Erich Sturk: Erinnerungen an den 18. September 1944 in Bremerhaven

In “Erin­ne­run­gen an den 18. Sep­tem­ber 1944 in Bre­mer­ha­ven” beschreibt Leser Erich Sturk sei­ne Gedan­ken an den ver­hee­ren­den Luft­an­griff, in des­sen Ver­lauf Bom­ber der Roy­al Air Force inner­halb von 20 Minu­ten die heu­ti­gen Bre­mer­ha­ve­ner Stadt­tei­le Mit­te und Geest­e­mün­de fast kom­plett zer­stör­ten. Erich Sturk kann das Erleb­te nicht ver­ges­sen, und es ist ihm ein Her­zens­wunsch, dass sei­ne per­sön­li­chen Erin­ne­run­gen hier im Deich­SPIE­GEL ver­öf­fent­licht werden. 

Erinnerungen an den 18. September 1944

Ich war damals 13 Jah­re alt und wohn­te in mei­nem Eltern­haus in Weser­mün­de-Geest­e­mün­de, Bucht­stra­ße 8–10/Ecke Neu­markt­stra­ße. Weser­mün­de war bis zu die­sem Zeit­punkt im Gegen­satz zu ande­ren Groß­städ­ten von Groß­an­grif­fen der alli­ier­ten Bom­ber ver­schont geblie­ben. Zwar waren im Ver­lau­fe des Krie­ges schon eini­ge Bom­ben gefal­len, aber es han­del­te sich anschei­nend um Not­ab­wür­fe der Bom­ber beim Rück­flug von ihren Einsatzzielen.

Bereits 1940 war eine Stab­brand­bom­be auf unse­re Tisch­ler­werk­statt gefal­len, die das Dach und die Boden­de­cke durch­schlug und auf der Fur­nier­pres­se lie­gen blieb und aus­brann­te, ohne Scha­den anzu­rich­ten, da mein Vater den Feu­er­schein gese­hen hat­te und wir in die Werk­statt lie­fen und die Bom­be mit Lösch­sand abdeck­ten. Grö­ße­re Schä­den wur­den bei die­sen Not­ab­wür­fen in der Schil­ler­stra­ße, in Sur­hei­de und in Nordle­he verursacht.

Ab 1943 wur­den wir älte­ren Schü­ler zu einer Brand­wa­che in den Schu­len außer­halb der Schul­zeit ein­ge­teilt, nach­dem unser Schul­luft­schutz­wart, Herr Mey­er, uns ein­ge­wie­sen und an dem Blind­gän­ger einer Stab­brand­bom­be demons­triert hat­te, wie sie zu löschen war.

Im Herbst 1943 wech­sel­te ich von der All­mers­schu­le in den Auf­bau­zug der Hum­boldt­schu­le und wur­de von der dama­li­gen Kreis­lei­tung der Orts­grup­pe Neu­markt als Mel­der zuge­teilt. Für mich bedeu­te­te es, dass ich mit Stahl­helm und Gas­mas­ke zur Schu­le ging und mich bei Flie­ger­alarm im Büro der Ort­grup­pe ein­zu­fin­den hat­te, das sich in der Max-Died­rich-Stra­ße im Hau­se der Leih­bü­che­rei Hagen befand. Hier­für bekam ich einen Aus­weis, der mir erlaub­te, mich bei Alarm auf den Stra­ßen zu bewe­gen und auf den ich sehr stolz war.

Mein ers­ter gro­ßer Ein­satz fand am 15. Juni 1944 statt, als am Vor­mit­tag ein Flä­chen­bom­bar­de­ment auf den Stadt­teil Geest­e­mün­de erfolg­te. Ich erhielt vom Orts­grup­pen­lei­ter den Auf­trag, die ent­stan­de­nen Schä­den im Bereich der Orts­grup­pe Geest­e­mün­de zu ermit­teln und auf einem Mel­de­block fest­zu­hal­ten. Ich erin­ne­re mich an die unheim­li­che Stil­le, die auf den Stra­ßen herrsch­te und an den Geruch von Gas und Mör­tel­staub, der über dem Stadt­teil lag. Als ich in die Neu­markt­stra­ße kam, sah ich, dass eine Spreng­bom­be unser Haus knapp ver­fehlt hat­te und dass sich auf der Neu­markt­stra­ße ein gro­ßer Bom­ben­trich­ter befand.

Erinnerungen an den 18. September 1944

Die Angriffs­se­rie setz­te sich am 17. und 18. Juni mit Flä­chen­bom­bar­de­ments auf den Stadt­teil Lehe und auf den Fische­rei­ha­fen fort. Nach die­sen Angrif­fen wur­den wir vom Jung­volk aus zu Lösch- und Ber­gungs­ar­bei­ten ein­ge­setzt. Die ört­li­chen Tele­fon­lei­tun­gen bestan­den größ­ten­teils aus Frei­lei­tun­gen, die bei den Angrif­fen zer­stört wur­den, so dass eine Kom­mu­ni­ka­ti­on zwi­schen den Behör­den und Ein­satz­lei­tun­gen nicht mehr mög­lich war. Wir Jun­gen erhiel­ten den Auf­trag, in Zusam­men­ar­beit mit der Nach­rich­ten-HJ ein pro­vi­so­ri­sches Nach­rich­ten­netz aufzustellen.

Mit einem Hand­wa­gen zogen wir zum Flug­ha­fen Wed­de­war­den und erhiel­ten dort 2 Hand­ver­mitt­lun­gen, 25 Feld­fern­spre­cher und Rol­len mit Tele­fon­ka­beln. Mit dem Mate­ri­al konn­ten wir in den nächs­ten Tagen eine orts­über­grei­fen­de Ver­bin­dung aller wich­ti­gen Stel­len auf­bau­en. Die Ver­mitt­lun­gen befan­den sich in der Bann­dienst­stel­le in der Köper­stra­ße und im HJ-Heim Saar­park, wo wir anschlie­ßend abwech­selnd Ver­mitt­lungs­diens­te leisteten.

Die Angrif­fe auf die Stadt im Juni ver­an­lass­ten die Stadt­ver­wal­tung, die Schu­len zu schlie­ßen und die Schü­ler zu deren Sicher­heit im Rah­men der soge­nann­ten KLV (Kin­der­land­ver­schi­ckung) auf das plat­te Land zu schi­cken. Mit­te Juli 1944 ver­ließ ich mit mei­ner Klas­se, der A IV der Hum­boldt­schu­le, und mit unse­rem Klas­sen­leh­rer, dem Herrn Hage­mann, die Stadt mit einem Son­der­zug in Rich­tung Lüne­bur­ger Heide.

Vom Bahn­hof Bre­mer­vör­de ab ver­lie­ßen an jeder Sta­ti­on die ein­zel­nen Klas­sen den Zug zu ihren zuge­teil­ten Auf­ent­halts­or­ten. Wir ver­lie­ßen den Zug in Lau­en­brück im Kreis Roten­burg (Han) , ver­lu­den unser Gepäck auf einen bereit­ste­hen Acker­wa­gen und mar­schier­ten zu unse­rem Bestim­mungs­ort Stem­men, einem klei­nen Dorf am Ran­de der Lüne­bur­ger Hei­de, wo wir ver­teilt und von den Bau­ern in unse­re Quar­tie­re geführt wurden.

Hier ver­brach­ten wir den Som­mer mit Schul­un­ter­richt in der Dorf­schu­le, Ern­te­hil­fe, Kar­tof­fel­kä­fer- und Buch­eckern­samm­lun­gen und, wenn man Glück hat­te, mit dem Auf­fin­den von abge­wor­fe­nen Reser­ve­tanks der ers­ten Düsen­jä­ger, die zur Flug­ab­wehr auf dem Flug­platz Roten­burg ein­ge­setzt wur­den. Für das Auf­fin­den und Ablie­fern eines Tanks bekam man 10 RM. Nachts hör­te ich die Mäu­se unter mei­nem Bett nagen und die feind­li­chen Flie­ger in Rich­tung Ham­burg über mir brum­men, und wenn das Brum­men zu stark wur­de, weck­te mich der Bau­er, und wir such­ten einen pro­vi­so­ri­schen Split­ter­bun­ker auf, der sich auf dem Hof befand.

Erinnerungen an den 18. September 1944

Nach Ein­brin­gen der Kar­tof­fel­ern­te wur­de uns erlaubt, die Herbst­fe­ri­en zu Hau­se zu ver­brin­gen. Am Sonn­abend, dem 16. Sep­tem­ber 1944, fuh­ren wir gemein­sam mit unse­rem Klas­sen­leh­rer nach Weser­mün­de. Es war ein war­mer, son­ni­ger Herbst­tag, und ich erin­ne­re mich des hei­mat­li­chen Wohl­ge­fühls, das ich beim Ver­las­sen des Bahn­hofs Geest­e­mün­de emp­fand. Ich freu­te mich auf mein gemüt­li­ches Zim­mer zu Hau­se, das ich gegen mei­ne 4.00 qm gro­ße Kam­mer mit Bett und Stuhl beim Bau­ern tau­schen konn­te, und ich war der Hoff­nung, dass nach Ende der Feri­en der Krieg vor­über wäre und ich nicht in die Hei­de zurück müsste.

In die­ser Hoff­nung hat­te ich auch alle Sachen, die mir damals gehör­ten, mit­ge­nom­men und räum­te sie am dar­auf fol­gen­den Sonn­tag in alle Ruhe in mei­nem Zim­mer ein. Abends um halb zehn gab es wie immer Flie­ger­alarm, und wir such­ten den im Hau­se befind­li­chen Luft­schutz­kel­ler auf. Mon­tag, der 18. Sep­tem­ber 1944, war wie­der­um ein schö­ner son­ni­ger Herbst­tag, und ich genoss das Gefühl, zu Hau­se zu sein. Abends, gegen halb zehn, gab es wie üblich Flie­ger­alarm, und wir such­ten zusam­men mit den Haus­be­woh­nern den Luft­schutz­kel­ler auf.

Da unser Haus in der Umge­bung eines der größ­ten und wohl sta­bils­ten Häu­ser in der Umge­bung war, hat­te man in einem Bereich des Kel­lers einen soge­nann­ten „Öffent­li­chen Luft­schutz­raum“ mit Gas­schleu­se, Not­aus­gang, Feld­bet­ten, Che­mi­kal­toi­let­ten und allem not­wen­di­gen Zube­hör ein­ge­rich­tet, der ger­ne von den Anwoh­nern des nahe­lie­gen­den, soge­nann­ten Pasch­vier­tels, in dem sich nur klei­ne Häu­ser befan­den, auf­ge­sucht wur­de. Auch kamen oft Mari­ne­sol­da­ten, die sich in den umlie­gen­den Gast­stät­ten in der Ram­sau­er Stra­ße oder bei Café Reh­mann in der Georg­stra­ße auf­hiel­ten, hier­her. Mein Groß­va­ter war zusam­men mit einem Nach­barn, Herrn Dau­els­berg, als Luft­schutz­wart eingesetzt.

Zuerst ver­lief alles ganz nor­mal, und wir nah­men an, dass der Alarm nur den nach Ber­lin oder Ham­burg über der Deut­schen Bucht ein­flie­gen­den Bom­ber­ver­bän­den galt. Die Män­ner aus dem Hau­se und die Mari­ne­sol­da­ten stan­den im Hof vor der Haus­tür, rauch­ten und unter­hiel­ten sich, und ich stand natür­lich dabei. Die Flak schoss Sperr­feu­er, und als nach kur­zer Zeit der Flak­split­ter­re­gen begann, ging man in den Kel­ler zurück.

Das Brum­men der Flug­zeug­mo­to­ren wur­de jedoch unge­wöhn­lich stark, und nach kur­zer Zeit hör­te man die ers­ten Explo­sio­nen der Luft­mi­nen, die von den Bom­bern abge­wor­fen wur­den, um die Dächer auf­zu­rei­ßen und die Häu­ser für den Ein­satz der Brand­bom­ben vor­zu­be­rei­ten. Die Türen der Gas­schleu­sen wur­den geschlos­sen, und man hör­te die Bom­ben­ein­schlä­ge, wobei der Kel­ler­bo­den erzit­ter­te und das Licht fla­cker­te und erlosch. Frau Mül­ler, die bei uns im Hau­se wohn­te und schwer­hö­rig war, schau­te erschro­cken in unse­re Gesich­ter und frag­te, ob es schlimm sei.

Das nächs­te frem­de Geräusch war das Kla­cken der Stab­brand­bom­ben rings um das Haus und das Rol­len der Ben­zin­ka­nis­ter, die anschei­nend auf dem Dach­bo­den und auf dem Hof gelan­det waren. Nach eini­ger Zeit öff­ne­te mein Vater die Türen der Gas­schleu­se, und ich ging mit ihm auf den Kel­ler­gang hin­aus. Alle Fens­ter der Mie­ter­kel­ler waren von außen hell erleuch­tet, es knis­ter­te und ein star­ker Brand­ge­ruch mach­te sich bemerk­bar. Wir gin­gen in den Schutz­raum zurück und war­te­ten, bis die unab­läs­si­gen Explo­sio­nen nachließen.

Nach­dem es ruhi­ger gewor­den war, ging mein Vater aus dem Schutz­raum, um die Lage zu beur­tei­len. Er kam zurück und sag­te, dass das Haus und die Werk­statt in Flam­men stän­den. Eine Flucht über den Hof sei nicht mög­lich, da das dort gela­ger­te Holz, der Wagen­schup­pen und alle Zaun­pfäh­le brann­ten. Er ging noch ein­mal hin­aus, und ich folg­te ihm in unse­re Woh­nung im ers­ten Ober­ge­schoss. Im Trep­pen­haus, das aus einer höl­zer­nen, mit Lin­ole­um beleg­ten Trep­pe bestand, fie­len bereits bren­nen­de Tei­le bis ins Erd­ge­schoss. Ein Zugang zu den obe­ren Geschos­sen war nicht mehr möglich.

In unse­rer Woh­nung im Wohn­zim­mer war bereits ein gro­ßes Loch in der Decke, aus dem bren­nen­de Tei­le auf den polier­ten Wohn­zim­mer­tisch fie­len. Auto­ma­tisch zog mein Vater den Tisch bei Sei­te, da er es wohl als Tisch­ler­meis­ter nicht mit anse­hen konn­te, wie sein Meis­ter­werk ein Raub der Flam­men wur­de. Er rief mir zu, ich sol­le ver­su­chen, was ich an Wert­sa­chen tra­gen und in den Kel­ler brin­gen könn­te. Ich lief in mein Zim­mer, des­sen Fens­ter kei­ne Glas­schei­ben mehr hat­ten und wo sich die Gar­di­nen im ein­set­zen­den Feu­er­sturm auf­bau­sch­ten. Ich ergriff mei­ne Schul­ta­sche und mei­ne über alles gelieb­te Kod­ak Brow­ny, mei­ne 6 x 9 Foto — Box. Wir mach­ten den Weg noch eini­ge Male und brach­ten die Feder­bet­ten und ande­re wich­ti­ge Uten­si­li­en in den Kel­ler hinunter.

Mein Vater for­der­te die anwe­sen­den Mari­ne­sol­da­ten auf, mit nach oben zu kom­men und ret­ten zu hel­fen. Sie wag­ten sich ein­mal mit uns hin­auf, und plötz­lich waren sie ver­schwun­den. Dann war uns der Weg ver­sperrt, da mein Groß­va­ter wohl die Gefahr des bren­nen­den Trep­pen­hau­ses erkannt hat­te und den öffent­li­chen Luft­schutz­raum räu­men ließ. Die Leu­te kamen uns auf der Kel­ler­trep­pe ent­ge­gen und ver­lie­ßen das Haus zur Neu­markt­stra­ße hin durch die inzwi­schen glas­lo­sen Schau­fens­ter unse­res Möbel­ge­schäf­tes, da eine Flucht durch die Haus­tür über den Hof nicht mög­lich war.

Inzwi­schen hat­te sich der Brand des Trep­pen­hau­ses bis ins Erd­ge­schoss hin­ein aus­ge­brei­tet, und es wur­de daher auch für uns Haus­be­woh­ner die höchs­te Zeit, den Luft­schutz­raum zu ver­las­sen, da uns sonst der Weg ins Freie ver­sperrt sein wür­de. Mein Vater sag­te den fünf alten Damen, sie soll­ten ihre Woll­de­cken umhän­gen, das not­wen­digs­te Hand­ge­päck neh­men und ihm fol­gen. Er führ­te uns eben­falls durch das Möbel­ge­schäft und die zer­bro­che­nen Schau­fens­ter auf die Neu­markts­ra­ße. Von dort aus woll­ten wir ver­su­chen, den Neu­markt zu errei­chen, um in den dort vor­han­de­nen Split­ter­grä­ben Schutz zu finden.

Die Stra­ße war durch den Feu­er­schein der bren­nen­den Häu­ser in ein glut­ro­tes Licht getaucht, es hat­te sich ein Feu­er­sturm ent­facht, der einen Fun­ken­re­gen wie glü­hen­de Schnee­flo­cken vor sich her­trieb. Auf den Geh­we­gen und den Fahr­bah­nen steck­ten die Res­te der aus­ge­brann­ten Stab­brand­bom­ben wie Pil­ze im Wald­bo­den. Die zum Schutz umge­häng­ten Decken fin­gen durch den Fun­ken­re­gen sofort an zu schwe­len, und ich ver­such­te mit der blo­ßen Hand die Flo­cken abzu­schüt­teln. Wir erreich­ten die Split­ter­grä­ben, die in Höhe der Max-Died­rich-Stra­ße aus­ge­ho­ben waren und in die sich schon eine Men­schen­men­ge geflüch­tet hatte.

Wir fan­den einen frei­en Platz und ich half den alten Damen über den Schutz­wall in die Grä­ben zu gelan­gen. Um den Neu­markt her­um brann­ten alle Häu­ser, selbst das Dach des Was­ser­tur­mes stand in hel­len Flam­men. Ab und zu hör­te man star­ke Explo­si­ons­ge­räu­sche, und der Feu­er­sturm wur­de immer stär­ker und nahm einem die Luft zum Atmen. Ich wag­te den Weg zum Feu­er­lösch­teich, der sich hin­ter der Markt­hal­le zur Bül­ken­stras­se hin befand, und tauch­te die Woll­de­cken und Taschen­tü­cher dort ein und brach­te sie mei­ner Fami­lie, damit sie Schutz vor dem Fun­ken­re­gen hat­te und die nas­sen Taschen­tü­cher als Atem­schutz nut­zen konn­te. Immer mehr Men­schen kamen aus den anlie­gen­den Stra­ßen geflüch­tet und such­ten Schutz in den Grä­ben, und der Platz wur­de immer enger.

Das Zeit­ge­fühl war mir ver­lo­ren gegan­gen, und die Nacht schien mir end­los zu sein. Im Mor­gen­grau­en ließ der Feu­er­sturm etwas nach, und mein Vater wag­te den Weg zu unse­rem Haus. Er kam zurück und sag­te uns, es sei alles nie­der­ge­brannt, und wir wür­den ver­su­chen, einen Weg ins Freie zu fin­den. Ich lief noch ein­mal zum Feu­er­lösch­teich und durch­näss­te die Woll­de­cken. Wir häng­ten sie uns um und kro­chen aus den Gräben.

Zur Georg­stra­ße hin war uns der Weg durch die noch immer lodern­den Flam­men abge­schnit­ten, also über­quer­ten wir den Neu­markt in Rich­tung Was­ser­turm und gelang­ten über den Schul­hof der All­mers­schu­le zur Klop­stock­stra­ße und von dort zum Geest­e­mün­der Fried­hof. Hier hat­te der Brand nicht so stark gewü­tet, die Luft wur­de rei­ner, und ich begann, unter der nas­sen Woll­de­cke zu frie­ren. Mein Vater mach­te sich auf den Weg zur Hart­wig­stra­ße, wo mein Groß­va­ter einen Schre­ber­gar­ten besaß. Er kam zurück und sag­te, dass das Gar­ten­haus ste­hen geblie­ben war und wir dort Unter­schlupf fin­den wür­den. Wir bega­ben uns dort­hin und tra­fen dort auf mei­nen Groß­va­ter, der auf irgend­ei­nem Weg dort­hin gelangt war und gera­de Kaf­fee zube­rei­tet hat­te. Erschöpft lie­ßen wir uns nie­der, ich leg­te mich auf den Boden und schlief sofort ein.

Als ich gegen Mit­tag erwach­te, spür­te ich ein star­kes Bren­nen in den Augen und im Magen ein Übel­keits­ge­fühl. Mein Vater hat­te den Vor­mit­tag genutzt, um die Lage zu son­die­ren und hat­te dabei fest­ge­stellt, dass die NSV (Natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Volks­wohl­fahrt)  am Ein­gang des Bür­ger­parks auf dem Gelän­de des Café Roux eine Auf­fang­sta­ti­on mit Feld­kü­che und beleg­ten Bro­ten zur Ver­sor­gung ein­ge­rich­tet hatte.

Die Wie­se vor dem Café an der Hart­wig­stra­ße war vol­ler Men­schen, die in der nun war­men Son­ne mit ihren letz­ten Hab­se­lig­kei­ten lager­ten. Ich such­te eine DRK-Sta­ti­on auf und der anwe­sen­de Arzt stell­te bei mir eine Rauch­ver­gif­tung fest und ver­wies mich zur wei­te­ren Behand­lung an eine DRK-Sta­ti­on, die sich im alten Geest­e­mün­der Rat­haus in der heu­ti­gen Klus­smann­stra­ße befin­den soll­te. Ich mach­te mich am Nach­mit­tag auf den Weg dort­hin, durch die Bis­marck­stra­ße, an rau­chen­den Trüm­mern vor­bei und wur­de dort mit Augen­trop­fen behandelt.

Die dar­auf fol­gen­de Nacht ver­brach­ten wir alle im Gar­ten­haus an der Hart­wig­stra­ße. Am nächs­ten Mor­gen mach­te ich mich mit mei­nem Vater auf den Weg zu unse­rem Haus in der Bucht­stra­ße. Wir woll­ten ver­su­chen, in den Luft­schutz­kel­ler zu gelan­gen, um unse­re Sachen zu ber­gen. Die ein­ge­la­ger­ten Koh­len­vor­rä­te in den Mie­ter­kel­lern hat­ten jedoch Feu­er gefan­gen, der gan­ze Kel­ler glüh­te unter den Trüm­mern, und wir konn­ten nicht in den Schutz­raum vor­zu­drin­gen. Erst am nächs­ten Mor­gen gelang es uns zusam­men mit einem Ein­satz­trupp der Mari­ne, einen Zugang zu schaf­fen, und wir fan­den den Schutz­raum dank der ein­ge­bau­ten Abstei­fun­gen bis auf eine ver­brann­te Tür der Gas­schleu­se unver­sehrt vor.

Erinnerungen an den 18. September 1944

Es herrsch­te noch eine gro­ße Hit­ze dort unten, aber wir konn­ten unser Luft­schutz­ge­päck und die geret­te­ten Feder­bet­ten auf die Stra­ße brin­gen. Zu mei­ner gro­ßen Freu­de fand ich auch mei­ne Kod­ak­box unver­sehrt vor, in der sich noch ein Film befand, und ich mach­te ver­bo­te­ner­wei­se die anlie­gen­den Auf­nah­men von unse­rem Haus und der Umgebung.

Die Mari­ner durch­such­ten auch die Räu­me des öffent­li­chen Schutz­rau­mes und fan­den dort eine Lei­che, die dann als der Nacht­wäch­ter des gegen­über­lie­gen­den Kinos „Metro­pol“ iden­ti­fi­ziert wur­de. Er muss­te sich nach unse­rem Ver­las­sen der Schutz­räu­me dort­hin geflüch­tet haben und war dann dort erstickt. Es war die ers­te Lei­che, die ich mei­nem Leben sah, und es hat mich sehr erschüttert.

Die NSV orga­ni­sier­te die Eva­ku­ie­rung der obdach­lo­sen Ein­woh­ner in die umlie­gen­den Dör­fer und mei­ne Groß­el­tern gelang­ten dadurch in den Ort Hei­ne bei Stub­ben. Mei­ne Fami­lie und ich fan­den dann nach eini­gen Tagen Quar­tier bei einer befreun­de­ten Fami­lie in der Elsäs­ser Stra­ße, bei der wir die nächs­ten vier Jah­re gewohnt haben.
Bre­mer­ha­ven, im Juli 2004 | Erich Sturk

Vie­len Dank an Herrn Erich Sturk, dass er die Leser des Deich­SPIE­GELS an sei­nen Erin­ne­run­gen teil­ha­ben lässt.

11 Antworten

  1. Frank A. Lojewski sagt:

    Lie­ber Herr Schwiebert,

    vie­len Dank für Ihre e‑mail.  Natür­lich kön­nen Sie mei­ne e‑mail veröffentlichen.

    Ich bin gebür­ti­ger Wil­helms­ha­ve­ner, 1937, aber wohn­te fast immer in Wesermünde/Bremerhaven/ Lehe.  Trotz was man so über die NS Zeit liest, wird das Bild immer aus poli­ti­schen Grün­den ver­zerrt.  Zum Bei­spiel, als Sie­ben­jäh­ri­ger wuss­te ich, dass es KZ’s gab und dass man dort ganz schnell lan­den konn­te, wenn ein Ver­wand­ter von den Behör­den ange­klagt wur­de. Ich wuss­te das KZ’s furcht­ba­re Plät­ze waren, aber nicht genau, was dort Men­schen ange­tan wur­de.  Der 12 Uhr Nach­rich­ten­rund­funk fes­sel­te mich immer, weil — unter Sip­pen­haft — Ver­wand­te mit­schul­dig wur­den wenn ein Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ger — Vater, Onkels, usw. beim Mili­tär zu den Alli­ier­ten überlief. 

    In der Hin­sicht waren die Bom­ben­an­grif­fe nicht so beängs­ti­gend, denn nach eini­gen Stun­den wuss­te man doch, ob man sie über­lebt hat oder nicht.  Lebens­mit­tel waren immer knapp und  die Kar­ten meis­tens wert­los, es sei denn für Kar­tof­feln, Mager­milch, und viel­leicht Kohl.  But­ter, Eier, Fleisch, für die wir Kar­ten hat­ten, gab es ein­fach nicht.  Tage vor dem Ein­marsch der Schot­ten beka­men wir plötz­lich etli­che Kilo But­ter, Käse, und sons­ti­ge Köst­lich­kei­ten, die  bis dahin nicht  exis­tiert haben soll­ten. Die fol­gen­den Jah­re waren von Hun­ger, Woh­nungs­not, Koh­len­man­gel und ande­ren Man­gel regiert.  Der Mor­gen­tau-Plan wur­de imple­men­tiert, und nur die Soviet­ge­fahr über Ber­lin erleich­ter­te es allmählich.

    Nun, über mich.  Seit 1958 habe ich fast nie Deutsch gespro­chen und wenig gele­sen, es sei denn, mit­tel­al­ter­li­che Lite­ra­tur. Gym­na­si­um besuch­te ich im Sau­er­land und in den Nie­der­lan­den.  Mei­ne höhe­re Erzie­hung war AB San Fran­cis­co Sta­te U,  MA,  Uni­ver­si­ty of Cali­for­nia, Ph.D.  Uni­ver­si­ty of Cali­for­nia, und Stu­di­um und For­schungs­ar­bei­ten in Tai­wan.  Mein Fach ist chi­ne­si­sche Geschich­te.  Mei­ne letz­te Rei­se nach Deutsch­land war in 1982, für eine Woche Aufenthalt. 

    Mei­ne Gat­tin und ich leben auf einem klei­nen Grund­stück, 2,5 ha, außer­halb von Soin­tu­la, im Ruhe­stand.  Und ja, ich bin froh dass ich nicht mehr so lan­ge Leben muss, aber ich fürch­te mich für mei­ne zwei Söh­ne und mei­nen Enkel­sohn.  Sie wer­den die Sup­pe, die unse­re und die nächs­te Gene­ra­ti­on der Welt ein­ge­brockt haben, essen müs­sen.  Denn wie Hegel vor zwei­hun­dert oder so Jah­ren schrieb, ler­nen wie nichts von Geschich­te.  Was ich jedoch von mei­nen Arbei­ten gelernt habe ist dies: Wo Hab­gier sich ein­nis­tet, wer­den alle ande­ren Gedan­ken­gän­ge bei­sei­te geschoben. 

    Lei­der!

    Mit herz­lichs­ten Gruß und Ent­schul­di­gung über mein holp­ri­ges Deutsch,

    Frank A. Lojewski

  2. Frank A. Lojewski sagt:

    Hegel schrieb:  Geschich­te lehrt uns, dass wir nicht von Geschich­te ler­nen.  Lei­der ist das die Wahr­heit.  Weil die Bom­berei furcht­bar war, und die Besat­zung war gar nicht bes­ser.  Käl­te, Hun­ger, Furcht. 

    Wir wohn­ten am Kriegs­en­de in der Schleu­sen­stra­ße.  Weih­nachts­abend 1945 wur­de ein Hafen­ar­bei­ter von der ame­ri­ka­ni­schen Wache vor unse­rer Tür erschos­sen.  Er hat­te für sei­ne acht Kin­der Bon­bon gestoh­len, rann­te vor der Wache weg und wur­de so ein­fach abgeknallt. 

    Wir zogen — flo­hen, bald in die Bri­ti­sche Zone nach Sie­vern, nörd­lich von Lan­gen.  Weil es nicht viel bes­ser war oder mehr zu essen gab, war das Spie­len in der Hei­de und auf dem Moor, den Wei­den und Wäl­dern wun­der­bar.  Als ich dann in 1982 die­ses Dorf wie­der besuch­te, war jedes alte Fach­werk­haus abge­ris­sen wor­den, und die herr­li­chen Moo­re in eine Sand­wüs­te ver­wan­delt wor­den. Deut­sche lern­ten etwas von den Alli­ier­ten:  Hab­gier, Hab­gier über alles und ohne Gren­zen.  Ich bin sehr froh, dass ich nicht mehr lan­ge Leben muss, denn soweit ist der Fort­schritt immer tie­fer in den Untergang. 

    Mei­nen neue Hei­mat ist auf einer klei­nen Insel, Mal­colm Island, an der Nord­spit­ze von Van­cou­ver Island, in Bri­tish Colum­bia, Cana­da (sie­he Soin­tu­la auf dem Inter­net).  Hier waren wir wohl nicht bom­ba­diert wor­den und kön­nen unse­re eige­nen Ess­wa­ren selbst anbau­en, vom Strand, wie die India­ner, sam­meln, oder auch jagen und fischen. 

    Mit dem neu­en Füh­rer in Washing­ton, ein Krieg mit Iran ist nicht nur mög­lich, sogar wahr­schein­lich.  Wer­den die Rus­sen und Chi­ne­sen ein­fach dabei ste­hen und zugucken? 

    Frank A. Lojewski

    • admin sagt:

      Lie­ber Herr Lojewski,

      Ihr Bericht hat mich erschüt­tert und auf­ge­rüt­telt. Ich bin 1949 gebo­ren und kann, wie damals unser Alt­bun­des­kanz­ler Hel­mut Kohl, über die Gna­de mei­ner spä­ten Geburt dank­bar sein. Ich muss­te die Schre­cken des Krie­ges nicht mit­er­le­ben. Ich war fünf Jah­re alt, als ein eng­li­scher Sol­dat mich in sei­nem Jeep ließ und mit mir ein paar Run­den über den Lüne­bur­ger Markt­platz fuhr. 

      Mein Vater, Jahr­gang 1922, kam 1948 aus rus­si­scher Gefan­gen­schaft heim. Spä­ter hat­te ich als jun­ger Mann vie­le Fra­gen an ihn, die unbe­ant­wor­tet blie­ben. Heu­te gibt es nicht mehr vie­le Zeit­zeu­gen, und die Nazi­zeit ver­sinkt lang­sam im Nebel. 

      Ich wür­de den Inhalt der Email, die Sie mir net­ter­wei­se geschrie­ben haben, ger­ne in mei­nem Deich­SPIE­GEL ver­öf­fent­li­chen. Zur Mah­nung!!! Ich bit­te Sie höf­lich um Ihre Erlaubnis.

      Falls Sie noch Foto­ma­te­ri­al aus Ihren Bre­mer­ha­ve­ner Tagen haben, wür­de ich mich sehr freu­en, wenn Sie mir etwas zur Ver­fü­gung stel­len könnten.

      Ich ver­ste­he Sie so gut, dass Sie in Kana­da leben. Bit­te freu­en Sie sich nicht auf Ihren Tod. Leben Sie, und freu­en Sie sich über Ihr Leben…

      Ganz herz­li­che lie­be Grü­ße aus Bremerhaven
      Ihr
      Her­mann Schwiebert

  3. Frank A. Lojewski sagt:

    Zwei­mal erleb­te ich einen Groß­an­griff auf Weser­mün­de. Der ers­te fand auf einem Sonn­tag statt, so um Mit­tag. Wir wohn­ten in der Leher Kaser­ne, dem heu­ti­gen Stadt­amt, an der Süd­west Ecke. Als wir uns gera­de zur Mahl­zeit hin­set­zen woll­ten, heul­ten plötz­lich die Sire­nen. Wir muss­ten sofort in den Kel­ler des anlie­gen­den Blocks, in den letz­ten Raum. 

    Dann fing es an zu hageln. Die Pan­zer­klap­pen des Fens­ters flo­gen auf, und mei­ne älte­rer Bru­der und ich stan­den auf einer Bank und sahen das Blit­zen und die Staub­wol­ken, weil die schwe­re Stahl­klap­pe auf und zu knall­te. Unser Dienst­mäd­chen woll­te in den Gang gehen, aber mein Bru­der riss sie zurück, denn sonst wäre sie von der Pan­zer­tür erschla­gen wor­den. Mei­ne Mut­ter und Schwes­tern schrien und wein­ten ohne Unter­lass. Unter uns brumm­te es eigen­ar­tig. End­lich konn­ten wir wie­der zu unse­rer Woh­nung zurück. 

    Es stell­te sich her­aus, dass unter unse­rem Kel­ler­raum ein 500 Kilo Blind­gän­ger lag. Er wur­de dann aus­ge­gra­ben. Am nächs­ten Nach­mit­tag explo­dier­te er mit einem Leut­nant und einem rus­si­schen Gefan­ge­nen. Ein Split­ter schlug auf der Sport­wie­se, die vol­ler aus­ge­bomb­ter Leu­te war, ein. Ich war da gera­de unter die­sen Men­schen, sah den Split­ter, fass­te ihn an, und bra­te­te mei­ne Finger.

    Danach auf Feri­en nach Wil­helms­ha­ven, wo ver­spä­te­te Oster­ei­er vom Him­mel kamen. Zurück nach Weser­mün­de, es war schon dun­kel als wir in unse­rer neu­en Woh­nung auf der Schleu­sen­stra­ße anka­men. Das Dienst­mäd­chen schal­te­te das Licht an, und eine Gar­be von einem Maschi­nen­ge­wehr grüss­te uns sehr herz­lich. Vier Sto­cken schnell run­ter in den Keller. 

    Als das Brum­men der Bom­ber nicht mehr zu hören war, sind wir auf die Stras­se gegan­gen. Alles brann­te, das Hal­len­bad schräg gegen­über war dabei, sich in ein offe­nes Bad zu ver­wan­deln. Bald danach wur­den wir Kin­der nach einem win­zi­gen Moor­dorf süd­lich von Bre­mer­vör­de gesandt. Weser­mün­de war ein rie­si­ger Trümmerhaufen.
    Wie wir heu­te wis­sen, war seit dem Groß­an­griff auf Ham­burg in 1941 das Bom­ber­ziel die Zivil­be­völ­ke­rung. Was man nicht tut, um Zivi­li­sa­ti­on zu retten!

    • admin sagt:

      Sehr geehr­ter Herr Lojewski,

      vie­len Dank für die Schil­de­rung Ihrer schlim­men Kind­heits­er­leb­nis­se. Vie­le Leser des Deich­SPIE­GEL hin­ter­las­sen hier Kom­men­ta­re, um ihre Erin­ne­run­gen mit ande­ren Lesern zu tei­len. Dar­über bin ich sehr froh. Es hilft, längst Ver­gan­ge­nes vor dem Ver­ges­sen zu bewahren.
      Herz­li­che Grüße
      Her­mann Schwiebert

  4. Ursula Rath geb. Schmitt sagt:

    Ich den­ke an jedem 18.9. an mei­ne liebs­ten Ver­wand­ten, die ich an die­sem Tag ver­lor. Ich war 6 Mona­te alt und bei mei­ner Mut­ti im Bay. Wald. Vati war Feld­we­bel bei der Luft­waf­fe. Er ver­lor Mut­ter, Groß­mutter, zwei Schwes­tern und sei­ne Nich­te und Nef­fen. Sein Vater (See­lot­se) war kurz vor­her verstorben.
    Das Haus stand in der Deich­stra­ße, und wie immer bei Bom­ben­alarm waren alle im Kel­ler, dort hat Vati sie dann aus­ge­gra­ben. Ab die­sem Tag hat­te er eine graue Sträh­ne in sei­nen dunk­len Haa­ren. An die Erzäh­lun­gen danach erin­ne­re ich mich noch heu­te mit wehem Herzen.

  5. Sabine Funk sagt:

    Mei­ne Mut­ter wohn­te in der Pasch­stra­ße 6. Sie hat mir von dem Angriff erzählt. Ich habe aus ihren Erin­ne­run­gen ein Gedicht und eine Geschich­te geschrieben: 

    Bre­mer­ha­ven 18.09.1944

    Sie hör­te die Sire­nen, sie wuss­te, was das bedeu­tet. Flie­ger­alarm. Alles zusam­men packen, nur das Nötigs­te. Wie oft hat­te sie das schon gemacht. Immer war es nur Alarm. Wie wird es heu­te sein? Lohnt es sich in den Bun­ker zu gehen? Bis jetzt sind wir doch glimpf­lich davon gekom­men. Sie hat­te Angst. Angst vor den Bom­ben. Angst vor die­sem Bun­ker. Frü­her, als sie noch klein war, hat­te sie oft auf dem Gelän­de gespielt. Aber da hin­ein­ge­hen. Nein, niemals.
    Sie woll­te nicht. Aber sie muss­te, denn das war die ein­zi­ge Mög­lich­keit, ihr Leben zu schüt­zen. Ihre Fami­lie und Freun­de drän­gel­ten. Beeil Dich, sonst kom­men wir nicht mehr hinein.
    Und Har­ras? Nein Har­ras ist nur ein Hund, der durf­te nicht mit hin­ein. Aber ohne Har­ras zu gehen, das fiel ihr so schwer.
    Sie muss­te ohne ihn gehen. Hin­ein in die­sen Bun­ker. Ein letz­ter Blick, auf die gewohn­te Umge­bung, auf zuhau­se, mein zuhau­se und auf Harras.

    Die Men­schen ström­ten in den Bun­ker. Alle nur das Not­wen­digs­te dabei. Und dann wur­den die Türen geschlos­sen. Dicht neben­ein­an­der gepfercht. Die Angst, die Fas­sungs­lo­sig­keit, den Schre­cken im Gesicht. Stil­le. War­ten. Ab und zu ein lei­ses Wim­mern. Von einem Kind, einem Erwach­se­nen. Wim­mern, beten, Stille.

    Und dann hört man sie kom­men. Man spürt die Bom­ben fal­len. Der Putz rie­selt nie­der. Gedröh­ne, vibrie­ren. Wie lan­ge? Sekun­den, Minu­ten, Stun­den ————- eine Ewigkeit.

    Dann ist es end­lich vor­bei. Erleich­te­rung, das Gefühl, wir leben noch. Wir haben es geschafft. Nur hin­aus. Zurück nach Haus. Die Türen wer­den geöff­net. Ihr könnt alle hin­aus­ge­hen, es ist vorbei.
    Hin­aus, die Türen offen ——-
    Tau­send­mal hat­te sie es sich vor­ge­stellt. Das danach. Und nun hin­aus, aus dem Bun­ker. Das Unvorstellbare.——————

    Der Him­mel knall­rot, mit schwar­zem dicken Rauch. Die gan­ze Stadt brennt. Alles brennt. Kein Haus, das die Sicht nimmt. Alles dem Erd­bo­den gleich. Über­all Feu­er. Selbst die Bis­marck­stra­ße ist nicht begeh­bar. Die Stras­se ist geteert, sie brennt oder ist durch die Hit­ze so auf­ge­weicht, dass man im Teer ver­sinkt und ste­cken­bleibt. Sire­nen krei­schen, vom Hafen her hört man das Tuten eini­ger Schif­fe, end­lo­ses Tuten.
    Nichts ist wie vor­her, bevor sie in den Bun­ker gin­gen. Sie haben alle, alles verloren.
    Aber das Wich­tigs­te ist, dass sie noch alle Leben. Ihre Eltern, ihre Schwes­ter, ihr klei­ner Bru­der und sie Selbst. Aber ihr zuhau­se? Alles ver­lo­ren. Wie so viel Ande­re. Nichts war mehr da. Alles zer­stört. Zu Fuß muss­ten sie flüch­ten. Flüch­ten aus ihrer Stadt, ihrer Hei­mat, ihrem zuhau­se. Das bin­nen weni­ger Minu­ten in Schutt und Asche lag. Und Har­ras? Sie hör­te ihn bel­len. Noch lan­ge Jah­re lang.

    Das Gedicht heißt:

    Der Mor­gen danach

    Ich höre dich erzählen
    Wie so oft schon zuvor
    Spür den Schmerz, dei­ne Angst
    Trä­nen stei­gen empor.

    Von der Nacht dort im Bunker
    Zwi­schen Hof­fen und Bangen
    Nie konn­te der Albtraum
    Aus dei­ner See­le gelangen.

    +
    +
    +

    Mor­gen früh scheint die Sonne
    Alles wird wie­der gut
    Mor­gen früh ist der Krieg aus
    Dar­aus schöpf­test Du Mut.

    Hieltst die Hand Dei­nes Bruders
    Denn er war noch so klein
    Und sag­test zu ihm:
    Ich lass Dich nie­mals allein.

    Bald ist der Angriff vorbei
    Wie es jedes Mal war
    Viel­leicht brennt es ein wenig
    Doch ich bin Dir ganz nah.

    +
    +
    +

    Der Mor­gen danach
    Wie­der hat­tet ihr Glück
    Woll­tet raus aus dem Bunker
    Nach Hau­se zurück.

    Doch der Mor­gen danach
    War unend­lich schwer
    Eure Stadt, eure Heimat
    Es gab sie nicht mehr.

  6. Klaus Dede sagt:

    Ich war neun Jah­re alt, als Weser­mün­de bom­bar­diert wur­de. Ich erleb­te den Angriff im Kel­ler der Ble­xer Pas­to­rei und erin­ne­re mich an das Rau­schen der Stab-Brand­bom­ben und an die Explo­sio­nen der Spreng­bom­ben. Man hat­te mich geweckt, als Alarm gege­ben wur­de, aber schon auf der Trep­pe sah man die “Tan­nen­bäu­me”, mit denen die Flie­ger das Ziel­ge­biet absteck­ten. Kurz bevor die ers­ten Bom­ben fie­len soll eine Frau in das Mikro­phon des Radio­sen­ders geschrie­ben haben: “Groß­an­griff auf Weser­mün­de. Groß­an­griff auf Weser­nünde.” Wir saßen im Kel­ler. Das ers­te Mal erleb­te ich, dass mei­ne Mut­ter Angst hatte.
    Dann erschüt­ter­te eine Luft­mi­ne den Mar­schen­bo­den. Die Pas­to­rei schwank­te wie ein Schiff. Getrof­fen war die Zie­ge­lei, wo angeb­lich Gum­mi für den U‑Bootbau lag. Ent­war­nung wur­de nicht mehr gege­ben. In Eins­war­den wur­de noch die “Kur­ze Stra­ße” zer­stört. Gemeint war offen­bar “Weser­flug”. Als wir wie­der in die Woh­nung kamen — das Haus war unver­sehrt — konn­ten wir die Fens­ter nicht mehr öff­nen. Und danach lag Weser­mün­de eine Woche lang und län­ger unter einer Rauch­wand ver­bor­gen, selbst der Turm der Gro­ßen Kir­che war nicht mehr zu sehen. Noch eine Fra­ge: Erin­nert sich Jemand an das Bau­ge­schäft Hans­sen in der Elbestraße?
    Klaus Dede: *1.Juni 1935 +5. Mai 2018

    • admin sagt:

      Dan­ke, Klaus Dede, das Sie uns an Ihre Erin­ne­run­gen teil­ha­ben las­sen. Augen­zeu­gen­be­rich­te sind durch kei­nen Roman und durch kei­nen Film zu ersetzen.

    • Egon Weihs sagt:

      Ich habe mich erin­nert, an die Bom­ben­an­grif­fe auf Geest­e­mün­de, war gan­ze 10 Jah­re alt. Sind bei mir noch immer in Gedan­ken vorhanden.
      Im gro­ßen habe ich es auch so erlebt wie es Herr Erich Sturk erzählt hat. Mei­ne Eltern und wir Kin­der wir wohn­ten in der Raabe­stra­ße Haus­num­mer 22 ganz oben, haben den ers­ten Angriff in unse­ren Kel­ler erlebt.
      In der Raabe­stra­ße hat­ten wir kei­ne Schä­den, dafür war die Bucht­stra­ße, Grass­hof­stra­ße und an der Müh­le alles platt.
      Den zwei­ten gro­ßen Angriff haben wir im Flach­bun­ker in der Raabe­stra­ße hin­ter der katho­li­schen Schu­le überlebt.
      Haus war total aus­ge­brannt. Die Fol­ge war, Mut­ter mit drei Kin­der in Schwa­ne­we­de verbracht.
      Für die Bom­ben­nacht, bedan­ken wir uns beson­ders, bei Kauf­mann Deh­ning, die Toch­ter hat uns aus dem bren­nen­den Laden die gan­ze Nacht
      mit Lebens­mit­tel versorgt.

  7. Ronny Meyer sagt:

    Ich fin­de es gut, dass es noch Zeit­zeu­gen gibt, die die schlim­men Bom­ben­näch­te in Erin­ne­rung hal­ten. Da, wie dir bekannt ist, ich des öfte­ren Gast der MOS war, füge ich mal ein Bild bei, aus dem zu erse­hen ist, wie prä­zi­se doch die Bom­ben fielen.

    Die Gees­te ist mit ihren Schlei­fen ja wirk­lich ein schma­les Band. Und doch haben sie es fer­tig gebracht, dass nicht eine Bom­be auf die MOS fiel.Ich fin­de, dass kommt auf dem Bild ein­drucks­voll zur Geltung.
    1948 amerik. Admiral in der MOS

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