Verschlagwortet: Kistnerstraße

Das Kraftverkehrsunternehmen Lunte & Sauer

Das Deut­sche Reich hat­te noch einen Kai­ser, als am 1. Juli 1907 die Geschich­te des Kraft­ver­kehrs­un­ter­neh­men Lun­te & Sau­er begann. An jenem Tag nahm der am 7. Juli 1867 gebo­re­ne Johann Carl Niko­laus Lun­te das Kon­fir­ma­ti­ons­geld sei­nes zwei­ten Soh­nes Hein­rich in die Hand, kauf­te davon ein Pferd und grün­de­te sein Fuhr­un­ter­neh­men.Das Kraftverkehrsunternehmen Lunte & SauerWohn- und Fir­men­sitz der Ehe­leu­te Johann und Anna Lun­te war das Haus Num­mer 31 in der Kist­ner­stra­ße. Die Kist­ner­stra­ße liegt auf der alten Leher Flur “Die Mei­de”. Das Wort kommt aus dem Ost­frie­si­schen und bedeu­tet Grün­land, Gras­land oder Heuland.

1907 Adressbuch

Es waren arbeits- und ent­beh­rungs­rei­che Jah­re für das Ehe­paar Lun­te. Nicht nur das neu gegrün­de­te Fuhr­un­ter­neh­men, dem das Kai­ser­li­che Post­amt die Leher Fern­ruf­num­mer 1479 zuteil­te, ver­lang­te den bei­den viel Kraft ab. Es galt auch, sie­ben Kin­der zu ver­sor­gen und eine klei­ne Neben­er­werbs­land­wirt­schaft, bestehend aus einem Feld und ein paar Schwei­ne und Kühe, zu betreiben.

1912 Fuhrunternehmen Lunte

In der Fir­men­ge­schich­te spielt die Kist­ner­stra­ße aber kei­ne gro­ße Rol­le. Im Jah­re 1912, also nur fünf Jah­re nach der Fir­men­grün­dung, kauf­te Johann Lun­te das Haus Num­mer 18 a in der August­stra­ße und ver­leg­te sei­nen Wohn­sitz und sei­nen Betrieb dorthin.

Dann kam der Ers­te Welt­krieg. Hun­dert­tau­sen­de Pfer­de wur­den requi­riert und muss­ten unge­heu­re Rüs­tungs­men­gen zu den Fron­ten schlep­pen. Die meis­ten Pfer­de wur­den den Bau­ern weg­ge­nom­men, aber mög­li­cher­wei­se muss­te auch Johann Carl Niko­laus Lun­te ein oder meh­re­re Pfer­de sei­nes Fuhr­un­ter­neh­mens für den Kriegs­dienst hergeben.

Für vie­le Ade­li­ge war es im Ers­ten Welt­krieg noch selbst­ver­ständ­lich, mit einem Pferd in die Schlacht zu zie­hen. Als der Krieg dann im Jah­re 1918 end­lich vor­über war, kam ein deut­scher Offi­zier mit sei­ner Stu­te von der Front zurück. Der Offi­zier bot sein Pferd zum Kauf an, und Johann Lun­te erwarb das Tier für sein Fuhrunternehmen.

1918 Fuhrunternehmen Lunte

Arthur Wil­helm, das fünf­te Kind von Johann und Anna Lun­te, hat beim Lloyd Elek­tri­ker gelernt. Als sich der Fir­men­grün­der mit 62 Jah­ren zur Ruhe setz­te, über­nahm Arthur Wil­helm am 1. Juli 1929 — 22 Jah­re nach der Fir­men­grün­dung — das Ruder des Fuhr­un­ter­neh­mens. Aber auch ihre gut lau­fen­de Koh­len­hand­lung führ­ten sie als Neben­be­schäf­ti­gung weiter.

Ehepaar Artur und Erna Lunte

Schon ein Jahr spä­ter – im Jah­re 1930 – wur­de das ers­te Auto ange­schafft. Und irgend­wann stand auch der ers­te Last­kraft­wa­gen auf dem Hof. Ein Hen­schel mit Nie­ren­küh­ler­mas­ke. “Arthur Lun­te – Eil­dienst” war auf der Bei­fah­rer­tür zu lesen. Die­se gro­ße Inves­ti­ti­on rief natür­lich noch ein­mal den Fir­men­grün­der Johann Lun­te auf den Plan. Klar, dass er es sich nicht neh­men ließ, auf dem Bei­fah­rer­sitz Platz zu nehmen.

1930 Das erste Auto

Selbst fah­ren durf­te er ver­mut­lich nicht. Es ist nicht anzu­neh­men, dass Johann Lun­te im Besitz einer Fahr­erlaub­nis war. Bereits am 3. Mai 1909 wur­de näm­lich die ers­te Reichs-Stra­ßen­ver­kehrs­ord­nung ein­ge­führt. Dar­in war fest­ge­legt, dass zum Füh­ren eines Kraft­fahr­zeu­ges mit einem Gesamt­ge­wicht von über 2,5 Ton­nen der Füh­rer­schein Klas­se II erfor­der­lich war. Und Rasen wur­de auch ver­bo­ten – inner­orts durf­te kein Fahr­zeug schnel­ler als 15 km/h unter­wegs sein. Erst im Jah­re 1923 wur­de das Tem­po­li­mit auf 30 km/h erhöht. Die zustän­di­ge Ver­wal­tungs­be­hör­de konn­te das Limit auf 40 km/h heraufsetzen.

Beifahrer Johann Lunte

Der Hen­schel muss­te wohl für eine lan­ge Zeit sei­nen Dienst ver­rich­tet haben. Eine Ersatz­be­schaf­fung war wäh­rend der Kriegs­jah­re ja unmög­lich. Ab 1939 durf­ten kei­ne Last­kraft­wa­gen von oder an pri­vat gekauft oder ver­kauft werden.

Arthur und Erna Lun­te hat­ten nur ein Kind – die Mar­got. Am 25. März 1943 leg­te Mar­got mit erst 17 Jah­ren erfolg­reich die Prü­fung für den Füh­rer­schein der Klas­se II ab. Das war für eine Frau sehr unüb­lich, konn­ten sie doch bis zum Jah­re 1958 nur mit Erlaub­nis des Ehe­man­nes oder Vaters einen Füh­rer­schein machen. Aber in den Kriegs­jah­ren – die Män­ner sind an der Front — ver­rich­ten vie­le Frau­en all die Arbei­ten, die sonst die Män­ner ver­rich­tet haben. Und das Fah­ren eines Last­wa­gens gehört nun mal dazu.

Aller­dings soll­ten Last­wa­gen mit zwei Anhän­gern bald der Ver­gan­gen­heit ange­hö­ren. In den 1950er Jah­ren schränk­te der dama­li­ge Ver­kehrs­mi­nis­ter Hans-Chris­toph See­bohm Län­ge und Gewicht für Last­wa­gen dras­tisch ein.

Margot Lunte

Vor dem Zwei­ten Welt­krieg wur­den vie­le Last­kraft­wa­gen mit einem Holz­ver­ga­ser aus­ge­lie­fert. Das natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Deutsch­land woll­te unab­hän­gig von Erd­öl­lie­fe­run­gen aus dem Aus­land sein. Und als der Treib­stoff wäh­rend des Krie­ges dau­er­haft knapp wur­de, blieb Ben­zin und Die­sel nur noch den Wehr­machts­fahr­zeu­gen vor­be­hal­ten. So muss­te auch der Fuhr­un­ter­neh­mer Lun­te sei­ne Fahrt immer wie­der unter­bre­chen, um den Ofen hin­ter sei­nem Füh­rer­haus mit fri­schem Holz zu befeuern.

1943 Tanken an der Bundesstrasse

Die Kes­sel für einen Holz­gas­ge­ne­ra­tor konn­ten mit etwa 150 Kilo Holz befüllt wer­den. Das reich­te bei einem Last­wa­gen für eine Stre­cke von unge­fähr 150 Kilo­me­ter. War die Trans­port­stre­cke län­ger, muss­te unter­wegs neu­er Brenn­stoff orga­ni­siert werden.

1943 Winter an der Bundesstrasse

Es war nicht immer ein­fach, einen Bau­ern zu fin­den, der Holz zu ver­kau­fen hat­te. Wenn das Holz dann aber erst ein­mal im Kes­sel brann­te, hat­ten sich nach unge­fähr fünf Minu­ten genü­gend Gase gebil­det, um den Motor wie­der anzu­trei­ben. Dann konn­te man sei­nem Ziel wei­ter ent­ge­gen­tu­ckern. Und an den Rän­dern der Land­stra­ßen blie­ben klei­ne Asche­hau­fen zurück.

Henschel-Lastkraftwagen

Mar­got Lun­te hei­ra­te­te am 24. Febru­ar 1945 den Kon­di­tor Heinz-Wil­helm Sau­er. Gut sie­ben Jah­re spä­ter, am 1. Okto­ber 1952, wur­de Heinz-Wil­helm Teil­ha­ber in der Fir­ma sei­nes Schwie­ger­va­ters. Vor dem Fir­men­tor steht jetzt ein Kaelble-Lastkraftwagen.

1951 Jungfernfahrt mit dem Kaelble

War­um der Fir­men­chef die Mar­ke gewech­selt hat, ist nicht bekannt. War es viel­leicht dem Umstand geschul­det, daß die Fir­ma Hen­schel auf­grund ihrer Kriegs­gü­ter­pro­duk­ti­on nach dem Krieg zunächst kei­ne Fahr­zeu­ge bau­en durfte?

Wie dem auch sei, mit dem Kaelb­le scheint der Fir­men­chef eine gute Wahl getrof­fen zu haben. Das Fahr­zeug hat mit einer Maschi­ne 300.000 Kilo­me­ter  abgespult.

1952 Heinz-Wilhelm Sauer

Es waren har­te Nach­kriegs­jah­re für Johann Lun­te und sei­nem Teil­ha­ber und Schwie­ger­sohn Heinz-Wil­helm Sau­er. Die ers­ten Auf­trä­ge bekam das Fuhr­un­ter­neh­men von der US-Armee. Die Güter für die ame­ri­ka­ni­schen Besat­zungs­sol­da­ten in Deutsch­land kamen per Schiff nach Bremerhaven.

1960 Kaelble-Gespann

In den Lager­hal­len am Roten Sand, dort wo heu­te das E‑Center steht, wur­de alles zwi­schen­ge­la­gert. Eini­ge der Hal­len ste­hen noch an der Rud­l­off­stra­ße. Von dort wur­de alles auf die US-Kaser­nen ver­teilt. Natür­lich Unmen­gen Coca-Cola! Und aus Ame­ri­ka ein­ge­führ­tes Kat­zen­streu für die deut­schen Kat­zen der GI’s. Und der damals noch uner­reich­ba­re Traum einer jeden deut­schen Haus­frau – Waschmaschinen!

Kaelble-Lastkraftwagen

Gela­den wur­de von Hand. Eine Palet­te nach der ande­ren wur­de ver­la­den. Und so ver­schwan­den auf den Lade­flä­chen der Last­wa­gen Kon­ser­ven und Becks Bier, Wasch­pul­ver und das besag­te Kat­zen­streu aus Ame­ri­ka, Ziga­ret­ten und Coca-Cola. Und oben­auf wur­den die Wasch­ma­schi­nen gehievt. Gut 2.200 Kar­tons pass­ten auf die Last­wa­gen. Das waren 23,5 Ton­nen Gewicht.

1960 Bananenpier

Wenn alles ver­la­den war, ging die Tour zu den US-Kaser­nen los. Mit drei Last­wa­gen trans­por­tier­te das Fuhr­un­ter­neh­men Lun­te & Sau­er die Lebens­mit­tel und Kon­sum­gü­ter von Bre­mer­ha­ven nach Kas­sel und Gie­ßen, nach Fried­berg, Karls­ru­he, Ulm und Darm­stadt. Und nach Ober­am­mer­gau und Gar­misch. Ins­ge­samt muss­ten 56 Abla­de­stel­len ange­fah­ren und die Kar­tons ein­zeln ent­la­den werden.

Jürgen Sauer

Für den im Jah­re 1946 gebo­re­nen Sohn von Heinz-Wil­helm Sau­er und sei­ner Ehe­frau Mar­got, gebo­re­ne Lun­te, gehör­ten die ame­ri­ka­ni­schen Last­wa­gen eben­so zum All­tag, wie für Wil­fried Lun­te, ein Enkel des Fir­men­grün­ders. Die gro­ßen Armee-Sat­tel­schlep­per stan­den immer am Leher Stadt­park. Dort hat Wil­fried Lun­te auch ein­mal ver­sucht, Scho­ko­la­de aus einem Füh­rer­haus zu mop­sen. Das ging aber schief, ein GI hat ihn erwischt und hoch­kan­tig aus den Last­wa­gen geschmissen.

Da hat­te Jür­gen Sau­er spä­ter mehr Glück. Als 4‑Jähriger bekam er von einem im Hau­se Sau­er ein­quar­tier­ten Mili­tär­po­li­zis­ten ein Stück Scho­ko­la­de geschenkt. Klar dass der klei­ne Jür­gen mit dem Sol­da­ten gleich ewi­ge Freund­schaft schloss!

Jürgen Sauer auf dem Lkw

So hat Jür­gen Lun­te den Die­sel­ge­ruch sozu­sa­gen bereits mit der Mut­ter­milch auf­ge­so­gen. Da war es nur natür­lich, dass er sei­nen Vater Heinz-Wil­helm Sau­er schon als Kind so oft wie mög­lich auf Fern­fahr­ten beglei­te­te. Und als Jugend­li­cher muss­te er kräf­tig mit anpa­cken. Eine uner­war­te­te Begeg­nung in Fried­berg soll­te für den damals 13-jäh­ri­gen Jür­gen eine tol­le Beloh­nung sein: Wie aus dem Nichts stand der uni­for­mier­te Elvis Pres­ley plötz­lich am Lastwagen.

Aber auch Zuhau­se gab es immer viel zu tun. Egal, ob ein Num­mern­schild neue Far­be brauch­te oder ob ein defek­ter Motor aus­ge­tauscht wer­den muss­te — vie­le Arbei­ten wur­den in der eige­nen Werk­statt selbst erledigt.

Fahrzeugpflege

Gewiss ahn­te Jür­gen Sau­er in jenen Jah­ren noch nicht, dass er ein­mal in die Fuß­stap­fen sei­ner Eltern tre­ten wür­de. Zunächst deu­te­te auch nichts dar­auf hin: Nach der Schu­le absol­vier­te er eine Leh­re als Groß­han­dels­kauf­mann. Und danach rief die Bun­des­wehr, und Jür­gen Sau­er leis­te­te sei­ne Wehr­pflicht ab. Als Sol­dat erwarb er den Füh­rer­schein Klas­se 2.

1969 Sattelzug

Irgend­wann ab Anfang der 1970er Jah­re saß Jür­gen dann doch hin­ter dem Lenk­rad eines Lkw. In jener Zeit führ­te ihn eine Tour ins Badi­sche. Die Stra­ße war spie­gel­glatt, und in der Nähe von Brett­en ging es in Ser­pen­ti­nen abwärts. Mit jedem Brems­vor­gang droh­te der Last­wa­gen von der Stra­ße zu rut­schen. Also wur­de mög­lichst wenig gebremst – oder gar nicht. Auch nicht, als im Tal die blin­ken­den roten Lich­ter eines Bahn­über­gan­ges auf­tauch­ten. “Augen zu und rüber über die Glei­se”, war die Devi­se. Jür­gen Sau­er hat es auch gera­de noch so geschafft. Kaum waren die Bahn­glei­se über­quert, da rausch­te hin­ter dem Last­wa­gen der Zug vor­bei. Der Schreck war so groß, dass die Fahrt am nächs­ten Gast­hof unter­bro­chen wurde.

1970 Frontlenker

Wur­den anfangs nur Lebens­mit­tel trans­por­tiert, muss­te spä­ter auch der Haus­rat der US-Sol­da­ten, die alle paar Jah­re zu einem ande­ren Stand­ort wech­sel­ten, ver­la­den wer­den. Der Haus­rat wur­de in Möbel­kis­ten ver­packt. Die hat­ten so gro­ße Aus­ma­ße, dass die Plan­ge­stel­le auf den 38-Ton­ner erhöht wer­den muss­ten. Damit erreich­ten die Fahr­zeu­ge eine Höhe von vier Meter – und pass­ten nun nicht mehr durch die Toreinfahrt.

Im Jah­re 1976 mach­te sich der 78 Jah­re alte Arthur Lun­te an die Arbeit. Er riss die schö­ne alte Ein­fahrt ab, um die Hof­ein­fahrt zu ver­grö­ßern. Den größ­ten Teil der Umbau­ar­bei­ten  erle­dig­te Arthur Lun­te trotz sei­nes Alters selbst.

Hofdurchfahrt

Es ging nicht nur berg­auf mit dem Fuhr­un­ter­neh­men Lun­te & Sau­er. Natür­lich gab es auch Rück­schlä­ge zu ver­kraf­ten – wie wohl in vie­len ande­ren Unter­neh­men auch.

Manch­mal hat­te der Betrieb ein gutes Jahr hin­ter sich gebracht, und alle blick­ten hoff­nungs­voll in die Zukunft. Dann ver­un­glück­te ein Last­wa­gen und die gan­ze Freu­de war dahin. So riss der Unfall vom 15. Febru­ar 1966 bei Kas­sel ein gro­ßes Loch in die Fir­men­kas­se. Und gut zehn Jah­re spä­ter gab es am 18. Febru­ar 1977 auf der Sau­er­land­li­nie einen Total­scha­den an der Mer­ce­des-Zug­ma­schi­ne zu ver­kraf­ten. Die letz­te Rate war gera­de mal vier Wochen vor­her bezahlt worden.

Unfall auf der Sauerlandlinie

Oft­mals fuhr aber auch das Glück auf der Bei­fah­rer­sei­te mit. Wer jemals mit einem Kraft­fahr­zeug auf Eng­lands Stra­ßen unter­wegs war, hat die Situa­ti­on bestimmt selbst erlebt: Man passt höl­lisch gut auf, dass man immer auf der lin­ken Stra­ßen­sei­te fährt. Dann geht es hin­ein in einen Kreis­ver­kehr, von denen es in Eng­land reich­lich vie­le gibt. Man fährt also links­her­um in den Kreis hin­ein und lan­det bei her­aus­fah­ren plötz­lich auf der rech­ten Stra­ßen­sei­te. Oder es gibt die hart­ge­sot­te­nen Fah­rer, die fah­ren – wie sie es auf dem Kon­ti­nent gewohnt sind – gleich rechts in den Kreis­ver­kehr hin­ein. So einen uner­fah­re­nen Fah­rer gab es auch beim Fuhr­un­ter­neh­men Lun­te & Sau­er. Es ist alles gut gegan­gen, das Glück saß ja auf der Beifahrerseite.

Am 1. Juli 1979 mag auch Arthur Lun­te ein paar Glücks­trä­nen ver­gos­sen haben. An die­sem Tag konn­te er sein 50-jäh­ri­ges Fir­men­ju­bi­lä­um fei­ern. Gleich­wohl wird ihm nicht so recht zum Fei­ern zumu­te gewe­sen sein, ist doch sei­ne lie­be Ehe­frau Erna sie­ben Mona­te zuvor verstorben.

Winter 1979

Erna Lun­te fehl­te über­all im Betrieb. Im Novem­ber 2013 tra­fen sich noch ein­mal ein Dut­zend frü­he­rer Kol­le­gen auf dem Betriebs­ge­län­de des ehe­ma­li­gen Leher Tra­di­ti­ons­un­ter­neh­mens. Erin­ne­run­gen an das tol­le Betriebs­kli­ma wur­den wach, und Dönt­jes wur­den aus­ge­tauscht: Ja, der Seni­or­chef Arthur und sei­ne Frau Erna waren schon die See­len des Betrie­bes. Alles war sehr fami­li­är, sehr kol­le­gi­al. Jeder kann­te jeden. Und wenn sonn­abends die Las­ter im Hof stan­den und fer­tig geputzt und repa­riert waren, dann haben sich alle zusam­men­ge­setzt und es wur­de gemein­sam gefrüh­stückt. Dabei wur­den Pro­ble­me bespro­chen, und es wur­de auch viel gelacht. Etwa über den Kol­le­gen, der ein Pfer­de­narr war. Eigent­lich soll­te er Bana­nen nach Stutt­gart brin­gen. Aber im Hes­si­schen zog ein Pfer­de­trans­por­ter sei­ne Auf­merk­sam­keit auf sich. Dem fuhr er bis zum Stall hin­ter­her und bewun­der­te dort das Pferd – und in Stutt­gart kamen die Bana­nen nicht pünkt­lich an!

neuer Lkw

Am 1. Okto­ber 1981 über­nahm Jür­gen Sau­er, der schon als Kind sei­nen Vater Heinz Wil­helm Sau­er auf Fern­fahr­ten beglei­te­te, von sei­nem Groß­va­ter Arthur Lun­te den Betrieb. Ob es für die­ses Datum einen beson­de­ren Anlass gab, ist nicht über­lie­fert. Wer nun nach­zählt kommt zu dem Ergeb­nis,  dass nach dem Fir­men­grün­der Johann Lun­te, sei­nem Sohn und Nach­fol­ger Arthur Lun­te und Johanns Enkel­toch­ter Mar­git Sau­er (gebo­re­ne Lun­te) mit Jür­gen Sau­er nun die vier­te Gene­ra­ti­on das Fir­men­ru­der übernahm.

1982 Fuhrpark Lunte & Sauer

Wenn es schwie­rig wur­de im Betrieb, hol­te sich Jür­gen von sei­nem Groß­va­ter ger­ne einen Rat. Aber nur für kur­ze Zeit soll­te er auf den lang­jäh­ri­gen Erfah­rungs­schatz sei­nes Groß­va­ters zurück­grei­fen kön­nen. Nur weni­ge Wochen nach der Betriebs­über­ga­be stürz­te Arthur Lun­te am 27. Novem­ber 1981 im Trep­pen­haus und brach sich einen Ober­schen­kel. Trotz einer Ope­ra­ti­on starb am 5. Dezem­ber 1981 – nur drei Tage vor sei­nem 83. Geburts­tag.FirmenjubilaeumIm Jah­re 1982 konn­te das 75-Jäh­ri­ge Fir­men­ju­bi­lä­um gefei­ert wer­den. Ob sich da schon abzeich­ne­te, dass es zum 80. Geburts­tag kei­ne Fei­er mehr geben wird? Lun­te & Sau­er hat all die Jah­re für die Ame­ri­ka­ner trans­por­tiert und gut an ihnen ver­dient. Gleich­wohl wur­de in den 1980er Jah­ren das Geschäft immer schwie­ri­ger. Mit den Dum­ping­prei­sen der Kon­kur­renz aus Ost­eu­ro­pa konn­ten die drei Last­wa­gen der Spe­di­ti­on Lun­te & Sau­er nicht mithalten.

Vie­le Näch­te beriet sich Jür­gen Sau­er mit sei­ner Frau Bar­ba­ra – es gab kei­nen Aus­weg. Im Jah­re 1986 fiel die Ent­schei­dung die Spe­di­ti­on zu schlie­ßen. Ein Jahr spä­ter wur­den die Trans­port­kon­zes­sio­nen ver­kauft und der Tra­di­ti­ons­be­trieb schloss für immer sei­ne Tore. Jür­gen Sau­er ver­dien­te sei­nen Lebens­un­ter­halt fort­an als Fah­rer bei einem ande­ren Fuhr­un­ter­neh­men.Auguststrasse 18 a, BremerhavenGeblie­ben ist aber das Betriebs­grund­stück mit dem Haus Num­mer 18a in der August­stra­ße in Lehe. An der  Fas­sa­de prangt noch immer das Schild:FirmenschildQuel­len:
Fest­schrift: “75 Jah­re Kraft­ver­kehr Lun­te & Sau­er, 1907 — 1982
W. Ehr­ecke: “In Eng­land falsch abge­bo­gen”, Nord­see-Zei­tung vom 4.11.2013
W. Ehr­ecke: “Cola, Becks und die Wasch­ma­schi­nen”, Nord­see-Ztg. v. 23.1.2015
hansebubeforum.de

Japanische Stadtplaner auf Rundgang im Goethequartier

Auf einer Rund­rei­se durch Deutsch­land besuch­ten japa­ni­sche Stadt­pla­ner im März die­ses Jah­res neben Wup­per­tal und Düs­sel­dorf auch Bre­mer­ha­ven. Auf einem Rund­gang durch das Goe­the­quar­tier inter­es­sier­te sich die Dele­ga­ti­on dafür, wie Bre­mer­ha­ven sei­ne Pro­ble­me mit leer­ste­hen­den und ver­fal­len­den Wohn­ge­bäu­den zu lösen versucht.

Japanische Stadtplaner in Bremerhaven

Auf­merk­sam auf Bre­mer­ha­ven sind die Japa­ner durch städ­ti­sche Publi­ka­tio­nen und durch Berich­te der Nord­see-Zei­tung im Inter­net gewor­den. Die his­to­ri­sche Nach­kriegs­ent­wick­lung und der demo­gra­fi­sche Wan­del führ­te in Japan zu ähn­li­chen Pro­ble­men wie bei uns in Deutschland. 

Nach dem Krieg gab es auch im zer­stör­ten Japan einen gro­ßen Bedarf an Neu­bau­ten. Schnell und mit ein­fa­chen Mit­teln wur­den soge­nann­te “Risi­ko-Häu­ser” gebaut. Den vor­wie­gend in Holz­bau­wei­se errich­te­ten Gebäu­den war von vorn­her­ein eine Lebens­dau­er von maxi­mal 30 Jah­re ange­dacht. Nun ste­hen die oft­mals nicht sanier­ba­ren Häu­ser leer, ver­fal­len und war­ten auf ihren Abbruch. 

Schrottimmobilie in Bremerhavens Kistnerstraße

Im Goe­the­stra­ßen­quar­tier  staun­ten die japa­ni­schen Gäs­te dar­über, dass in Bre­mer­ha­ven nicht nur des Leer­stand besei­tigt wird. Dort, wo eine Sanie­rung aus wirt­schaft­li­chen oder tech­ni­schen Grün­den nicht mög­lich ist, wird die hier gewon­ne­ne Frei­flä­che einer neu­en Bestim­mung – Grün­flä­che, Spiel­platz, Bau eines Mehr­ge­ne­ra­tio­nen­hau­ses – zugeführt.

Aber auch über die ver­wal­tungs­tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten dis­ku­tier­ten die Gäs­te mit den Ver­ant­wort­li­chen der Bre­mer­ha­ve­ner Bau­be­hör­de. In den japa­ni­schen Ver­wal­tun­gen soll es nicht aus­rei­chend Spe­zia­lis­ten geben. In den dor­ti­gen Stadt­pla­nungs­äm­tern sei­en eher Gene­ra­lis­ten beschäf­tigt, Herr Dr. Nao­ta­ka Ota, Juni­or­pro­fes­sor an der Uni­ver­si­tät Tsu­ku­ba, unse­ren Gast­ge­bern wissen. 

Japanische Stadtplaner in Bremerhaven

In Japan genießt das Eigen­tum durch das dor­ti­ge Recht nicht einen so star­ken Schutz, wie das in Deutsch­land der Fall ist. Dort kön­nen die Kom­mu­nen den Eigen­tü­mer zur Sanie­rung sei­nes Gebäu­des ver­pflich­ten oder es zwangs­wei­se abrei­ßen lassen.

Nach ihrer Rück­kehr in ihre Hei­mat wol­len die Gäs­te ihre neu gewon­ne­nen Erkennt­nis­se an die dor­ti­gen Bür­ger­meis­ter und Rats­mit­glie­der wei­ter­ge­ben.
Quel­len:
R. Dons­bach: Von Lehe ler­nen für Japans Städ­te,
Nord­see-Zei­tung. v. 12.3.2015
C. Hes­ke: Leher Lösun­gen für Japans Städ­te, Sonn­tags­jour­nal vom 15.03.2015