Wer war Martin Ephraim?
Die Monatszeitschrift StadtBILD hat in ihrer Ausgabe Nr. 82 vom April 2010 einen Aufsatz von Dr. Ernst Kretzschmar über Martin Ephraim veröffentlicht.
Im Eingangsbereich der Oberlausitzer Gedenkhalle mit Kaiser-Friedrich-Museum (Ruhmeshalle) in der Görlitzer Oststadt befand sich eine Tafel ‚”Den Wohltätern dieses Museums zum Ehrengedächtnis“. Unter den fünf Namen las man an erster Stelle Martin Ephraim (neben Dr. Wilhelm Kleefeld, Ernst von Wasserschleben, Gustav Henneberg und Erwin Lüders). Heute findet man dort nur noch das darüber angebrachte (nach 1945 unkenntlich gemachte) Görlitzer Stadtwappen.
Das Grab des Vaters, Kommerzienrat Lesser Ephraim (1820–1900), ist mit seinem gut erhaltenen Gedenkstein auf dem Friedhof der jüdischen Gemeinde zu sehen.
Nach der Gleichstellung der Juden in Preußen kam der in Posen geborene Kaufmann 1852 nach Görlitz und eröffnete Neißstraße 25 eine Eisenwarenhandlung. Er lieferte unter anderem die Eisenbahnschienen für die Strecke Berlin-Görlitz-Zittau. 1860 erwarb er das Grundstück Jakobstraße 5 für Wohnung und Kontor; noch heute wird es von Touristen wegen seines prächtigen Portals bewundert.
Lagerhalle und Lagerplatz an der Bahnhofstraße kamen 1885 hinzu, verlegt 1902 an einen Platz mit Gleisanschluss hinter dem Schützenhaus an der Zittauer Straße. Beliefert wurden Eisenbahnbau, Schiffsbau, Brückenbau sowie die Sächsische und Preußische Staatsbahn. Baueisen und Eisenkonstruktionen fanden bei uns Verwendung auch für bekannte Neubauten vor 1914 (Krankenhaus, Neue Kaserne, Ruhmeshalle, Aktienbrauerei, Stadthalle, Kaufhaus, Stadttheater).
Der Sohn des Betriebsgründers, Martin Ephraim (1860–1944), wurde am 23. März 1860 in Görlitz geboren, besuchte hier das Gymnasium Augustum und hielt sich nach der Lehrzeit im väterlichen Unternehmen (ab 1878) mehrere Jahre in Brüssel und England auf, um die neuen Erfahrungen der Branche kennenzulernen. 1883 trat er als Teilhaber in die Görlitzer Firma ein, 1891 bis 1911 war er Inhaber, nach der Umwandlung in eine GmbH einige Zeit deren Geschäftsführer. Seit 1921 lebte er in Schreiberhau im Riesengebirge.
1884 heiratete er Hildegard Rauthe, Tochter eines evangelischen Stadtrates in Görlitz. Die Eheleute hatten vier Kinder, die Töchter Dora, Marianne und Vera und den Sohn Herbert. Als königstreuer Preuße und Mitglied der liberalen jüdischen Gemeinde in Görlitz nahm er am gesellschaftlichen Leben der Stadt regen Anteil. Als Vorstandsmitglied im Musikverein bereitete er die Schlesischen Musikfeste mit vor, 1905 gehörte er zu den Organisatoren der erfolgreichen Niederschlesischen Industrie- und Gewerbeausstellung. Er förderte Sportvereine, insbesondere in dem noch jungen Automobilsport. Als Stadtverordneter setzte er sich insbesondere für die gediegene Entwicklung der Südstadt ein.
Mit seinem neuen Wohnhaus Goethestraße 17 (1907) setzte er Maßstäbe für die hohe Baukultur der Stadt Görlitz vor 1914. Seine außergewöhnliche berufliche Erfahrung und seine kulturelle Bildung machten ihn zu einem gefragten Mitgestalter kommunalpolitischer Fortschritte.
Seine besondere Liebe galt dem Bau und der Ausgestaltung des neuen städtischen Museums (Ruhmeshalle). Er stiftete eine der zwei Figurengruppen von Hugo Lederer, die den Eingang flankieren, und die Marmor-Standbilder von Bismarck, Moltke und Roon von Harro Magnussen auf der Galerie, gab für den Ankaufsfonds eine hohe Summe, kaufte die Ausstellungsschränke und eine wertvolle Sammlung künstlerischer und kunstgewerblicher Gegenstände, die den Grundbestand des Museums bildeten. Gemälde und Skulpturen, Messgewänder und Kelche, Zunftaltertümer, Waffen und Fahnen, Gläser und Fayencen, Schmuck und Möbel.
Zu seinem 70. Geburtstag übersandte ihm der Oberbürgermeister Dr. Georg Wiesner ein Glückwunschschreiben, in dem es hieß: “Möge Ihnen in den kommenden Lebensjahren Glück und Gesundheit in reichem Maße beschieden sein!“ Nach 1933 wurde Martin Ephraim mehrmals verhaftet und noch 1944 aus dem jüdischen Altersheim in Berlin nach Theresienstadt deportiert, wo er bereits am 4. April starb (wie wenig später sein Schwiegersohn, der erblindete Musikwissenschaftler Hans Neumeyer, dessen Frau in Maidanek umkam).
Spätestens in den 1980er Jahren wurde in Ausstellungen, Vorträgen und Veröffentlichungen der Städtischen Kunstsammlungen Görlitz Martin Ephraim gewürdigt. Seit den 1990er Jahren tragt eine Straße in Görlitz-Weinhübel seinen Namen, immerhin. So wirkt sein Lebenswerk in dieser Stadt und für diese Stadt dennoch fort.
Sein früheres Wohnhaus in der Goethestraße 17 kaufte 1975 die Stadt Görlitz und baute es zu einer Jugendherberge um. 1987 wurde die Jugendherberge, die mittlerweile unter Denkmalschutz gestellt wurde, mit den Titel “Schönste Jugendherberge der DDR“ ausgezeichnet. Im Oktober 2010 wurde der Jugendherbergsbetrieb eingestellt und die WBG Sanierungs- und Entwicklungsgesellschaft Görlitz begann mit umfangreichen Sanierungsarbeiten. Seit Mai 2011 betreibt die “Alte Herberge” in der Villa Ephraim ein Übernachtungs- und Gastronomiebetrieb.
Quelle:
Mit freundlicher Genehmigung des StadtBILD-Verlages Görlitz.