­mann: Von Geest­en­dorf nach Geestemünde,
de.wikipedia.org

Geestemünde geht zum Wasser

Geestemünde geht zum Wasser” – mit diesem Freiraumkonzept soll Geestemünde wieder attraktiver gemacht und die unmittelbare Lage am Wasser wieder in den Fokus der Bevölkerung gerückt werden. Stadtplanungs‑, Umweltschutz- und Gartenbauamt haben gemeinsam Ideen entwickelt, wie man Geestemünde mit dem Weserdeich verbinden kann. Die Geestemünder waren aufgerufen, eigene Vorschläge einzubringen.
2014-06-19 Grafik Plesse-Eck und Yachthafen
Durch einen neuen Fuß- und Radweg vom Holzhafen zum Yachthafen soll eine Verbindung vom Zentrum Geestemündes bis ans Wasser entstehen.
Die Bagger waren bereits tätig und haben auf der Grünfläche zwischen Holzhafen und Elbinger Platz den ersten Teilabschnitt des Projektes “Geestemünde geht zum Wasser” umgesetzt. Bäume und Büsche wurden gestutzt, jetzt liegt der Yachthafen wieder im Blickfeld. 
2014-06-25 Holzhafen-Bismarckstrasse
Auf dem Grundstück um die  von dem deutschen Bildhauer Gerhart Schreiter geschaffene ”Memento-maris“-Skulptur   entstand ein neuer Weg mit schönen Pflastersteinen, der quer über die Grünanlage mit dem ebenfalls neuen Rasen zum Elbinger Platz führt. Links und rechts vom Weg wurden Halterungen in den Boden eingelassen, an denen dicke Eichenbalken befestigt sind. Sie sollen schwimmendes Holz im “Stichkanal“ darstellen.  Schöne Holzbänke mit Rückenlehne laden zum Verweilen ein. Die Gesamtkosten von 260.000 Euro werden mit 130.000 Euro von der Europäischen Union finanziert. Weitere 43.000 Euro stammen aus Förderungsmitteln des Bundes und 87.000 Euro wurden im städtischen Haushalt eingeplant.
Plesse-Eck und Bismarckstraße
Nun folgen die Anschlussarbeiten am Plesse-Eck. Vom Elbinger Platz kommend soll die vorhandene Rechtsabbiegespur auf 70 Meter verkürzt werden und künftig in eine neue Verkehrsfläche mit Parkplatzcharakter an der Ulmenstraße und Kaistraße münden. Radfahrer und Fußgänger werden zwischen dem AOK-Gebäude und dem Plesse Eck getrennte Wege erhalten. Aus der nicht mehr benötigten Fahrbahnfläche am Elbinger Platz wird ein Grünstreifen gestaltet. 
1972 Plesse-Eck
Am Yachthafen werden die Wege erneuert und ebenfalls neue Bänke zum Ausruhen aufgestellt. Und im nächsten Frühjahr – so die Planung – wird das nördliche Ufer des Yachthafens ebenfalls umgestaltet und mit einer kleinen Holzterrasse versehen. Die “Stiftung Wohnliche Stadt” hat für die Umgestaltung dieses Areals und für die Terrasse einen Betrag von 40.000 Euro zur Verfügung gestellt.
Plesse-Eck, Datum nicht bekannt
Insgesamt investiert die Stadt mit Unterstützung durch EFRE-Fördermittel der Europäischen Union rund 360.000 Euro in diese nächste Ausbaustufe.

Quel­len:
Nord­see-Zei­tung vom 17.01.2014 und 19. Juni 2014
bremerhaven.de
efre-bremen.de

Das nördliche Molenfeuer muss saniert werden

Zwei Tür­me an der Mün­dung der Gees­te in die Weser sichern die Ein­fahrt zum Fische­rei­ha­fen, die Fähr­ver­bin­dung Ble­xen — Bre­mer­ha­ven und die Zufahrt zum Anle­ger des Ret­tungs­kreu­zers der Deut­schen Gesell­schaft zur Ret­tung Schiffs­brü­chi­ger. Das Back­bordfeu­er, ein rot­brau­ner Zie­gel­turm mit roter, halb­ku­gel­för­mi­ger Eisen­la­ter­ne und Gale­rie, steht auf dem Kopf der Nordmole, der Ein­fahrt in die Geeste. 

Molenfeuer

Die star­ke Gezei­ten­strö­mung der Weser und der oft star­ke Wind macht die Ein­fahrt in die Geest­e­mün­dung zu einer Her­aus­for­de­rung für die Schiff­fahrt. Seit der Inbe­trieb­nah­me 1914 hat so man­ches Schiff die War­nung des nörd­li­chen Molen­tur­mes miss­ver­stan­den und die Mole, auf dem der Turm steht, gerammt. Aber das ist wohl nicht der Grund, dass das Leucht­feu­er jetzt saniert wer­den muss. Es ist ein­fach in die Jah­re gekom­men und fei­ert in die­sem Jahr sei­nen 100sten Geburtstag.

Da hat die Zeit ihre Spu­ren hin­ter­las­sen. Und um die­se Spu­ren begut­ach­ten zu kön­nen, hat das Was­ser- und Schiff­fahrts­amt Bre­mer­ha­ven das Molen­feu­er ein­rüs­ten las­sen. Ein paar Zie­gel sind vom Mau­er­werk abge­platzt, spek­ta­ku­lä­re Schä­den wur­den nicht fest­ge­stellt. Nun wird das Gerüst am kom­men­den Diens­tag wie­der ent­fernt, die klei­nen Schä­den sol­len aber in naher Zukunft repa­riert werden.

125 Jahre Modehaus Specht

Über den Bre­mer­ha­ve­ner Ein­zel­han­del gibt es nicht nur Nega­ti­ves zu berich­ten. Gut, vie­le muss­ten ihr Geschäft schon schlie­ßen. Aber eini­ge schaf­fen es, die Stür­me der Zei­ten zu über­dau­ern. So fei­ert das Mode­haus Specht in der Georg­stra­ße-36 die­ser Tage sein 125-jäh­ri­ges Bestehen. Herz­li­chen Glückwunsch!

125 Jahre Modehaus Specht

Gus­tav und Mag­da­le­ne Specht haben das Mode­haus am 28.04.1889 gegrün­det. Damals bestand das Ange­bot zeit­ge­mäß aus Gar­nen, Sti­cke­rei­en, Woll­wa­ren und Tri­ko­ta­gen. Din­ge, mit denen die heu­ti­ge Gene­ra­ti­on kaum noch etwas anfan­gen kann.

So haben Gus­tav und Mag­da­le­ne das Geschäft 1964 den “jun­gen Leu­ten” in die Hän­de gege­ben, das waren der Sohn Gus­tav-Georg Specht und sei­ne Frau Ger­da, die Schwie­ger­toch­ter also. Die pass­ten das Ange­bot der neu­en Nach­fra­ge an und wan­del­ten in den 1970er Jah­ren den Betrieb zu ein Fach­ge­schäft für Damen­mo­de um.

Als Gus­tav-Georg Specht starb, muss­te sei­ne Toch­ter Nico­le Schüß­ler, eine gelern­te Indus­trie­kauf­frau, die Auf­ga­be über­neh­men. Und die meis­tert sie schon seit elf Jah­ren mit Bra­vour. Wenn man sie fragt, was wohl das Geheim­nis ihres Erfol­ges in die­ser schwie­ri­gen Zeit sei, dann ant­wor­tet sie ganz spon­tan: “Vie­le, vie­le Far­ben.” Und die hän­gen auch in den Klei­der­stän­dern als pink­far­be­ne Jacken, hell­grü­ne Hosen und rosé­far­be­ne Ober­tei­le. Hier bekommt Frau, was sie sucht. Acht Mit­ar­bei­ter betreu­en die 2.500 Stamm­kun­den, die Nico­le Schüß­ler in ihrer Kar­tei ver­zeich­net hat.

So geht es hier im Geschäft auch zu wie in einem Tau­ben­schlag. Stän­dig kommt jemand in den 200 Qua­drat­me­ter gro­ßen Laden, schaut sich um, pro­biert hier etwas an und dort, trinkt neben­bei eine Tas­se Kaf­fee und klönt. Ein Ser­vice, wie es ihn heu­te kaum noch gibt, wie man ihn von “frü­her her” kennt und wie die Kun­den es mögen. Natür­lich kommt auch die Bera­tung nicht zu kurz, hier wer­den Pro­blem­zo­nen zu einem Pro­blem­chen, das man lösen kann.

Einen Online­shop wird Frau Schüß­ler nicht anbie­ten. Sie möch­te ihre vor­nehm­lich älte­ren Kun­den vor Ort bera­ten. Frust­käu­fe wegen fal­scher Bestel­lung sol­len gar nicht erst auf­kom­men. Es ist eben ein Tra­di­ti­ons­ge­schäft, an das sich vie­le Bre­mer­ha­ve­ner ger­ne erin­nern. Auch vie­le Face­book­mit­glie­der ken­nen das Mode­haus Specht noch sehr gut.

Doris hat in Face­book zum Bei­spiel geschrie­ben, dass sie öfter bei Specht ein­ge­kauft hat, weil es da eine gro­ße Aus­wahl geschmack­vol­ler Sachen gibt. Und Mari­ta ver­mu­tet, dass man im Mode­haus Specht bestimmt noch rich­tig bedient wird. Gera­de für älte­re Men­schen mit Figur­pro­ble­men sei­en die­se Fach­ge­schäf­te sehr wich­tig. Gabrie­le kann sich auch erin­nern, in den 1970er Jah­ren bei Specht ein­ge­kauft zu haben.

Ja, und Rita! Rita hat dort 1965 ihr Berufs­prak­ti­kum gemacht. Wie sel­ten ist das wohl! Und Inas Schwes­ter hat dort sogar mal eine Aus­bil­dung begon­nen. Sie meint, dass das etwa 1952 gewe­sen sein mag, das Geschäft hät­te sei­nen Stand­ort noch in einer klei­nen Neben­stra­ße gehabt. Ina  lebt heu­te in Ame­ri­ka, aber als sie von dem 125-jäh­ri­gen Jubi­lä­um erfah­ren hat, habe sie gleich ihre in Lan­gen woh­nen­de Schwes­ter ange­ru­fen und geklönt, bis die Hörer anfin­gen zu glühen.

Der Deich­SPIE­GEL wünscht dem Mode­haus Specht, gut über die nächs­ten hun­dert Jah­re zu kom­men.
Quel­len:
Nord­see-Zei­tung vom 23.04.2014

Die ersten 150 Meter der neuen Spundwand am Tonnenhof sind fertig saniert

Das dump­fe Dröh­nen der Ram­me  ist vor­bei, der Ton­nen­hof des Bre­mer­ha­ve­ner Was­ser- und Schiff­fahrts­am­tes hat wie­der fes­ten Halt. In Kür­ze wer­den die Arbei­ten an der neu­en Spund­wand, die etwa vier Meter vor die alte Kaje unter­halb der Ken­ne­dy­brü­cke gesetzt wor­den ist, abge­schlos­sen sein.

Tonnenhof Bremerhaven

Die aus dem Jah­re 1959 stam­men­de Spund­wand ist mit den Jah­ren maro­de gewor­den, und dadurch ist es zu Ver­sa­ckun­gen auf der Kaje gekom­men. Es bestand Ein­sturz­ge­fahr, die Besat­zun­gen der Arbeits­schif­fe des Was­ser- und Schif­fahrts­am­tes konn­ten nur noch über extra ein­ge­rich­te­te Wege an Bord ihrer Schif­fe kommen.

Für die ers­ten 150 Meter kann nun Ent­war­nung gege­ben wer­den. 125 Spund­boh­len mit einer Län­ge zwi­schen 18 und 20 Meter wur­den in den Gee­st­eg­rund gerammt. Nun ragt die neue Spund­wand an der Ober­flä­che vier Meter vor der alten Kaje aus dem Was­ser. Die Spund­wand­an­ker — zwi­schen 35 und 41 Meter lan­ge Stahl­roh­re —  wur­den von der Was­ser­sei­te aus im 45-Grad-Win­kel durch die neue und die alte Wand gebohrt und rei­chen weit unter die Kaje. Anschlie­ßend wur­de Beton in die Stahl­roh­re gepresst. 

neue Kaje am Tonnenhof

Die Lücke zwi­schen alter und neu­er Kajen­wand wur­de mit Sand befüllt. Auch die Hohl­räu­me unter der alten Kaje wur­den mit Sand geschlos­sen. Als Abschluss wird die Beton­mau­er der alten Kaje um 1,50 Meter abge­tra­gen. Dann bil­det die Flä­che an Land mit der neu­en Spund­wand­kan­te eine ein­heit­li­che Höhe. Wenn der Regen- und Schmutz­was­ser­ka­nal ange­legt ist, die Trink­was­ser­lei­tun­gen und die Strom­ka­bel ver­legt sind und die Frei­flä­che gepflas­tert ist, wird der Ton­nen­hof eine Flä­che von gut 600 Qua­drat­me­tern zuge­won­nen haben. Damit ist der ers­te Bau­ab­schnitt der neu­en Kaje beendet.

Naht­los wei­ter geht es dann mit dem zwei­ten Bau­ab­schnitt, in dem der Bereich zwi­schen altem Fähr­haus und Weser­ter­ras­sen saniert wird. Auch in die­sem Bereich ist die alte Kaje abge­sackt. Plan­mä­ßig soll Anfang 2015 alles fer­tig sein.

Die neue Spund­wand kos­tet rund 7,5 Mil­lio­nen Euro und wird kom­plett vom Bund bezahlt. Das Was­ser- und Schiff­fahrts­amt, das als Ton­nen- und Baken­amt bereits seit 1876 am Ton­nen­hof Bre­mer­ha­ven ange­sie­delt ist, trägt dazu bei, dass auf der Bun­des­was­ser­stra­ße Weser ein siche­rer Schiffs­ver­kehr gewähr­leis­tet bleibt. Hier an der Kaje lie­gen die Spe­zi­al­schif­fe wie Ton­nen­le­ger, Ver­mes­sungs­schif­fe und ein See­not­ret­tungs­kreu­zer der DGzRS.

Tonnenleger "Nordergruende"

Unter den Schif­fen befin­det sich auch der erst Ende 2012 in Dienst gestell­te 44 Meter lan­ge Ton­nen­le­ger “Nor­der­grün­de”. Außer­dem sind das Ton­nen­la­ger und der Umschlags­be­reich der Ton­nen hier angesiedelt.

Quel­len:
Nord­see-Zei­tung vom 01.03.2014

Geestemünde in alten und neuen Ansichten — Teil 9

Eine Serie wid­met der Deich­SPIE­GEL “Geest­e­mün­de in alten und neu­en Ansich­ten”.  Mein ganz beson­de­rer Dank gilt Frau Oda Kelch. Sie hat ihre alten Bil­der und Erin­ne­run­gen auf ihrer Face­book-Sei­te ver­öf­fent­licht. Nach­dem ich Euch im 6. Teil die­ser Serie das Haus Georg­stra­ße 43 vor­ge­stellt habe, zei­ge ich Euch heu­te das Haus Georg­stra­ße 41.

Georgstraße 41 und 43

Die Bre­mer Land­stra­ße war ursprüng­lich der ein­zi­ge Ver­bin­dungs­weg von Geest­e­mün­de nach Bre­men. Die­se Stra­ße, die spä­ter in “Georg­stra­ße” umbe­nannt wer­den soll­te, war von klei­nen Häu­sern gesäumt, wie man sie zu dama­li­ger Zeit in dörf­li­chen Gegen­den vor­fand. Etwa ab 1860 begann man, die Georg­stra­ße zu einer Haupt­ver­kehrs­stra­ße aus­zu­bau­en. Geest­e­mün­de wuchs und ver­ei­nig­te sich 1889 mit Geest­en­dorf. Die Georg­stra­ße wur­de nun auch Geschäfts­stra­ße. Die Stra­ße war so breit, dass hier bis 1887 der Wochen­markt stattfand.

Für das fol­gen­de Bild habe ich kei­ne Jah­res­an­ga­be, aber es scheint eben­falls zu Beginn des 20. Jahr­hun­derts ent­stan­den zu sein. Auf jeden Fall weiß Oda Kelch über die­ses Haus der Fami­lie Harz­mey­er, das direkt an das Haus der Fami­lie Knob­lauch grenzt,  viel Inter­es­san­tes zu erzäh­len. Eini­ge Erin­ne­run­gen möch­te ich mei­nen Lesern nicht vorenthalten:

Georgstraße 41

Mit­ten­drin ent­stand also auch das Wohn- und Geschäfts­haus Geoerg­stra­ße 41, in dem Her­mann H. Harz­mey­er eine Schuh­ma­che­rei und ein Schuh­ge­schäft betrieb. Das Haus besticht durch sei­ne Wuch­tig­keit und dem Türm­chen, das lei­der bereits vor dem Krieg ver­schwun­den war. Links von der Laden­tür befand sich eine Ein­fahrt, die zu den Hin­ter­hö­fen führ­te. Dort befan­den sich die Stal­lun­gen für die Pferdefuhrwerke.

In der Ein­fahrt selbst befand sich der Zugang zum Trep­pen­haus. Wie auf einer gro­ßen Wen­del­trep­pe führ­te der Weg hin­auf in die obe­ren Stock­wer­ke. Auf hal­ber Trep­pe zwi­schen den Stock­wer­ken befan­den sich Stu­fen, die zu einem Bal­kon mit Toi­let­ten führ­ten. Mor­gens trug man den Nacht­topf quer durch das Haus,  um ihn in der Toi­let­te zu ent­lee­ren. Im Win­ter wur­de mit einem Holz­koh­len­feu­er ver­hin­dert, dass die Toi­let­ten einfrieren.

Den Abschluss des Trep­pen­hau­ses bil­de­te eine gro­ße run­de Kup­pel, wie sie in Pari­ser Waren­häu­ser üblich waren – aller­dings nicht so schön. Durch die klei­nen Fens­ter fand nur wenig Tages­licht sei­nen Weg in die Woh­nun­gen, die mit Holz­fuß­bö­den aus­ge­stat­tet waren, wie sie frü­her in Schu­len üblich waren. Wer sich für wei­te­re Erin­ne­run­gen inter­es­siert, kann sie bei Face­book nachlesen.

Georgstraße 41

Aber plötz­lich war es mit der Idyl­le in der Georg­stra­ße vor­bei. Das Jahr 1944 soll­te auch für die Bewoh­ner der Georg­stra­ße zu einem Schick­sals­jahr wer­den. Bereits fünf Kriegs­jah­re hat­te der Stadt­teil Geest­e­mün­de ohne grö­ße­re Schä­den über­stan­den. Bis auf ein paar Spreng­bom­ben, die das Vier­tel um die Schil­ler­stra­ße tra­fen, blieb Geest­e­mün­de von Luft­an­grif­fen verschont.

Aber die Ruhe war trü­ge­risch. Es war der 18. Sep­tem­ber 1944: “…ein strah­lend schö­ner und war­mer Spät­som­mer­tag, so recht geeig­net, alles krie­ge­ri­sche Gesche­hen ver­ges­sen zu machen…”, soll­te spä­ter  Hein­rich Klop­pen­burg mit sei­ner Schreib­ma­schi­ne notie­ren. Dass sich an die­sem Tage 206 Lan­cas­ter­bom­ber der Roy­al-Air-Force auf­mach­ten, um Bre­mer­ha­ven kom­plett zu zer­stö­ren, ahn­te nie­mand. Der schreck­li­che Luft­an­griff über­rasch­te wohl alle.

zerbombte Georgstraße 1944

Hein­rich Klop­pen­burg notier­te über die Zeit nach dem Angriff, dass die zur Stadt füh­ren­de Chaus­see mit aus­ge­brann­ten Stab­brand­bom­ben gera­de­zu über­sät war. Die gan­ze Stadt sei eine ein­zi­ge zusam­men­hän­gen­de Brand­stät­te gewe­sen. Stra­ßen­zei­le auf Stra­ßen­zei­le wie­sen nur lee­re Fas­sa­den aus­ge­brann­ter Häu­ser auf. Beson­ders die Haupt­ver­kehrs­stra­ßen, die Georg- und die Bor­ries­stra­ße, sol­len einen trost­lo­sen Anblick gebo­ten haben, da sie vor allem mit ihren grö­ße­ren Bau­ten der Zer­stö­rung rest­los anheim­ge­fal­len seien.

Wiederaufbau

Die Ent­trüm­me­rung der Stadt war eine drin­gen­de Auf­ga­be in der Nach­kriegs­zeit. Durch Auf­ru­fe der Mili­tär­re­gie­rung und durch Ver­ord­nun­gen des Arbeits­am­tes wur­den Män­ner und Frau­en zur Ent­trüm­me­rung her­an­ge­zo­gen. Auch 262 Schü­ler und Schü­le­rin­nen sowie 13 Leh­re­rin­nen und Leh­rer der Hum­boldt­schu­le stell­ten sich für die­sen kräf­te­zeh­ren­den frei­wil­li­gen Arbeits­ein­satz zur Ver­fü­gung. Die Bre­mer­ha­ve­ner lie­ßen sich nicht “klein­krie­gen”, ihr Wil­le, die Ärmel hoch­zu­krem­peln und anzu­pa­cken, war bemer­kens­wert. Nun beginnt auch in Bre­mer­ha­ven die Zeit des soge­nann­ten Wirtschaftswunders.

veränderte Georgstraße

Als am Ende des Zwei­ten Welt­krie­ges über 50% des Wohn­rau­mes in Weser­mün­de zer­stört waren, hat­ten mehr als 30.000 Men­schen kein Dach mehr über ihren Kopf. Und nach dem Wie­der­auf­bau war die Georg­stra­ße nicht mehr wie­der­zu­er­ken­nen — wie so vie­le Stra­ßen und Städ­te nach dem Krieg.

Georgstraße

Den Ruf einer Ein­kaufs­stra­ße hat die Georg­stra­ße längst ver­lo­ren. Haupt­säch­lich eili­ge Auto­fah­rer rasen acht­los durch die einst so pracht­vol­le Straße.

Georgstraße

Wie immer vie­len Dank an Frau Oda Kelch für Ihre uner­müd­li­che Hil­fe, die­sen Arti­kel zu schreiben.
Quel­len:
Oda Kelch
zum.de