Erich Sturk: Meine Schulzeit in der Allmersschule
In “Meine Schulzeit in der Allmersschule” beschreibt der Geestemünder Erich Sturk seinen ersten Schultag in der Allmersschule und seine Erinnerungen an die ersten Schuljahre. Die Geburtenjahrgänge 1930/31, die aufgrund ihres Wohnsitzes zum Schulbezirk der Allmersschule in Geestemünde gehörten, wurden Ostern 1937 eingeschult.
Der damaligen Klassenfrequenz entsprechend wurden zwei Klassen gebildet, die Selektion wurde entsprechend den Anfangsbuchstaben der Nachnamen vorgenommen. Die Schüler mit den Anfangsbuchstaben A — L kamen in die Klasse 8 a zu Herrn Tinnemeyer, der Rest in die Klasse 8 b zu Herrn Lange. Leiter der Allmersschule war derzeit Rektor Stelljes.
Zur Einschulung Ostern 1937 bekam ich eine Schultüte, gefüllt mit Süßigkeiten, die mir den Eintritt in den Ernst des Lebens versüßen sollte. Ich bekam sie aber erst zu Hause überreicht, damit, Zitat meiner Eltern, “den armen Kindern, die keine bekommen, nicht das Herz blutet.”
Die Einschulung begann mit einem Flaggenappell, zu dem die gesamte Schülerschaft auf dem Schulhof angetreten war und Rektor Stelljes die Flagge hisste, wobei das Deutschlandlied und das Horst-Wessel-Lied gesungen wurde.
Der Schulranzen, genannt “Tornister”, wurde auf dem Rücken getragen, um die Körperhaltung zu schonen. Er enthielt die Schulfibel, (“Oh Heini, bist Du dumm, rührst mit dem ganzen Finger im Tintenfass herum…“ und “Ferien und lesen? Nein, wir sehen SA und SS…“), ein Rechenbuch, den Griffelkasten mit verschiedenen Schiefergriffeln und als Hauptrequisit die Schiefertafel mit Schwammdose und Tafellappen zum Säubern der Schiefertafel. Alternative Mitschüler, die es auch damals schon gab, spuckten zu diesem Zweck auf die Tafel und wischten sie mit dem Ärmel ab.
Die Unterrichtung während der ersten vier Grundschuljahre er- folgte in allen Fächern durch den Klassenlehrer, in meinem Fall durch den Herrn Lange. Lediglich der Turnunterricht erfolgte zusammen mit der Parallelklasse durch den Herrn Tinnemeyer, später durch Herrn Schossig. Hauptfächer waren Schreiben, Lesen, Rechnen, wobei das Üben der Schönschrift in Sütterlin erst auf Schiefertafeln, später mit Tinte in Schulheften ein besonderes Steckenpferd des Herrn Lange war.
Nebenfächer waren Heimatkunde, Heimatgeschichte und Religion, wobei die Flüsse des Harzes, aufgezählt in Ost- und Westrichtung eine besondere Bedeutung hatten, da Herr Lange hier seine Urlaubszeit verbrachte. Zur Heimatgeschichte zählten die Heimatsagen des Heinrich Mahler, seinerzeit Rektor an der Hermann-Löns-Schule. Ich erinnere mich an den Drachenstein in Donnern und die Zwerge von Dünenfähr, Orte, die ich sonntags mit meinen Eltern auf dem Fahrrad aufsuchte, um mir ein Bild zu machen. Die Religionsstunde lag am Schluss des Unterrichtes, wobei die “Gottlosen” (Zitat Wilhelm Lange) und die Katholiken und Juden nach Hause gehen durften.
Die Allmersschule war eine achtklassige Grundschule für Jungen. Wer die entsprechenden Leistungen brachte und dessen Eltern das nötige Schulgeld besaßen, konnte nach der vierten Klasse zur Oberschule für Jungen, der heutigen Wilhelm-Raabe-Schule, überwechseln. Die zweite Möglichkeit der Weiterbildung bestand im Wechsel nach der sechsten Klasse zum Aufbauzug der Humboldtschule, einer Einrichtung der Reichministers für Erziehung und Wissenschaft als Alternative zur Oberschule. Zu diesem Übergang wurden entsprechende Schulnoten, eine Empfehlung des Klassenlehrers und die erfolgreich Teilnahme an einem zweijährigen Englischkursus, zusammen mit den gleichaltrigen Mädchen der Neumarktschule, verlangt.
Die Erziehung war preußisch streng. Morgens bei Schulbeginn betrat Herr Lange die Klasse und auf seinen Ruf hin “Zock, drei, vier” mussten wir alle gerade und still mit gekreuzten Armen auf unserem Platz sitzen. Das Lehrerpult stand auf einem erhöhten Podest, daneben ein Spucknapf und ein Stahlgestell mit Waschschüssel und Seife. Beides wurde vom Hausmeister, dem Herrn Göldner, täglich gesäubert und frisch gefüllt. Über dem Pult hing an der Wand ein Führerbild, auf das bei entsprechenden Gelegenheiten mit den Worten: “… und das im Angesichte eures Führers! Pfui, schämt Euch!“, hingewiesen wurde.
Auf dem Klassenschrank lag ein wichtiges Requisit, nämlich ein Rohrstock, genannt “der Gelbe”. Er diente als Zeigestock und zur körperlichen Züchtigung. War er durch zu häufige Benutzung verschlissen, wurde ein Schüler zum Eisenwarengeschäft Daetz in die Georgstraße geschickt, um einen neuen “Gelben” zu besorgen. Neben dem ständig gebrauchtem “Zock drei vier” war es eine Eigenart unseres Kassenlehrers, bei schriftlichen Arbeiten mit dem “Gelben” auf die Schülerpulte zu steigen und so, von Pult zu Pult schreitend, die Arbeiten des Einzelnen zu kontrollieren und zu korrigieren.
Die Pädagogik des Herrn Lange bestand vorwiegend aus der “Paukmethode”. Auswendig lernen von Gedichten und Prosa stand an erster Stelle und sollte das Gedächtnis schulen. Bis jeder in der Klasse das Gedicht “Die alte Waschfrau” fehlerfrei aufsagen konnte, mussten wir es rückwärts üben und von hinten her aufsagen. Diese Methode, die sicherlich bei jedem zeitgemäß ausgebildeten Pädagogen Kopfschütteln hervorruft, hatte aber für das praktische Leben auch ihre Vorteile. So kann ich heute noch alle Präpositionen und Konjunktionen der Reihe nach im Schlaf aufsagen, die Quadratwurzel ohne Hilfe eines Rechenschiebers oder eines Taschenrechners ziehen und Sätze “Droben stehet die Kapelle, schaut ins tiefe Tal hinab.…” nach Satzgegenstand und Satzaussage zergliedern.
Mit Kriegsbeginn am 1. September 1939 änderte sich auch einiges im täglichen Schulablauf. Im Keller der Schule wurde ein Luftschutzraum eingerichtet, den wir bei den zunehmenden Fliegeralarmen aufsuchen mussten, und 1941 fielen die ersten Bomben in der Nähe der Schule in der Schiller- und Klopstockstraße. Genau gegenüber der Schule, in der Allmersstraße, wurde mit dem Bau eines Hochbunkers begonnen, der nach dem Kriege gesprengt wurde.
Zum Unterricht trat das Fach “Luftschutzübung” unter der Leitung des Lehrers und stellvertretenden Rektors, Herrn Meyer, hinzu. Auf dem Schulhof wurde der Blindgänger einer Stabbrandbombe gezündet, und Herr Meyer demonstrierte, wie man diese im Anfangsstadium anfassen und fortwerfen kann, tauchte sie in einen Wassereimer, ohne dass sie erlosch und deckte sie dann mit Löschsand ab.
Bei nächtlichem Fliegeralarm nach 22.00 Uhr wurde der Unterrichtsbeginn auf 9.30 Uhr verlegt und der Stundenplan in Kurzstunden umgewandelt. Ab 1943 wurden die älteren Schüler zu einer so genannten Brandwache eingeteilt, die den Nachmittag in der Schule verbringen musste. Die Milch- und Kakaolieferung der Molkerei wurde eingestellt, dafür wurden Knäckebrot und Vitamintabletten verteilt, letztere abgezählt in einer ausgedienten Schulkreideverpackung.
Neben der Eingangstreppe wurde ein altes Ölfass aufgestellt und diente der Knochensammlung für das Winterhilfswerk, hinzu kamen Sammlungen von Staniol (Silberpapier und alte Zahnpastatuben) und Heilkräutern. Mit Geldsammlungen sollte dem VDA (Verein für das Deutschtum im Ausland) geholfen werden. Für 20 Pfg. bekam man eine VDA-Plakette mit den Wappen der Städte im Sudetenland, in Siebenbürgen, im Banat und in Böhmen und Mähren.
Zur Weihnachtszeit wurde zu dem gleichen Zweck eine VDA-Kerze angeboten, große blaue Wachskerzen in einem handgeschnitzten Holzständer aus dem Erzgebirge, die zu morgendlichen Feierstunden auf die Schulbänke gestellt und angezündet wurden. Dazu wurden Geschichten von Peter Rossegger (“Als ich das erste Mal auf dem Dampfwagen fuhr…”) gelesen, Gedichte (Banater Schwabenlied “Es brennt ein Weh’ wie Kindertränen brennen…”) aufgesagt und Lieder (“Hohe Nacht der klaren Sterne…”) gesungen. Es war sehr feierlich, und diese Stunden sind mir in guter Erinnerung.
Das Schulgebäude diente nun nicht mehr allein dem schulischen Unterricht. Im Alter von zehn Jahren wurde ich in das “Deutsche Jungvolk” aufgenommen und kam in das Fähnlein 8, das zur Ortsgruppe Neumarkt gehörte und seinen Dienst im Bereich der Allmersschule abhielt. Auf dem Schulhof wurde exerziert, in der Turnhalle geturnt und in den Klassenräumen wurden die Heimabende abgehalten. Hierbei kam es oft zu Differenzen mit dem Hausmeister, der uns für die ihm angelastete Mehrarbeit aus verständlichen Gründen nicht immer gut gesonnen war.
Aufgrund der sich häufenden Fliegeralarme und gelegentlichen Bombenabwürfen alliierter Bomber begann 1942/43 das Programm der KLV, der Kinderlandverschickung. Für meine Klasse war als Ziel der Kurort Zakopane im südlichen Polen vorgesehen, und zusammen mit der Parallelklasse ging die Fahrt unter Leitung von Rektor Stelljes dorthin. Damit ging meine Zeit in der Allmersschule dem Ende zu. Ich sollte auf Wunsch meiner Eltern in den Aufbauzug der Humboldtschule überwechseln und erhielt im letzten Zeugnis den geforderten Eignungsvermerk dazu.
Am 18. September 1944 wurde das Gebäude der Allmersschule durch den Angriff alliierter Bomber zerstört und brannte vollständig aus. Die erhaltene Ruine wurde erst nach Ende des Krieges restauriert und ausgebaut und dient seit dem wieder der schulischen Erziehung.
Bremerhaven, im Januar 2001 | Erich Sturk
Vielen Dank an Herrn Erich Sturk, dass er die Leser des DeichSPIEGELS an seinen Erinnerungen an die Allmersschule teilhaben lässt.
Schöner Bericht bin im neuen bau also 2009 bis 2013 besucht. Das sind schöne Geschichte
Einen großen Dank an Herrn Sturk. Ich find seine Erinnerungen für die heutige Jugend sehr wertvoll. Obwohl ich glaube, dass sie aufgrund ihrer anstrengenden I‑Pad Arbeiten gar nicht zum Lesen kommen.
Ich durfte meinen Anfang 1950 in der Uhlandschule nehmen. Die Schiefertafel war unser Grundwerkzeug und die 2er Bänke noch in guter Erinnerung. Unser Klassenlehrer war ein leidenschaftlicher Geigenspieler und “Zauberstab” wurde auch häufig als Rohrstockersatz angewandt. Überhaupt glaube ich wären heute die Gerichte überlastet mit der Flut von Klagen. Aber geschadet hatte es uns nicht. Da wurde Respekt noch groß geschrieben.
Ich bewundere bei Herrn Sturk die Namen der Lehrer. Bei mir nur noch sehr lückenhaft.
Bitte weitere Geschichten.
Grüße Ronny
Hallo, Frau ‚Frau Funk
ich freue mich darueber, dass meine Erinnerungen Ihr Interesse gefunden haben und ich bedanke mich fuer Ihren wohlmeinenden Kommentar !
Mit freundlichen Gruessen
Erich Sturk
Vielen Dank für einen wunderbaren Bericht. Ich bin Jahrgang 1931, allerdings Alt Geestermuender Maedchen Schule, in der Schulstrasse, aber meine Klassen Eindruecke waren genau so, das ist eben der Unterschied zwischen normalen Zeiten und die Jahre wo wir zur Schule gingen. Nochmals — danke, Helga
Hallo, Frau Howard,
ich freue mich darueber, dass meine Erinnerungen Ihr Interesse gefunden haben und ich bedanke mich fuer Ihren wohlmeinenden Kommentar !
Mit freundlichen Gruessen
Erich Sturk
Wunderbarer Bericht, den ich wieder mit großem Interesse gelesen habe. Der Bruder meiner Mutter ist auch Jahrgang 1931 und ich frage mich, ob er wohl auch in der Allmersschule eingeschult wurde. Auf dem Klassenfoto ist er leider nicht.
Vielen Dank an Herrn Sturk für diesen wieder sehr schönen Beitrag.