Café National – einst das vornehmste Café an der Unterweser

Lieb­ha­ber des Bre­mer­ha­ve­ner Tra­di­ti­ons­ca­fé Natio­nal konn­ten es nicht län­ger ertra­gen, dass das Café mehr als zwei Jah­re leer stand. Sie schlos­sen sich zu einer Betriebs­ge­sell­schaft zusam­men, moder­ni­sier­ten die Ein­rich­tung und eröff­ne­ten das Café am 19. Mai 2015 wieder. 

Café National

Man schrieb das Jahr 1874. Auf dem Grund­stück an der nörd­li­chen Ecke der Lloyd­stra­ße zur Bür­ger­meis­ter-Smidt-Stra­ße stand ein Wohn­haus mit einem Tabak­la­den im Erd­ge­schoss. Erst mit der Bebau­ung des benach­bar­ten Grund­stü­ckes Lloyd­stra­ße 38 wur­de der Grund­stein für den Beginn der Gas­tro­no­mie an die­ser Ecke gelegt. Her­mann Kap­pen­burg ver­ei­nig­te näm­lich 1898 bei­de Gebäu­de und ver­pach­te­te sie.

Damit begann das “Zeit­al­ter” des Café Natio­nal, das eine gro­ße Zeit vor sich haben soll­te. Ein A. Eulen­stein ließ die Häu­ser im Jah­re 1904 von der Leher Bau­fir­ma Kist­ner zu einem zwei­ge­schos­si­gen Jugend­stilgebäu­de aus­bau­en und mit einem Kon­zert­saal, einer gro­ßen Gale­rie und einem Bal­kon versehen. 

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Als nach meh­re­ren Eigen­tü­mer­wech­sel Ende der 1930er Jah­re Rudolf Wede­mey­er das Café Natio­nal erwarb, war die Zeit des Jugend­stils schon lan­ge vor­bei, und so ließ er die Jugend­stil­fas­sa­de ent­fer­nen. Wie soviel ande­re Bre­mer­ha­ve­ner Gebäu­de über­leb­te auch das Café Natio­nal den Luft­an­griff vom 18. Sep­tem­ber 1944 nicht. Den­noch war es nicht das Ende des Tra­di­ti­ons­ca­fés: 1955 kauf­te Josef Voß­hans das Grund­stück und bau­te das Café wie­der auf.

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Für die Bre­mer­ha­ve­ner war das Café Natio­nal schon immer ein belieb­ter Treff­punkt. Wer im Archiv der Nord­see-Zei­tung blät­tert, wird über­rascht sein, wie viel Lieb­schaf­ten hier began­nen – und heu­te noch bestehen.

Carl Fried­rich etwa lern­te vor dem Ers­ten Welt­krieg sei­ne Bäckers­toch­ter Emma bei einem Schö­ne-Bei­ne-Wett­be­werb im Café Natio­nal ken­nen und lud sie zu einer Tas­se Kaf­fee ein. Die zwei­te Tas­se Kaf­fee muss­te sie zwar selbst bezah­len, den­noch wur­de geheiratet.

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Und im Juli 1944 hat sich die Säug­lings­schwes­ter Ella aus dem St.-Josef-Hospital mit ihrer Freun­din ins Café Natio­nal auf­ge­macht. Das Lokal war voll, aber an einem Tisch waren noch zwei Plät­ze frei. An dem Tisch saßen zwei Mari­ne­sol­da­ten – einer hieß Niko­laus, der Ella einen Monat nach dem Luft­an­griff zur Frau nahm und mit ihr im Jah­re 2004 Dia­man­ten­hoch­zeit fei­ern konnte.

Die Jugend ging damals ger­ne ins Café Natio­nal, hier hat­te man die Mög­lich­keit, ein Mädel ken­nen­zu­ler­nen. Auch der Mari­ne­sol­dat Fried­rich lern­te 1942 sei­ne Loui­se 1942 hier ken­nen und hei­ra­te­te sie zwei Jah­re später.

Es war eine ande­re Zeit damals. Ein Mäd­chen ein­fach auf der Stra­ße anspre­chen, das ging gar nicht. Aber Matro­se Huber­tus hat sich im kal­ten Win­ter 1943 bis über bei­de Ohren in sei­ne Milch­ver­käu­fe­rin Lisa ver­liebt und sie vorm Café Natio­nal ange­spro­chen, um sie  zu einem wär­men­den Getränk ein­zu­la­den. 1943 wur­de in der Kreuz­kir­che gehei­ra­tet und im Jah­re 2008 die Eiser­ne Hoch­zeit gefeiert.

Das Archiv der Nord­see-Zei­tung ist voll von Lie­bes­ge­schich­ten, die im Café Natio­nal ihren Anfang nah­men. Auch in den 1950er Jah­ren, nach­dem das Café wie­der auf­ge­baut war, lern­ten sich hier vie­le “Hei­rats­wil­li­ge” ken­nen. Jür­gen etwa hat bei Irm­traud einen guten Ein­druck hin­ter­las­sen, als sich die bei­den im Jah­re 1963 im Café Natio­nal das ers­te Mal begeg­ne­ten. Als sie ihm im Jah­re 1965 das Jawort gab, hol­te er sie in einem wei­ßen Zwei­spän­ner ab.

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Im Jah­re 2003 über­nahm das Ehe­paar Manue­la und Hei­ko Blanck das Tra­di­ti­ons­ca­fé. Im Win­ter stell­te der Kon­di­tor­meis­ter sei­ne belieb­ten Sah­ne­tor­ten mit Scho­ko­la­de oder Mar­zi­pan her. Beson­ders nach­ge­fragt wur­de die so lecke­re “Him­mels­tor­te”, ein kuli­na­ri­scher Genuss aus Sah­ne, Zimt und Man­deln. Im Som­mer wur­de Fruch­ti­ges ser­viert: Gebäck-Krea­tio­nen mit Oran­gen, Kir­schen, Sta­chel­bee­ren oder Rhabarber.

Ger­ne wur­den die Lecke­rei­en in der ers­ten Eta­ge ver­zehrt. Aus dem run­den “Bal­kon” konn­te man so schön das Gesche­hen in der Fuß­gän­ger­zo­ne beob­ach­ten. Aber dann wur­de in Gast­stät­ten und Restau­rants das Rau­chen ver­bo­ten. Und die ver­kehrs­rei­che Kreu­zung erlaub­te kei­ne Bewir­tung drau­ßen vor dem Lokal. Trotz der lecke­ren Tor­ten und des guten Früh­stück­an­ge­bo­tes blie­ben nun immer mehr Stamm­gäs­te weg. Am 18. Dezem­ber 2011 schloss Ehe­paar Blanck das his­to­ri­sche Café im Erd­ge­schoss des sie­ben­ge­schos­si­gen Gebäu­des Lloyd­stra­ße 34 für immer ab.

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Aber nach einem hal­ben Jahr Leer­stand kamen Olga und Ner­min Sablji­ca und schlos­sen das Café am 6. Juni 2012 wie­der auf. Und der Eigen­tü­mer tat alles für eine erfolg­rei­che Ent­wick­lung. An dem vom Bre­mer­ha­ve­ner Archi­tek­ten Josef Voß­hans erbau­ten Gebäu­de ließ er die Fas­sa­de mit dem rund­um­lau­fen­den Fens­ter­vor­bau ori­gi­nal­ge­treu sanie­ren.  Außer­dem beauf­trag­te er ein Spe­zi­al­un­ter­neh­men damit, den alten Neon­schrift­zug zu erneuern.

Und Olga Sablji­ca stürz­te sich mit Enga­ge­ment in ihre neue Auf­ga­be. Zehn Mit­ar­bei­ter, aus­schließ­lich gut geschul­tes Fach­per­so­nal, hat­te sie für die Bewir­tung ihrer Gäs­te ein­ge­plant. Zunächst star­te­te sie mit “gro­ßem Enthu­si­as­mus und fünf Voll­zeit­kräf­ten”, um “das ältes­te Café der Stadt zur neu­en Blü­te zu brin­gen”. Ein Kon­di­tor­meis­ter bekam die Auf­ga­be, dem guten Ruf als “Tor­ten­pa­ra­dies” gerecht zu wer­den. Elsäs­ser Flamm­ku­chen, Crê­pes und eine Wein­kar­te soll­ten zusätz­li­che Gäs­te anlocken.

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Aber schnell war die Eupho­rie der ers­ten Tage ver­flo­gen, Rea­li­tät mach­te sich breit. Das Som­mer­ge­schäft brach­te nicht die erhoff­ten Umsät­ze, und auch das schlech­te Herbst­ge­schäft trieb Olga Sablji­ca abends bei der Abrech­nung oft­mals die Trä­nen in die Augen. Eine schein­ba­re Umsatz­wen­de im Win­ter mit sehr guten Besu­cher­zah­len und vie­len Stamm­gäs­ten konn­te das Schick­sal des Café Natio­nal nicht abwen­den. Bereits acht Mona­te nach der Neu­eröff­nung ver­ließ auch Olga Sablji­ca das denk­mal­ge­schüt­ze Café und zog ein letz­tes Mal die Tür hin­ter sich zu.

Aus für die gepfleg­te Kaf­fee­haus­kul­tur”, schrieb die Nord­see-Zei­tung dar­auf­hin resi­gniert am 19. Janu­ar 2013. Und der Deich­SPIE­GEL frag­te am glei­chen Tag: “Wo soll man nun sei­nen tra­di­tio­nell gefil­ter­ten Kaf­fee trinken?”

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Ist die alte Kaf­fee­haus­kul­tur tot? Wird der einst­mals von unse­ren Groß­el­tern und Urgroß­el­tern so kost­ba­re und geschätz­te Fil­ter­kaf­fee nur noch als “Lat­te” oder als “cofee to go” in bil­li­gen Papp­be­chern aus­ge­schenkt und schnell über den The­re­sen gereicht, um ihn im Vor­über­ge­hen zu trinken?

Heu­ti­ge Cafés haben mit der Atmo­sphä­re frü­he­rer Kaf­fee­häu­ser nichts gemein­sam, der dama­li­ge Zeit­geist ist längst ver­flo­gen. Nie­mand betritt mehr ein Café, um sich für wenig Geld auf­zu­wär­men. Nie­mand mehr sucht hier einen Dis­kus­si­ons­part­ner, um mit ihm über die Unge­rech­tig­kei­ten die­ser Welt zu diskutieren.

Gesprä­che wer­den längst über Face­book und Co. geführt – auch in Cafés. Zwar trifft man hier auch heu­te noch die schlau­en und ach so gebil­de­ten Leu­te an – auf unbe­que­men Sche­meln kau­ernd schie­ben sie ihre Muf­fins in sich hin­ein, ja nicht den Blick von ihrem smart­phone, ipho­ne oder tablet neh­mend. Ich fin­de, Boris Pofalla trifft den Nagel auf den Kopf, wenn er im “Cice­ro” so tref­fend schreibt: “Aus einer Ver­wahr­stel­le für Intel­lek­tu­el­le und Bohe­mi­ens sind Aqua­ri­en für digi­ta­le Autis­ten gewor­den.” Und ein paar Absät­ze wei­ter stellt er fest: “Euro­pas Geis­tes­ge­schich­te ist aber nicht denk­bar ohne den besin­nungs­lo­sen Miss­brauch von Kof­fe­in, vom 17. Jahr­hun­dert an bis in die Gegenwart.”

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Nach die­sem klei­nen Exkurs über das Damals und Heu­te nun aber wie­der zurück zu unse­rem Café Natio­nal. Wie ich ein­gangs bereits schrieb, gibt es in Bre­mer­ha­ven eine Hand­voll Lokal­pa­trio­ten, die den alten Treff­punkt Tra­di­ti­ons­ca­fé wie­der­be­le­ben wol­len. Aller­dings wol­len sie das bis­he­ri­ge Kon­zept, mit dem bereits die Vor­päch­ter geschei­tert sind, fort­füh­ren: Mor­gens wird eine klei­ne Früh­stücks­kar­te mit selbst gemach­ten Mar­me­la­den, Cup Cakes und Muf­fins ange­bo­ten. Die Bröt­chen stam­men nicht vom Bäcker son­dern aus der Tief­kühl­tru­he. Ich has­se lang­wei­li­ge Auf­back­bröt­chen. Ich mag sie ein­fach nicht, die­se krü­me­li­gen luft­ge­füll­ten Teig­hül­len, die nach nichts schmecken.

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Mit­tags kann man aus ver­schie­de­nen Sala­ten wäh­len oder eine Sup­pe oder eine Piz­za ordern. Nach­mit­tags füllt man sich den bauch dann mit Flamm­ku­chen, Bruschet­ta und Oli­ven. Mei­ne Güte, wie gäh­nend lang­wei­lig. Und das die gelern­te Patis­siè­re schon mal für Star­koch Eck­art Wit­zig­mann Fein­ge­bäck her­ge­stellt haben soll, das haut mich auch nicht vom Hocker und macht mich ganz gewiss nicht neu­gie­rig auf das Café. Aber Lesun­gen, Rezi­ta­tio­nen, Kaba­rett, Chan­sons…, so machen es ande­re längst erfolg­reich vor, so wür­de auch ich neu­gie­rig wer­den. Und da ich mir an einem Sams­tag Nach­mit­tag nichts Schö­ne­res vor­stel­len kann, als einen guten Kaf­fee trin­ken zu gehen, wür­de ich bestimmt ganz vor­ne in der Schlan­ge stehen.

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Toll fin­de ich, dass ein Kaf­fee eines alt­ehr­wür­di­gen Unter­neh­mens zum Aus­schank kommt. Die Juli­us-Meinl AG, gegrün­det im Jah­re 1862, bürg­te schon in der k.u.k. Mon­ar­chie für Qua­li­tät. Aber bit­te, lie­bes Natio­nal-Team, brüht den Kaf­fee nach her­kömm­li­cher Art auf, und fil­tert ihn.

Ja, ich weiß, bei Fil­ter­kaf­fee denkt man unwill­kür­lich Häkel­deck­chen und Wür­fel­zu­cker und an die Besu­che bei Oma oder bei Schwie­ger­mut­ter, bei denen der Fil­ter­kaf­fee tief­schwarz die Kan­ne ver­ließ und, kaum getrun­ken, den Magen mit Sod­bren­nen mal­trä­tier­te. Aber wenn man einen frisch gemah­le­nen Meinl-Kaf­fee mit nicht mehr kochen­dem Was­ser auf­brüht, rückt der Kaf­fee sei­ne köst­li­chen Inhalts­stof­fe raus und ent­fal­tet ein unver­gess­li­ches Aroma.

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Ach, ich mer­ke es, ich schwei­fe schon wie­der ab. Also retour ins Café Natio­nal. Da kann man sich per Fahr­stuhl in den ers­ten Stock beför­dern las­sen. Eine tol­le Sache für geh­be­hin­der­te Men­schen, die auch mal ger­ne auf die Köp­fe der Bre­mer­ha­ve­ner Bür­ger schau­en möchten.

Ich wün­sche dem Team vom Café Natio­nal jeden­falls viel Glück und erfolg­rei­che Geschäf­te. In der Nacht vom ver­gan­ge­nen Frei­tag auf Sams­tag hat ein gro­ßer Was­ser­scha­den  Euer frisch sanier­tes Café lahm­ge­legt. Das ist sehr ärger­lich, auch wenn Ihr gegen sol­che Ele­men­tar­schä­den ent­spre­chend ver­si­chert seid. Aber ich bin sicher, die­se “klei­ne Stö­rung” wird Euch zwar brem­sen, aber sie wird Euch nicht auf­hal­ten. 
Quel­len:
Nord­see-Zei­tung vom 9.10.2004:  Die Hei­rat war mein Lebens­ret­ter
Nord­see-Zei­tung vom 21.10.2004:  Reden als Rezept für 60 Jah­re Lie­be
Nord­see-Zei­tung vom 4.11.2004: Vor­nehms­tes Café der Unter­we­ser­or­te
Nord­see-Zei­tung vom 2.2.2007: Ein Stück Paris in Bre­mer­ha­ven
Nord­see-Zei­tung vom 3.7.2008: Ange­quatscht, lieb gehabt, durch­ge­hal­ten
Nord­see-Zei­tung vom 9.12.2011: Lie­be erkal­tet. Café Natio­nal schließt
Nord­see-Zei­tung vom 30.5.2012: Neu­es Leben im Natio­nal
Nord­see-Zei­tung vom 19.1.2013: Aus für die gepfleg­te Kaf­fee­haus­kul­tur
Nord­see-Zei­tung vom 28.9.2013: Die schö­nen Bei­ne waren schuld dar­an
Nord­see-Zei­tung vom 8.4.2015: Bräu­ti­gam fuhr mit der Kut­sche vor
Nord­see-Zei­tung vom 9.5.2015:
Lokal­pa­trio­ten bele­ben das “Café National”

2 Antworten

  1. Frauke Casey sagt:

    Mein Mann war bei der Army und wir haben uns in
    Bre­mer­ha­ven ken­nen gelernt. Das Café Natio­nal war
    fuer mei­nen Mann ein­fach so super, dass wir dort in 1969
    unse­re Hei­rats­pa­pie­re im 2 Stock­werk ausfuellten.
    Im Maerz 1970 fei­nern wir Gol­de­ne Hochzeit.
    Ich wuen­sche dem Café Natio­nal viel Glueck.

  2. Hans Jörg Mende sagt:

    Und seit Anfang Juli 2016 ist das Cafe Natio­nal wie­der dau­er­haft geschlossen. 

    Erst sagt man bis Anfang Sep­tem­ber, nun soll es nicht mehr öffnen. 

    Ich hof­fe da ist das letz­te Wort noch nicht gespro­chen. Ich war das eine Jahr, sehr ger­ne und oft Gast im National.

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