Kategorie: Geschichte

Fahrende Scholaren – Bildung im Mittelalter

Fah­ren­de Scho­la­ren?“ – Oder: wie sah die Bil­dungs­land­schaft im Elbe-Weser-Drei­eck in der Vor­mo­der­ne aus?

Jetzt reicht mir Stab und Ordens­kleid
Der fah­ren­den Scho­la­ren,
Ich will zu guter Som­mers­zeit
Ins Land der Fran­ken fah­ren!
Aus dem Lied der Fran­ken von Joseph Vic­tor von Schef­fel

Scholar
Bil­dung und die dazu­ge­hö­ri­ge Mobi­li­tät wer­den heu­te als not­wen­di­ger Bestand­teil unse­rer Gesell­schaft und als wich­ti­ger Wachs­tums­fak­tor für die Ent­wick­lung der Stadt Bre­mer­ha­ven ange­se­hen. Über­re­gio­nal spie­len Bil­dungs­land­schaf­ten und ‑ver­bün­de eine gro­ße Rol­le in der öffent­li­chen Dis­kus­si­on. Der Vor­trag geht auf die­se Dis­kus­sio­nen ein und ver­sucht, grö­ße­re Ent­wick­lungs­li­ni­en am Bei­spiel der Stadt Bre­mer­ha­ven auf­zu­zei­gen. Dazu gehö­ren die Fra­gen, wie der schu­li­sche und uni­ver­si­tä­re All­tag vor 500 Jah­ren aus­sah, wel­chen Stel­len­wert uni­ver­si­tä­re Bil­dung in der Gesell­schaft besaß und wo es über­haupt die Mög­lich­keit gab, Bil­dung zu erwerben. 

Als Grund­la­ge wer­den kon­kre­te Bei­spie­le von Schu­len und Stu­den­ten aus den Vor­gän­ger­ge­mein­den der Stadt Bre­mer­ha­ven, zum Bei­spiel aus Lehe und Wuls­dorf, her­an­ge­zo­gen, ein­zel­ne Schu­len behan­delt und Stu­di­en­ver­läu­fe rekon­stru­iert. Dahin­ter steht die Fra­ge, ob es eine vor­mo­der­ne „Bil­dungs­land­schaft Elbe-Weser-Drei­eck“ gab und wenn ja, wie die­se aus­ge­se­hen haben könnte. 

The­ma­tisch weist der Vor­trag außer­dem auf das Refor­ma­ti­ons­ju­bi­lä­um 2017 hin, da die Schu­le in der Vor­mo­der­ne unter der Auf­sicht der Kir­che stand und sich somit vie­le Ver­än­de­run­gen in der Refor­ma­ti­ons­zeit auch auf die Schu­len aus­wirk­ten.
Deut­sches Schif­fahrts­mu­se­um, Hans-Scharoun-Platz 1,
Vor­trags­saal — Refe­ren­tin: Dr. Julia Kah­leyß
15.10.2015 um 19.30 Uhr

Der 18. September 1944 und die Folgen

Am Frei­tag, den 18. Sep­tem­ber 2015 um 15.30 Uhr lädt das His­to­ri­sche Muse­um Bre­mer­ha­ven zu einer Extra­Tour­Spe­zi­al ein, die sich dem The­ma “Der 18. Sep­tem­ber 1944 und die Fol­gen” widmet.

Der 18. September 1944 und die Folgen

Der 18. Sep­tem­ber 1944 bedeu­te­te für Bre­mer­ha­ven — dem dama­li­gen Weser­mün­de — einen ein­schnei­den­den Wen­de­punkt in der stadt­his­to­ri­schen Ent­wick­lung. Am Abend war die Stadt Ziel von 202 Lan­cas­ter-Bom­bern der bri­ti­schen Roy­al Air Force. Inner­halb von 20 Minu­ten war­fen sie 480 Spreng­bom­ben, 420.000 Brand­bom­ben und 31 Luft­mi­nen auf die Stadt ab. Über 90 Pro­zent des Stadt­zen­trums waren zer­stört, die übri­gen Stadt­tei­le waren zu über 50 Pro­zent betrof­fen. 618 Men­schen star­ben, 1193 wur­den ver­letzt, rund 30.000 wur­den obdach­los. Bremerhaven/Wesermünde war eine Stadt in Trümmern.

Zum Geden­ken an die­sen Tag beschloss die Bre­mer­ha­ve­ner Stadt­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lung am 9. Okto­ber 2014 die Ein­füh­rung eines “Tags der stadt­his­to­ri­schen Bil­dung”, der immer am 18. Sep­tem­ber statt­fin­den soll.

Muse­umfüh­re­rin Mar­ti­na Otto erläu­tert in der Dau­er­aus­stel­lung des His­to­ri­schen Muse­ums Bre­mer­ha­ven auch die Vor­ge­schich­te der ver­hee­ren­den Bom­ben­nacht. Ori­gi­nal-Ton­do­ku­men­te vom Bom­ben­an­griff, Fotos, Doku­men­te und Rekon­struk­tio­nen ver­mit­teln ein ein­drucks­vol­les Bild vom Ablauf und Aus­maß der Kriegseinwirkungen.

Anschlie­ßend wird die Extra­Tour­Spe­zi­al mit einem Rund­gang durch die aktu­el­le Son­der­aus­stel­lung “Die Nach­kriegs­zeit auf Bre­mer­ha­ve­ner Pres­se­fo­tos” fort­ge­setzt. Der Chef­re­por­ter der Nord­see-Zei­tung, Georg Rog­ge, doku­men­tier­te in sei­nen Fotos das Bild der zer­stör­ten Stadt, aber auch die impro­vi­sier­ten Neu­an­fän­ge und die damit ver­bun­de­ne Besatzungszeit.

Die Kos­ten für die Teil­nah­me an der Extra­Tour­Spe­zi­al sind im Muse­ums­ein­tritt ent­hal­ten. Start­punkt ist Frei­tag, den 18. Sep­tem­ber 2015 um 15.30 Uhr im Foy­er des His­to­ri­schen Muse­ums Bre­mer­ha­ven.
Quel­le:
His­to­ri­sche Muse­um Bre­mer­ha­ven: „HMB aktu­ell 51/15 – 10.09.2015″

Historischer Stadtrundgang — Vom Yachthafen zur Südmole

Geest­e­mün­de als Hafen- und Indus­trie­stand­ort
Vom Yacht­ha­fen zur Südmole

Historischer Stadtrundgang

Unter dem dies­jäh­ri­gen Mot­to des Tags des offe­nen Denk­mals “Hand­werk, Tech­nik, Indus­trie“ wer­den die archi­tek­to­ni­schen und tech­ni­schen Ver­än­de­run­gen im Bereich der Geest­e­mün­dung in den Blick genommen.

Dazu gehö­ren die Dop­pel­schleu­se, das Gelän­de der „Nord­see“, das ehe­ma­li­ge Haupt­zoll­amt und der Vor­ha­fen sowie die Schleu­se des ehe­ma­li­gen Geest­e­mün­der Han­dels­ha­fens, aber auch die neue Bebau­ung am Haupt­ka­nal. Vor­bei am Yacht­ha­fen und dem Elb­in­ger Platz geht es Rich­tung Fähr­an­le­ger. Der Rund­gang endet schließ­lich an der Süd­mo­le.
Treff­punkt:
Sonn­tag, 13. Sep­tem­ber 2015, 16–18 Uhr
Elb­in­ger Platz, Plee­se Eck

Refe­ren­ten:
Dr. Dirk J. Peters , Indus­trie­ar­chäo­lo­ge und Tech­nik­his­to­ri­ker
Dr. Julia Kah­leyß, Stadt­ar­chiv Bremerhaven 

70 Jahre Bremerhavener Stadtpolizei

Die Stadt­po­li­zei in Bre­mer­ha­ven ist eine kom­mu­na­le Poli­zei, die einen eige­nen Füh­rungs­stab hat und in Schutz‑, Kri­mi­nal- und Ver­wal­tungs­po­li­zei geglie­dert ist. Mit ihren vier Poli­zei­re­vie­ren ist sie Teil der Stadt­ver­wal­tung und unmit­tel­bar dem Ober­bür­ger­meis­ter unter­stellt. In die­sem Jahr wur­de die Orts­po­li­zei Bre­mer­ha­ven 70 Jah­re alt.

Stadtpolizei in Bremerhaven

Als am 1. Mai 1827 auf dem bis­he­ri­gen han­no­ver­schen Hafen­haus an der Gees­te die bre­mi­sche Flag­ge gehisst wur­de, zähl­te der neue Hafen­ort Bre­mer­ha­ven 19 Per­so­nen. Wei­te­re 300 Per­so­nen waren damit beschäf­tigt, den neu­en Hafen zu bau­en. Schon ein hal­bes Jahr spä­ter waren an die­ser Groß­bau­stel­le bis zu 1.000 Arbei­ter beschäf­tigt. Eine Poli­zei muss­te her,  und so sorg­ten bereits vom Jah­re 1827 an ein vom Bre­mer Senat ein­ge­setz­ter Amt­mann und drei berit­te­ne Dra­go­ner für Ord­nung in der neu gegrün­de­ten Stadt.

Zwar erhielt Bre­mer­ha­ven im Jah­re 1851 das Stadt­recht und sei­ne ers­te Gemein­de­ver­fas­sung, die Poli­zei wur­de aber wei­ter­hin vom Amt­mann, also vom Bre­mer Senat, ver­wal­tet. Erst im Jah­re 1887 erhielt die Stadt Bre­mer­ha­ven ihre eige­ne Ver­fas­sung. Da hier­mit auch die Auf­ga­ben des Bre­mer Amt­man­nes auf Bre­mer­ha­ven über­tra­gen wur­den, kann man die neue Stadt­ver­fas­sung wohl als Geburts­stun­de der selb­stän­di­gen Poli­zei Bre­mer­ha­vens betrach­ten. Gleich­wohl blie­ben die Bre­mer Dra­go­ner wei­ter­hin vor Ort. Aber der Bre­mer­ha­ve­ner Stadt­rat rich­te­te eine städ­ti­sche Nacht­wa­che ein und nann­te sie “Städ­ti­sche Nachtpolizei”.

Stadtpolizei Bremerhaven

Im Jah­re 1939 ver­staat­lich­ten die Natio­nal­so­zia­lis­ten in ganz Deutsch­land die Län­der- und Stadt­po­li­zei­en. Damit wur­de auch der Bre­mer­ha­ve­ner Poli­zei der kom­mu­na­le Sta­tus ent­zo­gen. Das wur­de aller­dings nach dem Krie­ge wie­der geän­dert. Die Alli­ier­ten beschlos­sen, dass die Poli­zei in Deutsch­land wie­der dezen­tra­li­siert wird. 

Nach­dem neben Bre­men auch die Stadt Bre­mer­ha­ven der ame­ri­ka­ni­schen Besat­zungs­zo­ne zuge­schla­gen wur­de, war es die­sen wich­tig, dass Bre­mer­ha­ven nach ame­ri­ka­ni­schem Vor­bild von einem “She­riff”, dem Direk­tor der Orts­po­li­zei­be­hör­de, geführt wur­de. Seit­her gilt der 21.06.1945 als Geburts­tag der Bre­mer­ha­ve­ner Ortspolizeibehörde.

Am 02.08.1947 zemen­tier­te der Bre­mi­sche Senat die Selbst­ver­wal­tungs­an­ge­le­gen­heit der Stadt­ge­mein­den Bre­men und Bre­mer­ha­ven per Gesetz. Seit­her ist die Bre­mer­ha­ve­ner Orts­po­li­zei als Teil der Stadt­ver­wal­tung unmit­tel­bar dem Ober­bür­ger­meis­ter unter­stellt.
Quel­len:
Orts­po­li­zei­be­hör­de Bre­mer­ha­ven
Frank Mie­ner: Seit 70 Jah­ren eine eige­ne Stadt­po­li­zei, Sonn­tags­jour­nal 19.7.15
Har­ry Gab­cke: Bre­mer­ha­ven in zwei Jahr­hun­der­ten – 1827–1918, Sei­te 10

Deutsch-Französischer Stammtisch streift durch die Geschichte

Seit dem Jah­re 2007 tref­fen sie sich jeden ers­ten Mitt­woch im Monat im Restau­rant “La Ciga­le” in der Goe­the­stra­ße 31 in Lehe und plau­dern sin­gen und genie­ßen den Abend.  Am Deutsch-Fran­zö­si­schen Stamm­tisch, von dem hier die Rede ist, wird natür­lich flie­ßen Fran­zö­sisch gesprochen.

Deutsch-Französischer Stammtisch

Vom Pfäl­zi­schen Erb­fol­ge­krieg bis zum Zwei­ten Welt­krieg — Deut­sche und Fran­zo­sen führ­ten seit Jahr­hun­der­ten Krieg gegen­ein­an­der. Erst mit dem Ély­sée-Ver­trag aus dem Jahre1963 soll­te die “Erb­feind­schaft” end­lich been­det wer­den. Und das, was da einst vom deut­schen Bun­des­kanz­ler Kon­rad Ade­nau­er und vom fran­zö­si­schen Staats­prä­si­den­ten Charles de Gaul­le unter­zeich­net wur­de, hat Bestand. 70 Jah­re ohne Krieg ließ aus den eins­ti­gen Erb­fein­den Freun­de werden.

Quartiermeisterei Lehe

Am Sonn­abend, 13. Juni 2015, will der Deutsch-Fran­zö­si­sche Stamm­tisch in der Lan­gen Nacht der Kul­tur mit his­to­ri­schen Bil­dern und Lie­dern den “Lan­gen Weg zum Frie­den zwi­schen Frank­reich und Deutsch­land” von 1789 bis heu­te prä­sen­tie­ren. Die Prä­sen­ta­ti­on fin­det von 18.30 bis 20 Uhr in der Quar­tiers­meis­te­rei in der Uhland­stra­ße 28 in Bre­mer­ha­ven statt.
Quel­le:
Ulrich Mül­ler: “Der lan­ge Weg zum Frie­den”, Nord­see-Zei­tung vom 28.5.2015

Stadtarchiv informiert über “Persilscheine” von der Entnazifizierungsstelle

Der Begriff des “Per­sil­scheins“, mit dem sich mut­maß­li­che natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Straf­tä­ter durch die Aus­sa­gen von Ent­las­tungs­zeu­gen „rein waschen“ konn­ten, ist noch heu­te in der kol­lek­ti­ven Erin­ne­rung ver­an­kert und wird mit dem Pro­zess der Ent­na­zi­fi­zie­rung verknüpft.

Entnazifizierung

Doch wie lief die­ses Ver­fah­ren eigent­lich ab? Und konn­te man damals all­ge­mein gül­ti­ge Ant­wor­ten auf der Suche nach der Schuld der ein­zel­nen Bür­ger fin­den? Fra­gen, die auch heu­te noch aktu­ell sein können.

Die Ent­na­zi­fi­zie­rung in Weser­mün­de und Bre­mer­ha­ven“ – so lau­tet der Titel des Work­shops, der einen Ein­blick in den Pro­zess der Ent­na­zi­fi­zie­rung in Weser­mün­de und Bre­mer­ha­ven geben soll. Anhand von Bei­spie­len aus Bre­mer­ha­ve­ner und Bre­mer Akten kön­nen die Teil­neh­mer des Work­shops, zu dem das Bre­mer­ha­ve­ner Stadt­ar­chiv am 1. Juli 2015 ein­lädt, den Gang der Ent­na­zi­fi­zie­rung  nach­voll­zie­hen und dabei ein wich­ti­ges Stück Bre­mer­ha­ve­ner Nach­kriegs­ge­schich­te erleben.

Jeder Deut­sche über 18 Jah­ren muss­te nach dem Gesetz zur Befrei­ung vom Natio­nal­so­zia­lis­mus und Mili­ta­ris­mus einen Fra­ge­bo­gen aus­fül­len. Die Lei­te­rin des Bre­mer­ha­ve­ner Stadt­ar­chivs, Frau Dr. Julia Kah­layß, beschreibt in der Nord­see-Zei­tung die dama­li­ge Vor­ge­hens­wei­se: “Falls bei einer ers­ten Über­prü­fung nichts gefun­den wur­de, wur­de ein ‚Nicht­be­trof­fe­nen­be­scheid‘ aus­ge­stellt. Die Betrof­fe­nen wur­den in die Kate­go­rien Haupt­schul­di­ge, Belas­te­te, Min­der­be­las­te­te, Mit­läu­fer und Ent­las­te­te ein­ge­teilt, und die Anga­ben anschlie­ßend durch die Spruch­kam­mern überprüft.

Die heu­te 87-Jäh­ri­ge Wal­traut Sch. hat von 1947 bis 1948 Ent­na­zi­fi­zie­rungs­bü­ro gear­bei­tet und soge­nann­te Nicht­be­trof­fe­nen­be­schei­de aus­ge­stellt. Für die Nord­see-Zei­tung erin­nert sie sich: Wir haben in der Geschäfts­stel­le der Spruch­kam­mer die Lis­ten durch­ge­ar­bei­tet und die Beschei­de für die Bür­ger aus­ge­stellt, die von dem Gesetz nicht betrof­fen waren“.

Die Spruch­kam­mern sol­len Mit­te 1948 auf­ge­löst wor­den sein.
Quel­le:
Nord­see-Zei­tung vom 09.06.2015

Die Geschichtswerkstatt Lehe erzählt

Die Geschichts­werk­statt Lehe erzählt

Regel­mä­ßig tref­fen sich die Mit­glie­der der Geschichts­werk­statt Lehe, die der Kul­tur­wis­sen­schaft­ler Dr. Burk­hard Her­ge­sell im Jah­re 2006 gegrün­det hat. Heu­te sind es rund ein Dut­zend Hob­by­his­to­ri­ker, die Geschich­ten aus einer Zeit zusam­men­tra­gen, in der es Lehe noch gut ging.Die Geschichtswerkstatt Lehe erzähltIn den Jah­ren 1880 bis 1914 ent­stand in Lehe ein Wohn­quar­tier, dass heu­te als Goe­the­stra­ßen-Quar­tier bekannt ist. “Es kamen täg­lich Leu­te an, woll­ten ihren Fami­li­en ein bes­se­res Leben ermög­li­chen”, so Dr. Her­ge­sell im Sonn­tags­jour­nal vom 04.01.2015. Die um die Wen­de zum zwan­zigs­ten Jahr­hun­dert vor­herr­schen­de posi­ti­ve Grund­hal­tung der Zuwan­de­rer ist lei­der längst ver­flo­gen. Woh­nungs­leer­stän­de und Schrott­im­mo­bi­li­en prä­gen heu­te das Bild rund um die Goe­the­stra­ße. Doch wenn die sehr dif­fe­ren­zier­te sozia­le Schich­tung in die­sem Gebiet auch nicht ein­fach ist, vie­le hier leben­de Men­schen möch­ten sich für “ihr” Quar­tier posi­tiv enga­gie­ren.Die Geschichtswerkstatt Lehe erzähltSo tref­fen sich die Mit­glie­der der Geschichts­werk­statt Lehe alle vier­zehn Tage im Treff­punkt “Kog­ge” in der Goe­the­stra­ße 23. Die Tref­fen sind aber nicht dem all­ge­mei­nen Zeit­ver­treib gewid­met. Hier wird ernst­haft die Geschich­te des Stadt­teils Lehe auf­ge­ar­bei­tet. Geschich­ten aus der Zeit, als Lehe noch ein boo­men­der Stadt­teil war, wer­den erin­nert und zusammengetragen.

Im Jah­re 1800 war Lehe noch eine klei­ne Gemein­de mit nur 1.300 Ein­woh­nern. Die indus­tri­el­le Revo­lu­ti­on spül­te aber auch nach Lehe Men­schen, die in den neu­en Werf­ten, Fabri­ken und Hafen­an­la­gen Arbeit fan­den. Im Jah­re 1900 hat­ten in Lehe, die 1920 eine kreis­freie Stadt wur­de, 28.000 Ein­woh­ner ihre Heimat.

Die fast ver­ges­se­nen Ein­zel­schick­sa­le der Men­schen die­ser Stadt und die­ser Zeit wie­der­be­le­ben, dass ist das Ziel der Mit­glie­der der Geschichts­werk­statt Lehe. Die klei­nen Geschich­ten der ein­zel­nen Men­schen wer­den ein­ge­bet­tet in die gro­ße Geschich­te jener Zeit und in die sozia­len Ver­hält­nis­se, die damals unab­än­der­lich das Leben der Kin­der und Erwach­se­nen, der Män­ner und Frau­en bestimm­ten.Die Geschichtswerkstatt Lehe erzähltIn der Geschichts­werk­statt denkt man auch dar­über nach, wie man das Quar­tier Goe­the­stra­ße wie­der auf­wer­ten könn­te. Als ers­ten Schritt hat  im ver­gan­ge­nen Jahr eine für das Quar­tier Goe­the­stra­ße zustän­di­ge Quar­tier­ma­na­ge­rin ihre Arbeit auf­ge­nom­men. Sie soll eng mit der Immo­bi­li­en­wirt­schaft zusam­men­ar­bei­te und dafür Sor­ge tra­gen, dass das Quar­tier wie­der als Wohn­ge­biet attrak­tiv wird.
Quel­len:
Sonn­tags­jour­nal vom
04.01.2015
geschichtswerkstatt-lehe.de
burkhard-hergesell.de
meinlehe.de
esglehe.de

 

Mit Gott in den Krieg für Kaiser, Volk und Vaterland

Mit Gott in den Krieg für Kai­ser, Volk und Vaterland

1888 wird der am 27. Janu­ar 1859 gebo­re­ne Fried­rich Wil­helm mit 29 Jah­ren Kai­ser. Für sei­ne Erzie­hung war der Kal­vi­nist Georg Hinz­pe­ter ver­ant­wort­lich, der 1866 zum Erzie­her des sie­ben­jäh­ri­gen Prin­zen Wil­helm von Preu­ßen beru­fen wur­de und über sei­nen Zög­ling spä­ter urtei­len wird: “Zum Reprä­sen­tan­ten taugt er, sonst kann er nichts (…) Er hät­te Maschi­nen­schlos­ser wer­den sollen.” 

Mit Gott in den Krieg für Kaiser

Aber der Mann wird ein Kai­ser, der in einem schnei­di­gen Auf­tre­ten daher­kommt und sich am liebs­ten in einer sei­ner 300 ver­schie­de­nen Uni­for­men prä­sen­tiert. Ein Kai­ser, der  — anders als sein Groß­va­ter Wil­helm I. – nicht bereit ist, sich dem Wil­len Bis­marcks unter­zu­ord­nen. Ein Kai­ser, der sich als Allein­herr­scher und Regent eines Rei­ches mit welt­po­li­ti­schen Ambi­tio­nen ver­steht. Ein Kai­ser, der von sich sagt: “Zu Gro­ßem sind wir noch bestimmt, und herr­li­chen Tagen füh­re ich Euch noch ent­ge­gen.” Hier­zu braucht er sei­nen Reichs­kanz­ler Otto von Bis­marck, der eine gegen­sätz­li­che Poli­tik ver­tritt, nicht. Es kommt zum Bruch, und der Kai­ser schickt sei­nen Kanz­ler aufs Alten­teil – der Lot­se muss das von ihm gebau­te Schiff Deut­sches Reich verlassen.

Mit Gott in den Krieg für Kaiser

Kai­ser Wil­helm II. legt sich mit Rus­sen und Fran­zo­sen an und beginnt ein Wett­rüs­ten mit der bri­ti­schen Mari­ne. Als am 28. Juli 1914 Öster­reich-Ungarn den Ser­ben den Krieg erklärt, sagt er Öster­reich sei­ne Unter­stüt­zung zu, und nun hat Deutsch­land die gesam­ten euro­päi­schen Groß­mäch­te gegen sich. Ver­wun­dert und naiv behaup­tet der Kai­ser, dass man Deutsch­land demü­ti­gen wol­le und ruft am 6. August 1914 dem deut­schen Volk zu: “So muss denn das Schwert ent­schei­den. Mit­ten im Frie­den über­fällt uns der Feind. Dar­um auf! zu den Waf­fen! Jedes Schwan­ken, jedes Zögern wäre Ver­rat am Vater­lan­de… Wir wer­den uns weh­ren bis zum letz­ten Hauch von Mann und Ross…”

Mit Gott in den Krieg für Kaiser

Die deut­sche Regie­rung befiehlt die Mobil­ma­chung, und bin­nen weni­ger Tage wer­den Mil­lio­nen jun­ger Män­ner in die Kaser­nen geru­fen, bewaff­net und mit Zügen an die Front geschickt. Und von dort schrei­ben sie Post­kar­ten an die Lie­ben daheim, Post­kar­ten, die in kit­schi­ger Ver­klä­rung das Grau­en des Krie­ges übertünchen.

Und so führ­te der letz­te Deut­sche Kai­ser sein Volk nicht herr­li­chen Tagen ent­ge­gen, son­dern er führt es direkt in den Ers­ten Welt­krieg, den er eigent­lich nicht will und doch nicht in der Lage ist, ihn zu verhindern.

Mit Gott in den Krieg für Kaiser

Am Abend des 3. August 1914 blickt der bri­ti­sche Außen­mi­nis­ter Sir Edward Grey aus einem Fens­ter sei­nes Minis­te­ri­ums und ist sich sicher: “In ganz Euro­pa gehen die Lich­ter aus, wir wer­den sie in unse­rem Leben nie wie­der leuch­ten sehen.”

Begeis­ter­te Frei­wil­li­ge  wer­den nach der Ver­kün­dung der deut­schen Mobil­ma­chung vom Kriegs­fie­ber gepackt, und sie begrei­fen den Krieg zunächst als gro­ßes Spek­ta­kel und rufen in Ber­lin vor dem Schloss: “Wir wol­len den Kai­ser sehen!”

Mit Gott in den Krieg für Kaiser

Bre­mer Regiment

Die Pres­se berich­tet von “unbe­schreib­li­chen Jubel” und Pla­ka­te und Flug­blät­ter wie­geln das Volk mit men­schen­ver­ach­ten­den Pro­pa­gan­da­sprü­chen zusätz­lich auf: “Jeder Schuss ein Russ, jeder Stoß ein Fran­zos, jeder Tritt ein Britt, jeder Klapps ein Japs.“ Und in Bre­mer­ha­ven und anders­wo kann man in Schreib­wa­ren­ge­schäf­ten far­bi­ge Kar­ten mit vater­län­di­schen Bild­mo­ti­ven und ker­ni­gen Sprü­chen kaufen.

Mit Gott in den Krieg für Kaiser

Klei­ne Kin­der bekom­men zu Weih­nach­ten Mal­hef­te mit Kriegs­the­men oder Bau­klöt­ze geschenkt. Auch Zinn­fi­gu­ren, mit denen man die Schlach­ten nach­spie­len kann, sind sehr beliebt. Und grö­ße­re Kin­der spie­len unter Anlei­tung von Vete­ra­nen mit Spiel­zeug­waf­fen die Front­be­rich­te nach. In den Geschäf­ten kann man Kriegs­spiel­zeug aller Art kau­fen, es gibt den gesam­ten mili­tä­ri­schen Bereich wie Uni­förm­chen, Säbel, Degen und Kin­der­hel­me der ver­schie­de­nen Waffengattungen.

Mit Gott in den Krieg für Kaiser

Und mit Lie­dern, Gedich­ten und Mili­tär­pa­ro­len wer­den die Kin­der ein­ge­stimmt, tap­fer den Feind zu besie­gen. Fremd­wör­ter sind nun ver­pönt, es heißt jetzt “Leb­wohl” statt “Adieu” und “Mut­ter” statt “Mama”. Und die Leh­rer mei­nen, es sei eine vater­län­di­sche Pflicht, frem­de Wör­ter nicht mehr zu gebrau­chen. Und den­noch: Trotz des all­ge­mei­nen natio­na­len Tau­mels wäh­rend der unmit­tel­ba­ren Kriegs­vor­be­rei­tung kommt es in vie­len Städ­ten zu Anti­kriegs­de­mons­tra­tio­nen der Arbeiterschaft.

Mit Gott in den Krieg für Kaiser

Den­noch erweist die Füh­rung der deut­schen Sozi­al­de­mo­kra­tie der preu­ßisch-deut­schen Mon­ar­chie ihre Gefolg­schaft und in der Reichs­tags­sit­zung vom 4. August 1914 stim­men auch die bis­her oft als “vater­lands­lo­se Gesel­len“ bezeich­ne­ten Sozi­al­de­mo­kra­ten ein­stim­mig für die Gewäh­rung von Kriegs­kre­di­ten. Der Kai­ser über die für ihn erfreu­li­che Geschlos­sen­heit aller poli­ti­schen Par­tei­en im Reichs­tag: “Ich ken­ne kei­ne Par­tei­en mehr, ken­ne nur noch Deutsche.”

Mit Gott in den Krieg für Kaiser

Und Frau­en beglei­ten ihre Män­ner und Brü­der zum Zug um dort Abschied zu neh­men. Vie­le glau­ben an einen schnel­len Sieg und sind sich sicher: “Zu Weih­nach­ten sind wir sieg­reich wie­der zu Hau­se.” Aber das glau­ben nicht nur die deut­schen Sol­da­ten, auch die Sol­da­ten des Geg­ners sind sich sicher, dass sie bis Weih­nach­ten sie­gen wer­den. Und natür­lich – wie soll es auch anders sein —  selbst­ver­ständ­lich alle mit Got­tes Hil­fe! Und in den Kir­chen han­deln die Pre­dig­ten und Gebe­te, von denen es auch gedruck­te Fas­sun­gen zum Ver­sen­den an die Front gibt, vom Kriegsgeschehen.

Mit Gott in den Krieg für Kaiser

Und so strö­men sie wie­der in die Kir­chen und drän­gen sich zum Abend­mahl, viel­leicht ein letz­tes Mal vor dem Ein­satz an der Front und dem Tod für Volk und Vater­land. Und von der Kan­zel wird gepre­digt: “Wer Gott zum Trotz hat, der wird sie­gen”, und “Ger­ma­nia, lass Dich bit­ten, lass Dich beschwö­ren, nie­mals, was auch kom­men mag, von die­sem Trotz zu lassen.”

Und die Sol­da­ten an der Front wer­den von einem Reli­gi­ons­päd­ago­gen mit einem “Kriegs­va­ter­un­ser” auf Linie gebracht:

Eile, den Deut­schen beizustehen,
Hilf uns im hei­li­gen Kriege!
Laß Dei­nen Namen sternengleich
Uns vor­leuch­ten, Dein Deut­sches Reich
Führ uns zum herr­lichs­ten Siege!”

Und natür­lich haben auch die Fein­de gebe­tet, viel­leicht etwas lau­ter, viel­leicht etwas ein­dring­li­cher, viel­leicht etwas from­mer. Und der “deut­sche Gott” wird das Deut­sche Reich nicht vor einer Nie­der­la­ge bewah­ren. Aber das wis­sen die Deut­schen wohl nicht, sonst wären sie viel­leicht daheim geblie­ben. Und so mar­schie­ren sie los, alle gemein­sam in Tod, für Gott, Volk und Vaterland.

Mit Gott in den Krieg für Kaiser

In den Foto­ate­liers las­sen die zurück­ge­blie­be­nen Frau­en sich mit ihren Kin­dern foto­gra­fie­ren – für die Män­ner im Schüt­zen­gra­ben. Manch­mal wer­den die Kin­der auch allei­ne foto­gra­fiert – aber immer ger­ne mit Uniform.

Und natür­lich wird, wie über­all im Kai­ser­reich, auch an der Unter­we­ser am 31. Juli 1914 der Kriegs­zu­stand erklärt. Nach kai­ser­li­che Ver­ord­nung umfasst der soge­nann­te “Bezirk der Befes­ti­gun­gen der Weser­mün­dung” inner­halb des Krei­ses Lehe die Gemein­den Mis­sel­war­den, Wre­men, Imsum und Lehe sowie die Städ­te Bre­mer­ha­ven und Geest­e­mün­de. Und der Fes­tungs­kom­man­dant hofft, “dass alle patrio­ti­schen Bür­ger ihn und die gesam­te bewaff­ne­te Macht freu­dig und rück­halt­los unter­stüt­zen in der Erfül­lung der durch die Kriegs­ge­fahr geschaf­fe­nen hohen vater­län­di­schen Pflichten…”.

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Und am 16. August 1914 ver­öf­fent­licht das könig­li­che-preu­ßi­sche Kriegs­mi­nis­te­ri­um einen Erlass zur Bil­dung einer Jung­wehr. Der Dienst in der Jung­wehr besteht aus mili­tä­ri­schem Exer­zie­ren und Feld­dienst, Tur­nen und soge­nann­ten Instruk­tio­nen, um die Hin­ga­be der Jugend­li­chen “für das Vater­land, für Kai­ser und Reich zu ent­flam­men. Und die Väter erzäh­len von ihren “Groß­ta­ten”, und die Kriegs­nach­rich­ten wer­den ver­le­sen, alles um “auf die Her­zen der Jugend” ein­zu­wir­ken und bei ihr den Zorn gegen den Feind zu entfachen.

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Und auf der Insel Bor­kum erscheint eine ““Kriegs-Zei­tung der Jugend­wehr “Schwarz-weiß-grü­nes Regi­ment” Bor­kum. Bereits in der Aus­ga­be Nr. 2, die im August 1915 erscheint, wird in einem patrio­ti­schem Gedicht der Toten gedacht, die mit Hel­den­mut kämp­fend ihr Blut für das Vater­land gaben.

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Schon am 2. Okto­ber 1914 wird der Erlass auch in Bre­mer­ha­ven umge­setzt. Im Auf­tra­ge des Stadt­rats erlässt der Stadt­syn­di­kus Dr. Wal­ter Deli­us einen Auf­ruf zur Bil­dung der Jung­wehr: “Auch dies­mal ste­hen wir einer Welt von Fein­den gegen­über, auch han­delt es sich um ein Befrei­ungs­krieg, um einen hei­li­gen Kampf zur Wah­rung unse­rer höchs­ten Güter”, lässt Dr. Deli­us die jun­gen Leu­te wis­sen. Dar­um sol­len sie sich wehr­kräf­tig machen, damit sie die Stra­pa­zen für einen sicher und schnei­dig geführ­ten Feld­zug ertra­gen können.

Am 28. Mai 1914 wird dann geübt, in der Nähe von Weh­den tref­fen sie sich, die Jung­kom­pa­nien der Krei­se Lehe und Geest­e­mün­de und der Städ­te Bre­mer­ha­ven und Geestemünde.

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Und gleich­zei­tig mit der Mobil­ma­chung wird an der Unter­we­ser ein Sani­täts­dienst orga­ni­siert. Im Kai­ser­ha­fen erhal­ten drei gro­ße Lloyd­präh­me je 84 Bet­ten und einen ärzt­li­chen Ope­ra­ti­ons­raum. Und auch der Per­so­nen­damp­fer “Glück­auf” wird umge­rüs­tet für Sanitätszwecke.

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Und alle glau­ben, hier an der Weser­mün­dung wird der Feind über­ra­schend zuschla­gen. Und so ord­net in Wre­men ein Oberst vor­sichts­hal­ber an, den Kirch­turm um die Hälf­te zu kür­zen, weil das Deut­sche Reich ja nun auch mit Eng­land im Krie­ge sei und dem Feind die­ses wich­ti­ge See­zei­chen ent­zo­gen wer­den müs­se. Und so fan­gen sie sofort mit den Bau­maß­nah­men an, zwei Tage spä­ter ist der vor­her 50 Meter hohe Turm um die Hälf­te geschrumpft, und das Deut­sche Reich ist vor den Eng­län­dern nun sicher.

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Es gibt Mil­lio­nen von Frei­wil­li­gen, die sich zum Wehr­dienst mel­den, In Bre­mer­ha­ven lau­fen mas­sen­haft Män­ner in die Matro­sen-Artil­le­rie-Kaser­ne in der Kai­ser-Wil­helm-Stra­ße und mel­den sich frei­wil­lig zum Kriegs­dienst. Wer ange­nom­men wird, lernt noch am glei­chen Tag das Sol­da­ten­le­ben ken­nen: Unter­su­chung, Ein­klei­dung, Stu­ben­ein­tei­lung, Bet­ten­bau­en üben und die Spind­ord­nung ler­nen. Und gleich am nächs­ten Tag beginnt der Drill: Die Geweh­re wer­den ver­teilt, und in der Lloyd­hal­le wer­den die Rekru­ten drei Wochen lang an 8,8‑cm-Feldgeschütze aus­ge­bil­det. Dann mar­schie­ren sie von der Matro­sen-Artil­le­rie-Kaser­ne ab und lau­fen die Hafen­stra­ße hin­auf und links in die Bat­te­rie­stra­ße hin­ein um schließ­lich über Wed­de­war­den zur im Weser­schlick auf­ge­schüt­te­ten Fes­tungs­in­sel Fort Brin­k­a­ma­hof II zu gelan­gen. Die Unter­künf­te und Kase­mat­ten sind durch dicke Zie­gel­mau­ern geschützt, und durch eben­falls geschüt­ze Gän­ge errei­chen die Sol­da­ten die vier 28-Zen­ti­me­ter-Dop­pel­ge­schüt­ze, beset­zen sie und bewa­chen die Küs­te auf­merk­sam, und vor der Küs­te kreu­zen deut­sche Kriegs­schif­fe, weil man hier einen bri­ti­schen Flot­ten­an­griff befürch­tet. Der Kom­man­dant hat einen hohen mili­tä­ri­schen Rang, er ist Vize­ad­mi­ral, ein Indiz, für wie bedeu­tend das Kriegs­mi­nis­te­ri­um die­se mili­tä­ri­sche Anla­ge hält.

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Und auch die Luft­schutz­räu­me, die in der Leher Hafen­stra­ße in den Hotels Rüsch und Kai­ser­gar­ten und Licht­bild­thea­ter Alex ein­ge­rich­tet wer­den, kom­men eben­so wei­nig zum Ein­satz, wie die Luft­schutz­räu­me auf der Unter­we­ser­werft in der Werft­stra­ße, im Poli­zei­ge­fäng­nis in der Lan­ge Stra­ße, im Rat­haus und im Amts­ge­richt in der Nordstraße.

Für die Fein­de des Deut­schen Rei­ches ist die Weser­mün­dung wohl kein gutes Inva­si­ons­ge­biet, jeden­falls kom­men kei­ne Schif­fe, und es kom­men auch kei­ne Flug­zeu­ge, und so ver­ge­hen die Tage mit der Aus­bil­dung an den Geschüt­zen. Und dann ist die Aus­bil­dung vor­bei, und es wird ernst, es geht an die Front nach Flan­dern. Zum Bahn­hof wird natür­lich wie­der mit Musik mar­schiert, beglei­tet von der Bevöl­ke­rung, die sich die Abfahrt des mit Paro­len beschrif­te­ten Wag­gons zum Fein­des­land nicht ent­ge­hen las­sen will.

Und so rufen die deut­schen Sol­da­ten im August 1914: “Auf, auf zum Kampf”, und sie kön­nen es kaum erwar­ten, an die Front zu kom­men, und sie zie­hen gegen den Feind “in Ost und West”, zie­hen “vor­wärts mit Gott, der mit uns sein wird, wie er mit den Vätern war.” Am 5. Sep­tem­ber 1914 steht Gene­ral­oberst von Kluck mit den 174 000 Sol­da­ten sei­ner 1. Armee etwa 30 Kilo­me­ter vor Paris. Ins­ge­samt hat der Kai­ser sie­ben Armeen gegen Frank­reich auf­mar­schie­ren las­sen. Und da ist nie­mand mehr, der die mör­de­rischs­te Schlacht der Welt­ge­schich­te ver­hin­dern will oder ver­hin­dern kann.

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Und wie zu Napo­le­ons Zei­ten stür­men die Sol­da­ten mit Hur­ra-Rufen dem Feind ent­ge­gen – und tref­fen auf die moder­nen Waf­fen des 20. Jahr­hun­derts. Sie wer­den gestoppt von Maschi­nen­ge­weh­ren, die bis zu 600 Kugeln in der Minu­te aus­spu­cken, sie wer­den nie­der­ge­mäht von Feld­ka­no­nen, die in schnel­ler Fol­ge Schrapp­nell-Gra­na­ten abfeu­ern. Und so wird der Vor­marsch schon im Sep­tem­ber 1914 an der Mar­ne gestoppt, und statt der erhoff­ten Gefech­te gibt es Schmutz, Arbeit, Käl­te, Schmerz und schlaf­lo­se Näch­te in Todesangst.

Es gibt Gra­ben- und Stel­lungs­krieg und Grau­sam­kei­ten wie Gift­gas, und Feu­er­über­fäl­le und zwi­schen den leben­den Sol­da­ten lie­gen die toten, die in Lagen über­ein­an­der­ge­schich­tet waren.

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Und im Dezem­ber reg­net es in Flan­dern, es reg­net und reg­net und reg­net tage­lang und unauf­hör­lich. Am 20. Dezem­ber kommt kei­ne Weih­nachts­freu­de auf. Es reg­net, und in den Hügeln um Ypern und im Fluss­tal das Lys läuft das Regen­was­ser in die Schüt­zen­grä­ben, und die Grä­ben kön­nen das gan­ze Was­ser irgend­wann nicht mehr auf­neh­men und lau­fen über, und auch die Gra­nat­trich­ter sind rand­voll. Der Regen durch­nässt auf­ge­bläh­te Pfer­de­ka­da­ver und durch­weicht die Uni­for­men toter Sol­da­ten, die hier nach wochen­lan­gen Kämp­fen ver­we­send auf dem Schlacht­feld liegen.

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Die geschwol­le­nen Füße der Leben­den ste­cken in nas­sen Stie­feln und sind taub. Die Gra­ben­wän­de bre­chen ein, die Schlaf­lö­cher sind feucht und der Matsch ist knie­hoch. Und wer sein Kopf über die Gra­ben­kan­te hebt, den trifft die Kugel eines lau­ern­den Scharf­schüt­zen. Die sind teil­wei­se so nah, dass man ihnen Schimpf­wor­te zuru­fen kann.  Also blei­ben alle in Deckung, kön­nen die Kada­ver nicht sehen aber rie­chen, und um sie her­um stin­ken die eige­nen Exkremente.

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Und dann ist Weih­nach­ten. Am Mor­gen des 24. Dezem­ber 1914 reg­net es nicht mehr in dem knapp 45 Kilo­me­ter lan­gen Front­ab­schnitt in Flan­dern, in dem sich bri­ti­sche und deut­sche Sol­da­ten gegen­über­lie­gen, und es wird kaum noch geschos­sen. Bei­de Sei­ten ver­stän­di­gen sich unter­ein­an­der, dass man die Gefal­le­nen ber­gen möch­te. Und so gehen die Sol­da­ten unbe­hel­ligt ins Nie­mands­land, und sie holen ihre Toten, um sie zu beer­di­gen. Und man spricht mit­ein­an­der und einigt sich auf eine Feu­er­pau­se wäh­rend der Weih­nachts­ta­ge. Auf die Grä­ber der Gefal­le­nen stel­len die Bri­ten Lich­ter auf, Geweh­re mit auf­ge­pflanz­ten Bajo­nett die­nen als Ker­zen­stän­der. Und deut­sche Sol­da­ten stel­len ihre Tan­nen­bäu­me, die man ihnen aus der Hei­mat an die Front schick­te, auf die schüt­zen­de Brüs­tung ihrer Grä­ben und zün­den die Ker­zen an. Und sie sin­gen Weih­nachts­lie­der und über­brin­gen dem bri­ti­schen Geg­ner Geschen­ke: Süßig­kei­ten, Wein und Ziga­ret­ten aus der Heimat.

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Und am 25. Dezem­ber kommt der Frost, und die Son­ne geht über einer weiß glit­zern­den Land­schaft auf. Rau­reif über­zieht die Sta­chel­draht­ver­haue, dün­ner Früh­ne­bel schwebt über dem hart gefro­re­nen Boden. Und im etwa 80 Meter brei­ten Nie­mands­land wird ein gemein­sa­mer Got­tes­dienst gefei­ert, die Deut­schen ste­hen auf der einen Sei­te und die Eng­län­der auf der ande­ren. Und wäh­rend der Fei­er­ta­ge wird Fuß­ball gespielt, Deut­sche gegen Bri­ten. Aber in der letz­ten Dezem­ber­nacht wün­schen sie sich noch ein gutes neu­es Jahr und neh­men dann Abschied von­ein­an­der. Der Krieg geht wei­ter: “Mor­gen kämpfst Du für Dein Land und ich für mei­nes. Viel Glück!” ‚ver­ab­schie­det sich ein Sol­dat der Lon­don Rif­les von sei­nem Gegen­über. Und ein Jeder geht in sei­ne Stel­lung zurück. Doch an vie­len Front­ab­schnit­ten schwei­gen die Geweh­re noch lan­ge, nie­mand will als Ers­ter schießen.

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Die Schüt­zen­grä­ben sind 720 Kilo­me­ter lang, sie begin­nen nörd­lich von Ypern unweit der Nord­see und enden erst an der Schwei­zer Gren­ze. Die West­front ist erstarrt, und auch das rie­si­ge “Paris-Geschütz” oder die “Dicke Ber­tha” oder der “Lan­ger Max” ändern nichts dar­an, dass eine Kom­pa­nie nach der ande­ren im Trom­mel­feu­er ver­nich­tet wird. Bei Ver­dun ver­schie­ßen kai­ser­li­che Kano­nie­re in den ers­ten acht Stun­den zwei Mil­lio­nen Gra­na­ten. Bis heu­te, hun­dert Jah­re danach, zeigt sich die Natur dort als kra­ter­über­zo­ge­ne Mond­land­schaft, nur über­zo­gen mit einem Flaum aus Büschen, Bäu­men und Sträuchern.

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Und an Maas und Som­me ster­ben dop­pelt so vie­le Bri­ten, drei­mal so vie­le Bel­gi­er und vier­mal so vie­le Fran­zo­sen wie im Zwei­ten Welt­krieg. Sie ent­rich­ten in die­sem Krieg einen höhe­ren Blut­zoll als in jedem ande­ren Krieg ihrer Geschich­te und nen­nen ihn des­halb “The Gre­at War“ oder “La Gran­de Guer­re“. Und rund neun Mil­lio­nen Men­schen sehen ihre Hei­mat nicht wie­der, sie ver­lie­ren ihr Leben in die­sem schreck­li­chen Krieg, in dem das Töten auf dem Schlacht­feld erst­mals indus­tri­el­le Aus­ma­ße ange­nom­men hat und der erst am 11. Novem­ber 1918 um 11.00 Uhr been­det sein wird.

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Doch da hat der deut­sche Kai­ser Wil­helm II., der bes­ser Maschi­nen­schlos­ser hät­te wer­den sol­len, schon die Flucht ergrif­fen und sich im hol­län­di­schen Exil nie­der­ge­las­sen und hält dort Hof, bis er end­lich am 9. Novem­ber 1918 abdankt und damit die über 500jährige Herr­schaft der Hohen­zol­lern in Preu­ßen beendet.

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Aber in Frank­reich und Russ­land ver­wüs­ten Gra­ben­kämp­fe und schwe­res Kriegs­ge­rät wei­ter die Land­schaf­ten.  Die Orte der gro­ßen Schlach­ten und des Stel­lungs­kampfs blei­ben für vie­le Jah­re unbe­wohn­ba­re Gebie­te der Apokalypse.

Und in der Heimat?

Für die Men­schen im Nord­wes­ten ist der Krieg zwar rela­tiv weit weg, aber hier bestimmt die Sor­ge um Män­ner, Brü­der und Söh­ne die täg­li­chen Gedan­ken. Der Aus­bruch des Krie­ges trifft Bre­mer­ha­ven beson­ders schwer. Anders­wo kön­nen sich die Betrie­be bald auf die ver­än­der­ten Ver­hält­nis­se umstel­len. In den Nord­see­hä­fen aber ist das nicht mög­lich. Der Krieg legt die gesam­te Fisch­in­dus­trie, den Fisch­han­del und die Hoch­see­fi­sche­rei lahm. Und schon im  August 1914 sind im Fische­rei­ha­fen 403 Per­so­nen arbeits­los. Im Sep­tem­ber 1914 stellt die Rick­mers­werft ihren Betrieb kom­plett ein. Ab 1. Novem­ber 1914 trifft es die Kell­ne­rin­nen, sie dür­fen in den Gast- und Schank­wirt­schaf­ten des Fes­tungs­ge­bie­tes nicht mehr arbei­ten. Spe­di­ti­ons­be­trie­be haben in den still­ge­leg­ten Häfen auch nichts mehr zu tun.

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Bis zum Anfang des Jah­res 1915 kom­men noch Schif­fe unter ame­ri­ka­ni­scher Flag­ge in die Häfen. Dann aber erklärt die eng­li­sche Regie­rung auch Baum­wol­le zur Bann­wa­re, und der kom­plet­te deut­sche See­han­del kommt schlag­ar­tig zum Erlie­gen. Bei Kriegs­aus­bruch sind noch deut­sche Schif­fe auf dem Mee­re, und die Besat­zun­gen stam­men zum gro­ßen Teil aus den Unter­we­ser­or­ten. Vie­le sor­gen sich um ihre Ange­hö­ri­gen, die fern der Hei­mat jah­re­lang fest­ge­hal­ten wer­den Han­dels­un­ter­see­boo­te ver­su­chen die Blo­cka­de zu durch­bre­chen, und der 23. August 1916 ist ein beson­de­rer Freu­den­tag für die Bre­mer­ha­ve­ner: an die­sem Tag läuft das Han­dels­un­ter­see­boot “Deutsch­land” in die Unter­we­ser ein.

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Bei Kriegs­aus­bruch sind noch deut­sche Schif­fe auf dem Mee­re, und die Besat­zun­gen stam­men zum gro­ßen Teil aus den Unter­we­ser­or­ten. Vie­le sor­gen sich um ihre Ange­hö­ri­gen, die fern der Hei­mat jah­re­lang fest­ge­hal­ten werden.

Die “Kron­prin­zes­sin Ceci­lie” und die “Kai­ser Wil­helm II” kön­nen wohl­be­hal­ten die Ver­ei­nig­ten Staa­ten errei­chen, wo sich bereits die “Geor­ge Washing­ton” und die “Kron­prinz Wil­helm” befin­den. Und die für Kaper­fahr­ten zum Hilfs­kreu­zer umge­rüs­te­te “Kai­ser Wil­helm der Gro­ße” liegt in Bre­mer­ha­ven, bis sie nach einem ver­lo­re­nen Gefecht mit einem eng­li­schen Kreu­zer am 26. August 1914 von der eige­nen Besat­zung im Atlan­tik ver­senkt wird.

Kriegspropaganda

Im gan­zen aber erlebt Bre­mer­ha­ven den Krieg nicht anders als ande­re deut­sche Städ­te. An der Hei­mat­front wird gehun­gert, und die Not ist groß. Die drei Unter­we­ser­or­te Bre­mer­ha­ven, Lehe und Geest­e­mün­de rich­ten ein gemein­sa­mes Lebens­mit­tel­amt ein. Die Brot- und Lebens­mit­tel­ver­kaufs­stel­len dür­fen nur noch bis 16.00 Uhr geöff­net haben. Und weil die Ver­sor­gung mit Lebens­mit­teln so schlecht ist, wer­den Bäcker­lä­den geplündert.

Lebensmittelkarte

Und der Krieg, der auch weit­ab von der Front über­all spür­bar ist, geht auch in Bre­mer­ha­ven nicht spur­los an der Zivil­be­völ­ke­rung vor­bei. Wohl sechs Mil­lio­nen Zivi­lis­ten sind auf bei­den Sei­ten durch Bom­ben, Hun­ger, Krank­hei­ten oder Mas­sa­ker umge­kom­men. In Deutsch­land fal­len der schlech­ten Ver­sor­gungs­la­ge mehr Men­schen zum Opfer, als den alli­ier­ten Bom­ben im Zwei­ten Weltkrieg.

1917 werden Kartoffeln rationiert

Kein krieg­füh­ren­des Land trifft Vor­be­rei­tun­gen für einen lan­gen Krieg. Gleich nach Kriegs­be­ginn 1914 erlässt Groß­bri­tan­ni­en gegen Deutsch­land ein Han­dels­em­bar­go und eine Han­dels­blo­cka­de zur See, die erst 1919 wie­der auf­ge­ho­ben wer­den soll. Auch feh­len die Nah­rungs­mit­tel­im­por­te aus Russ­land. Das führt in Deutsch­land zu einer Ver­knap­pung der Lebens­mit­tel, die jetzt ratio­niert und zwangs­be­wirt­schaf­tet und nur noch auf Kar­ten oder Bezugs­schei­ne her­aus­ge­ge­ben wer­den. Wegen der See­blo­cka­de und der feh­len­den Arbeits­kräf­te und Pfer­de in der Land­wirt­schaft gehen auch die Ern­te­er­trä­ge an Brot­ge­trei­de, Kar­tof­feln und But­ter zurück.

Warteschlange in Görlitz

Gehor­te­te und ver­steck­te Lebens­mit­tel wer­den von den Behör­den beschlag­nahmt. Nah­rungs­mit­tel, die die Sol­da­ten ver­brau­chen, fehlt der Zivil­be­völ­ke­rung. Und so hun­gern sie bei­de, Sol­da­ten wie Zivi­lis­ten. Nur wis­sen die Men­schen in der Hei­mat nicht, wie schlecht die Ver­sor­gungs­la­ge an der Front wirk­lich ist. Und man­gels Fut­ter schlach­ten die Land­wir­te schon 1915 ihre ers­ten Tie­re. Es wer­den so vie­le Schwei­ne geschlach­tet, dass das Schwei­ne­fleisch für die Dau­er des Krie­ges knapp bleibt. Haus­schlach­tun­gen müs­sen vor­her geneh­migt wer­den, sonst wird das Fleisch ein­ge­zo­gen und eine Geld­stra­fe fällig.

Hunger

Beson­ders groß ist die Hun­gers­not im “Steck­rü­ben­win­ter” 1916/1917, der uner­war­tet kommt und die phy­si­sche Wider­stands­kraft der Bevöl­ke­rung zer­mürbt. Ein ver­reg­ne­ter Herbst 1916 ver­ur­sach­te eine Kar­tof­fel­fäu­le, die die Ern­te etwa auf die Hälf­te des Vor­jah­res redu­zier­te. Es feh­len rund 95 Mil­lio­nen Zent­ner Kar­tof­feln. Und damit das Deut­sche Reich kei­ne Nah­rungs­mit­tel aus neu­tra­le Staa­ten impor­tie­ren kann, kauft die bri­ti­sche Regie­rung die­se auf. Für die Ver­sor­gung der Bevöl­ke­rung wer­den jetzt Sup­pen­kü­chen ein­ge­rich­tet und Gerich­te aus Steck­rü­ben ange­bo­ten: Steck­rü­ben­sup­pe, Steck­rü­be­nauf­lauf, Steck­rü­ben­ko­te­letts, Steck­rü­ben­pud­ding, Steck­rü­ben­mar­me­la­de und Steck­rü­ben­brot. Die Steck­rü­be ist für brei­te Krei­se der Bevöl­ke­rung wich­tigs­tes Nah­rungs­mit­tel. Ob es schmeckt ist unwich­tig gewor­den, es geht nur noch ums Überleben.

Seife sparen

Und dann kommt der Win­ter mit einer unbarm­her­zi­gen Käl­te. Man­gels Holz und Koh­le kön­nen vie­le Woh­nun­gen nicht mehr beheizt wer­den. Und die Men­schen haben nicht genü­gend Klei­dung um sich zu wär­men, und so zer­fa­sern sie Brenn­nes­sel, um dar­aus Klei­dung herzustellen.

Und pro Kopf ste­hen nur noch 50 g Sei­fe im Monat zur Ver­fü­gung, die höchs­tens 20 Pro­zent Fett ent­hal­ten darf und Füll­stof­fe wie Ton und Speck­stein ent­hielt. Und wer noch Kar­tof­fel­mehl hat, der backt dar­aus sein Brot. Und wer Kleie hat, der kocht dar­aus sei­nen Kaf­fee. Aber kaum jemand hat über­haupt noch etwas als die Lebens­mit­tel­kar­ten, für die man dann doch nichts bekommt.

Rüstungsindustrie

Aber auch die­se Sei­fe kann man nur noch über Sei­fen­kar­ten bekom­men. Durch die man­gel­haf­te Kör­per­hy­gie­ne neh­men Krank­hei­ten zu. Para­si­ten und Flö­he sind an der Tages­ord­nung. Etwa 800.000 Men­schen ster­ben zwi­schen 1914 und 1918 in Deutsch­land an Hun­ger, Unter­ernäh­rung und Fol­ge­krank­hei­ten wie beson­ders Tuber­ku­lo­se. Beson­ders groß ist die Sterb­lich­keit der Frau­en und der Säug­lin­ge, die nicht genü­gend Milch von der Mut­ter bekommen.

Frauen in der Rüstungsindustrie

Und die lebens­wich­ti­gen Güter wer­den immer knap­per, und so wird im Febru­ar 1916 die But­ter­kar­te ein­ge­führt, und im Mai 1916 folgt die Zucker­kar­te, im Juni 1916 dann die Kar­tof­fel­kar­te und der Beginn der Klei­der­be­wirt­schaf­tung, im August 1916 die Fleischkarte,nachdem zunächst eine Zeit­lang der Fleisch­ver­kauf auf bestimm­te Wochen­ta­ge beschränkt war.

Und so fah­ren die Leu­te zum Hams­tern aufs Land. Wer Wert­ge­gen­stän­de hat, der tauscht sie ein gegen Lebens­mit­tel. Die ärme­ren Men­schen ver­su­chen, Nah­rungs­mit­tel von den Fel­dern zu stehlen.

Schaffnerin in der Straßenbahn

Den zuneh­mend tota­len Krieg bekommt an der Hei­mat­front auch die Wirt­schaft zu spü­ren. Sie wird rigo­ros auf Kriegs­pro­duk­ti­on umge­stellt. Und in Bre­mer­ha­ven und in vie­len ande­ren Städ­ten wer­den immer mehr Frau­en zum Kriegs­ein­satz herangezogen.Sie arbei­ten in der Rüs­tungs­in­dus­trie, als Stra­ßen­bahn­schaff­ne­rin oder als Kran­ken­schwes­ter im Laza­rett­dienst. Zwi­schen 1915 und 1918 wer­den 39 Schaff­ne­rin­nen und 29 wei­te­re Frau­en für sons­ti­ge Hil­fe­leis­tun­gen auf­grund des 1. Welt­krie­ges  bei der Bre­mer­ha­ve­ner Stra­ßen­bahn eingestellt.

Straßenbahnschaffnerin in Bremerhaven

Da Strom gespart wer­den muss, wird der Wagen­takt stark redu­ziert und vie­le Hal­te­stel­len nicht mehr ange­fah­ren. Die Linie 5 ver­kehrt nicht mehr und auch die Stre­cken zur Geest­e­fäh­re und zum Klein­bahn­hof Wuls­dorf-West wer­den gestri­chen. Eben­so wird der Stra­ßen­bahn­be­trieb in den Hafen­ge­bie­ten ein­ge­stellt. Und immer wie­der rufen die Behör­den auch die pri­va­ten Haus­hal­te dazu auf, noch mehr Strom zu sparen.

Reservelazarett

Für die Ver­wun­de­ten und Ver­stüm­mel­ten ent­ste­hen über­all im Deut­schen Reich in leer­ge­räum­ten Schu­len, Fabrik­hal­len und Sälen Reser­ve-Laza­ret­te, in denen leicht ver­wun­de­te Sol­da­ten für einen erneu­ten Front­ein­satz gesund gepflegt wer­den. Und die Zahl der Kriegs­ver­letz­ten wird immer grö­ßer, und die Laza­ret­te sind über­füllt. Und trotz­dem schei­nen sie bes­ser dran zu sein als die vie­len Toten, die im Kugel­ha­gel oder durch Gift­gas oder Gra­na­ten ihr Leben ver­lie­ren und die Hei­mat nie wie­der sehen.

Lazarettzug

Die Ver­wun­de­ten wer­den nun mit einem Laza­rett­zug in die Hei­mat trans­por­tiert, um sie dort in einem Kran­ken­haus gesund zu pfle­gen. In Bre­mer­ha­ven befin­det sich das 1882 eröff­ne­te Kran­ken­haus direkt gegen­über der 1910 erbau­ten Pestalozzischule.

Lazarettwagen

Die Kriegs­kos­ten sind enorm – Finanz­mit­tel in unvor­stell­ba­rer Höhe müs­sen auf­ge­bracht wer­den.  Die Bevöl­ke­rung wird auf­ge­ru­fen, Reichs­an­lei­hen zu zeich­nen, die nach dem Sieg mit Zin­sen zurück­be­zahlt wer­den. Bis zum Ende des Jah­res 1918 hat das Reich 150 Mil­li­ar­den Reichs­mark Schul­den ange­häuft – eine Ver­schul­dung, die drei­ßig Mal höher als vor Kriegs­be­ginn ist.

Christuskirche

Und an der Hei­mat­front spen­den die Patrio­ten Kup­fer und Mes­sing, damit man dar­aus Kano­nen machen kann. Sogar Kir­chen­glo­cken und kup­fer­ne Turm- und Kir­chen­dä­cher wer­den zum Ein­schmel­zen demon­tiert. Gast­wirt­schaf­ten wer­den auf­ge­for­dert, zin­ner­ne Bier­krü­ge samt zin­ner­ne Deckel abzu­lie­fern. Und für die Devi­sen­be­schaf­fung gibt der kai­ser­treue Deut­sche sei­ne Gold­mün­zen und Schmuck­sa­chen her.

Plakat für die Frauenhaarsammlung

Die Frau­en wer­den auf­ge­ru­fen, ihre Haa­re zu spen­den als Ersatz für kaum noch erhält­li­ches Kamel­haar für die deut­sche Kriegs­in­dus­trie. Treib­rie­men, Filz­plat­ten und Dich­tun­gen wer­den dar­aus her­ge­stellt. Und die Frau­en spen­den wäh­rend des Krie­ges vol­ler Eifer meh­re­re hun­dert Ton­nen Haa­re. Beson­ders flei­ßig sam­meln über­all die Schul­mäd­chen mit patrio­ti­schem Eifer. Und um zu ver­hin­dern, dass sich die Frau­en und Mäd­chen die Haa­re abschnei­den, neh­men die Sam­mel­stel­len des Roten Kreu­zes nur noch aus­ge­bürs­te­te Haa­re entgegen.

Die Bevöl­ke­rung wird auf­ge­ru­fen, Edel­me­tall ein­zu­tau­schen: “Gold gab ich zur Wehr, Eisen nahm ich zur Ehr.” Die Gör­lit­zer las­sen gegen eine Geld­spen­de für Kriegs­wai­sen einen Nagel in eine Holz­fi­gur schla­gen, bis die­se schließ­lich wie in eine metal­le­ne Rüs­tung gehüllt aus­sieht. Und in Bre­men zim­mern die Spen­der ihren Nagel in einen höl­zer­nen Roland, bis dar­aus ein eiser­ner gewor­den ist. Die Bre­mer­ha­ve­ner trei­ben ihre Nägel in ein Wap­pen, das vor der Gro­ßen Kir­che steht.

Nagelwappen

Das Kriegse­lend und die aus­weg­lo­se Ver­sor­gungs­la­ge bringt die Bevöl­ke­rung über­all auf die Bar­ri­ka­den. Am 29. Okto­ber 1918 meu­tern in Wil­helms­ha­ven die Matro­sen. In Kiel tre­ten Matro­sen und Werft­ar­bei­ter in den offe­nen Auf­stand und schließ­lich springt der revo­lu­tio­nä­re Fun­ke auch in die ande­ren Hafen­städ­te des Rei­ches über. Rund zwei Wochen spä­ter ist der Krieg zu Ende und in Ber­lin wird die Repu­blik ausgerufen.

Waffenstillstand

Wil­helm II. aber, der sich immer noch als Kai­ser von Got­tes Gna­den betrach­tet,   nimmt Asyl im Haus Doorn in der Pro­vinz Utrecht in den Nie­der­lan­den, hält Hof und lässt sich wei­ter­hin mit “Sei­ne Majes­tät” anspre­chen. Und als die Wehr­macht 1940 Frank­reich, Bel­gi­en und die Nie­der­lan­de erobert, schickt Wil­helm II. ein Glück­wunsch­te­le­gramm an Adolf Hit­ler. Wil­helm stirbt am 4. Juni 1941 im Exil im Alter von 82 Jah­ren an einer Lungenembolie.

Kriegerdenkmal Wulsdorf

Und  die Kriegs­be­geis­te­rung, mit der das deut­sche Volk in den Krieg gezo­gen ist, ist längst der Ernüch­te­rung, Ent­täu­schung, Ver­zweif­lung und Rat­lo­sig­keit gewi­chen. Zurück­ge­blie­ben sind Schmerz und Trau­er um den gefal­le­nen Sohn, um den Vater, der jetzt für sei­ne Kin­der nicht mehr da ist, um den Bru­der, den man nie­mals wie­der­se­hen wird oder um den Freund, mit dem man sein gan­zes Leben ver­brin­gen woll­te. Sie alle kom­men nie mehr wie­der, auch nicht die 2.488 gefal­le­nen Män­ner aus den vier Unter­we­ser­or­ten, die als “Kriegs­ster­be­fäl­le bei den Stan­des­äm­tern beur­kun­det” sind. Und wer heim­keh­ren darf ist ver­wun­det, ver­stüm­melt und psy­chisch schwer krank.

Und in der Hei­mat haben Man­gel­wirt­schaft, Unter­ernäh­rung und Aus­zeh­rung Gevat­ter Tod bedient.

Kriegerdenkmal der Matrosen-Artillerie

Und da bleibt eine gro­ße Lee­re und die Gemein­den ver­su­chen den kol­lek­ti­ven Schmerz zu ver­ar­bei­ten. So gehen sie dabei, die Insti­tu­tio­nen und die Ver­ei­ne und die Kame­rad­schaf­ten und stel­len zum Geden­ken an die Gefal­le­nen Denk­mä­ler und Gedenk­stei­ne auf, auch als Mahn­ma­le an einen grau­sa­men Krieg und dass sich die­se Höl­le nicht wie­der­ho­len soll.

Und auf dem Fried­hof an der Weser­stra­ße trägt eine von alten Bäu­men umsäum­te Klin­ker­py­ra­mi­de die Namen von 680 gefal­le­nen Söh­nen, Vätern, Brü­dern und Freun­den der dama­li­gen Stadt Bre­mer­ha­ven und 81 schlich­te Sol­da­ten­grä­ber umrah­men das Ehrenmal.

Auf dem Leher Fried­hof III lie­gen unter alten Bäu­men 154 Grä­ber von Sol­da­ten des Ers­ten Welt­krie­ges, und auch auf dem Geest­e­mün­der Fried­hof ruhen 18 Sol­da­ten in ihren Gräbern.

Und die Frie­dens­schlüs­se von 1919/1920 kön­nen den Kon­ti­nent doch nicht dau­er­haft befrie­den. Die Sie­ger neh­men an den Ver­lie­rern bit­te­re Rache und zwin­gen ihnen demü­ti­gen­de Bedin­gun­gen auf.

Versailler Vertrag

Sämt­li­che Kolo­nien sowie etwa 13 Pro­zent des vor­he­ri­gen Gebie­tes müs­sen abge­tre­ten wer­den. Dazu zäh­len Elsass-Loth­rin­gen (an Frank­reich), West­preu­ßen, die Pro­vinz Posen und Tei­le Schle­si­ens (an Polen), die Krei­se Eupen und Mal­me­dy (an Bel­gi­en) sowie das Saar­ge­biet, Dan­zig und das Memel­land (unter Ver­wal­tung des Völ­ker­bun­des).

Dann wird im Ver­sailler Ver­trag fest­ge­legt, dass Deutsch­land 20 Mil­li­ar­den Gold­mark bis April 1921 zu zah­len hat und außer­dem den größ­ten Teil sei­ner Han­dels­flot­te abzu­ge­ben hat. Der Ver­lust der Han­dels­flot­te führt zu einer erheb­li­chen Beein­träch­ti­gung der Export­ge­schäf­te. Erst im Okto­ber 2010 wird die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land mehr als 90 Jah­re nach Kriegs­en­de die letz­te Schul­den­ra­te bezahlt haben.

Und dann kom­men die Natio­nal­so­zia­lis­ten an die Macht und so schließt  trotz allem Elends, den Sol­da­ten und Zivil­be­völ­ke­rung zu erlei­den haben, die Höl­le ihre Tore nur für eine kur­ze Zeit. Seit Beginn des Ers­ten Welt­krie­ges ver­ge­hen mal gra­de 25 Jah­re bis zum Aus­bruch des Zwei­ten Welt­krie­ges, der eine wei­te­re Gene­ra­ti­on jun­ger Men­schen verschlingt.

RingelnatzDer Krieg zeigt sei­ne Kral­len”, schreibt Rin­gel­natz in sei­nen Moment­auf­nah­men eines “Krie­ges in der Etap­pe”. Und Rin­gel­natz muss sich dem tat­säch­li­chen Hor­ror auf dem “Tanz­platz des Todes” stellen.

 

 

 

Im Westen nichts NeuesErich Maria Remar­que beschreibt in sei­nem welt­be­kannt gewor­de­nen Roman “Im Wes­ten nichts Neu­es”,  wie sich sei­ne vom Tode gehetz­ten Roman­fi­gu­ren selbst zu gefühl­lo­sen Wesen ver­wan­deln, Sol­da­ten, aus denen gefähr­li­che Tie­re gewor­den sind, nur noch am Über­le­ben inter­es­siert. Er beschreibt nicht nur das Leben und Über­le­ben an der Front. Auch die unvor­stell­ba­ren Gescheh­nis­se in der Hei­mat, auf den Ver­bands­plät­zen und im Laza­rett, die doch täg­lich Wirk­lich­keit wer­den, las­sen dem Leser das Grau­en nach­emp­fin­den. Remar­ques Figu­ren haben kei­ne Zukunft. Sie kämp­fen den gna­den­lo­sen Über­le­bens­kampf der Gegen­wart und erin­nern sich manch­mal erschöpft an schö­ne­re Stun­den, die weit zurück in der Ver­gan­gen­heit liegen.

Quel­len:
Bun­des­zen­tra­le für poli­ti­sche Bildung
Staats­ar­chiv Bremen
150jahre.drk.de
preussenchronik.de
aera-magazin.de
Süddeutsche.de
radio bre­men
msn wis­sen
Mei­ne Feder werd’ zur Lanze!
GEO-Epo­che Nr. 65: 1914 – Das Schick­sals­jahr der Deut­schen, diver­se Seiten
SPIEGEL vom 30.12.2013, Sei­te 34, 36
NZ vom 5.7.2014, Sei­te 4
NZ vom 19.8.2014, Sei­te 5
NZ vom 21.08.2014, Sei­te 6, 18
DIE WELT vom 05.08.2014, Sei­te 26
Georg Bes­sel: Geschich­te Bre­mer­ha­vens, Sei­ten 574 bis 576
Har­ry Gab­cke: Bre­mer­ha­ven in zwei Jahr­hun­der­ten 1919 — 1947, Sei­te 10
Har­ry Gab­cke: Bre­mer­ha­ven in zwei Jahr­hun­der­ten 1827 – 1918,
Sei­ten 198 bis 201
Buchard Schee­per: Die jün­ge­re Geschich­te der Stadt Bremerhaven,
Sei­ten 100 bis 116
Peter Raap:
Nie­der­deut­sches Hei­mat­blatt Nr. 727 vom Juli 2010, Sei­ten 2 und 3