Amerikaner in Bremerhaven — Folge 2

Als bri­ti­sche Trup­pen der 51. High­land Divi­si­on am 7. Mai 1945 Weser­mün­de besetz­ten, fan­den sie eine Stadt vor, die einem rie­si­gen Trüm­mer­hau­fen glich. Und eine Bevöl­ke­rung, die gro­ße Not litt. Die kei­ne Lebens­mit­tel hat­ten und deren Woh­nun­gen durch Luft­an­grif­fe zer­stört wurden.

1945-05-07 Einmarsch britischer Truppen in Wesermünde

Am 29. Mai 1945 brach­te ein ame­ri­ka­ni­scher Kriegs­be­richt­erstat­ter sei­ne ers­ten Ein­drü­cke über von Weser­mün­de zu Papier: “Eine vier­tel Mei­le vom Hafen ist die Stadt gänz­lich dem Erd­bo­den gleich­ge­macht.” Die völ­lig zer­stör­ten Stra­ßen­zü­ge waren nicht mehr wie­der­zu­er­ken­nen. Nur die Hafen­an­la­gen wur­den von den Bom­ben der alli­ier­ten Flug­zeu­ge bewusst ver­schont, weil die US-Trup­pen sie als Nach­schub­ha­fen für die Zeit nach Kriegs­en­de benötigten.

Zwar war Weser­mün­de schon am 15., 18. und 24. Juni 1944 Ziel grö­ße­rer alli­ier­ter Bom­ben­an­grif­fe, bei denen über 1.000 Spreng- und Brand­bom­ben nie­der­gin­gen. Aber ihren Höhe­punkt soll­ten die Luft­an­grif­fe am Abend des 18. Sep­tem­ber 1944 errei­chen. Nur 20 Minu­ten dau­er­te der Bom­ben­an­griff, dann waren der Stadt­teil Weser­mün­de-Mit­te zu 97 Pro­zent zer­stört, Geest­e­mün­de zu 75 Pro­zent und Lehe zu 12 Pro­zent. 2670 Gebäu­de waren völ­lig zer­stört, 369 schwer und 1491 leicht beschä­digt. 618 Per­so­nen ver­lo­ren ihr Leben und 30.000 wur­den obdachlos.

1945-05-12 51. Highland Division in Wesermünde

Mit Beginn der Kapi­tu­la­ti­ons­ver­hand­lun­gen im Haupt­quar­tier Mont­go­me­rys began­nen auch im Raum Weser­mün­de Waf­fen­still­stands­ver­hand­lun­gen. Als am 05. Mai 1945 die Wehr­macht in Nord­west­deutsch­land kapi­tu­lier­te, kehr­te auch in Weser­mün­de end­lich die Waf­fen­ru­he ein. Die Men­schen erkann­ten, dass der Krieg ver­lo­ren war und woll­ten den­noch nicht ohne Hoff­nung blei­ben. So emp­fan­den vie­le den von Dudel­sä­cken beglei­te­ten Ein­marsch der 51. High­land Divi­si­on in Weser­mün­de als Befrei­ung von der Nazi-Dik­ta­tur und auch als Erlö­sung von Flie­ger­alarm und Luft­an­grif­fen und von Tod, Angst und Leid.

1945-05-07 letzte Ausgabe der Nordwestdeutschen Zeitung

Nach Kriegs­en­de ver­bot die Mili­tär­re­gie­rung wei­te­re Aus­ga­ben der Nord­west­deut­schen Zei­tung. Am 7. Mai 1945 erschien die letz­te Aus­ga­be der Nord­west­deut­schen Zei­tung. Die bri­ti­sche Mili­tär­be­hör­de gab eine ers­te “Anord­nung für die Bevöl­ke­rung” bekannt:

1. Mit sofor­ti­ger Wir­kung und bis auf Wider­ruf müs­sen alle Zivil­per­so­nen in den Häu­sern blei­ben. Auf Per­so­nen, die die­sem Befehl zuwi­der han­deln, kann ohne Anruf geschos­sen werden.
2. Nach 24 Stun­den wird  die Zivil­be­völ­ke­rung über etwa­igen Nach­laß die­ses Befehls unter­rich­tet werden.
3. Haus­vor­stän­de müs­sen sofort eine Lis­te mit Vor- und Zuna­men, Geburts­da­tum, Geschlecht und Beschäf­ti­gung aller Haus­ein­woh­ner an ihren Haus­tü­ren anbringen.
4. Eine ähn­li­che Lis­te aller Schuß­waf­fen und Muni­ti­on ist von den Haus­vor­stän­den an ihren Haus­tü­ren anzubringen.
5. Das Ver­ber­gen oder Beher­ber­gen von Ange­hö­ri­gen der deut­schen Streit­kräf­te ist eine straf­ba­re Handlung.
6. Per­so­nen, die die­sen Anord­nun­gen zuwi­der han­deln, kön­nen gericht­lich ver­folgt und nach Schul­dig­erklä­rung zu jeder gesetz­li­chen Stra­fe, ein­schließ­lich Todes­stra­fe, ver­ur­teilt werden.

Gegen 17 Uhr über­gab Ober­bür­ger­meis­ter Deli­us die Ver­wal­tung der Stadt bri­ti­schen Offi­zie­ren. Als kur­ze Zeit spä­ter die Stadt der ame­ri­ka­ni­schen Besat­zungs­zo­ne zuge­teilt wur­de, über­ga­ben die Eng­län­der die Stadt am 12. Mai 1945 mit einer Mili­tär­pa­ra­de an die 29. Divi­si­on der Ame­ri­ka­ner. Fort­an führ­te die ame­ri­ka­ni­sche Mili­tär­re­gie­rung die Ver­wal­tung der Stadt, die den Besat­zern als “Port of Embar­ka­ti­on” die­nen soll­te, um die Ver­sor­gung ihrer haupt­säch­lich in Süd­deutsch­land sta­tio­nier­ten Ver­bän­de über den See­weg abwi­ckeln zu können.

1945-05-12 Victoriamarsch 51. Highland Division in Wesermünde

Die Sol­da­ten bezo­gen die Leher Kaser­nen­ge­bäu­de und die Mari­ne­schu­le. Für ihre Offi­zie­re beschlag­nahm­ten die Ame­ri­ka­ner 680 Weser­mün­der Woh­nun­gen und ver­schärf­ten damit die ohne­hin bereits herr­schen­de Woh­nungs­not, was die Bevöl­ke­rung mit gro­ßem Unver­ständ­nis aufnahm.

Ein Groß­teil der Men­schen, die durch den Bom­ben­an­griff im Sep­tem­ber 1944 obdach­los wur­den, konn­ten nur das ret­ten, was sie am Lei­be tru­gen. Selbst ihre Klei­dung war ver­lo­ren, was in Anbe­tracht des bevor­ste­hen­den Win­ters eine Kata­stro­phe war. Auch an Schu­hen fehl­te es, und vie­le Kin­der muss­ten bar­fuß gehen.

Aber mit den Besat­zern kamen auch die ers­ten “Arbeits­plät­ze” wie­der nach Weser­mün­de. Frau­en began­nen Wäsche für die Ame­ri­ka­ner zu waschen. Wer für Sol­da­ten Dienst­leis­tun­gen erbrach­te, konn­te damit rech­nen, dass er mit einem Dan­ke­schön in Form von Ziga­ret­ten, Scho­ko­la­de oder Sei­fe bedacht wur­de. Alles sehr kost­ba­re Güter: Die­se “Ersatz­wäh­rung” konn­te man in den Dör­fern – oder im Stadt­park — gegen Obst, Gemü­se und ande­re Lebens­mit­tel eintauschen.

1947 Vor dem Marinelazarett

Die Ame­ri­ka­ner waren sehr kin­der­lieb und schenk­ten den Kin­dern stän­dig irgend­wel­che Nasche­rei­en wie Hers­hey-Scho­ko­la­de, Can­dies, But­ter­fin­ger-Rie­gel und Eis­creme. In sei­nem Buch “16 Jah­re – 16 Leben, Die ame­ri­ka­ni­sche Sei­te Bre­mer­ha­vens” beschreibt Mar­co Butz­kus hier­zu eine Erinnerung:

Der Sol­dat… kam nach kur­zer Zeit mit einem geschlos­se­nen Last­wa­gen zurück. Er öff­ne­te den Lade­raum und fing damit an, 5‑Li­ter-Dosen an uns Kin­der zu ver­tei­len, das waren bestimmt zwan­zig Stück und dar­in war Eis­creme. Sobald jedoch eines der Kin­der eine der Dosen hat­te, rann­te es damit zum nächs­ten Haus­ein­gang und klin­gel­te. Die ers­te an der Tür erschei­nen­de Per­son bekam die Dose mit den Wor­ten” Schnell esse – Eis­creme” , in die Hand gedrückt. Der Sol­dat schau­te sich das Trei­ben sehr spar­sam an und frag­te dann, war­um das getan wur­de. Die Kin­der erklär­ten ihm, dass sie das nicht auf­be­wah­ren könn­ten, weil die Deut­schen kei­ne Kühl­schrän­ke hät­ten. Der guck­te völ­lig ent­setzt und frag­te wirk­lich, wie wir ohne Kühl­schrank leben könnten.

1951 Ankunft 28. Infantrie Division in Bremerhaven

Vie­le Kin­der trans­por­tier­ten die gewa­sche­ne Wäsche mit einem Hand­kar­ren an die Sol­da­ten zurück. Auch der damals zehn­jäh­ri­ge Wer­ner Mohr lie­fer­te für sei­ne Mut­ter Wäsche aus. Als ein GI sieht, dass der Jun­ge bar­fuß ist, schenkt er ihm Schuh­creme und gibt ihm den Rat, für die Offi­zie­re Schu­he zu putzen.

Spä­ter beginnt Wer­ner, neben sei­ner Tisch­ler­leh­re als Cad­die auf dem Golf­platz der Sta­ging Area Wed­de­war­den zu arbei­ten. Hier schleppt er die Taschen der Gol­fer über den Platz und sam­melt Golf­bäl­le ein und ver­kauft sie. Er ver­dient gut mit die­ser Arbeit: Gera­de 18 Jah­re alt, lässt er sich für 180 Mark einen Maß­an­zug schnei­dern. Wer­ner Mohr hat vie­le Freund­schaft mit ame­ri­ka­ni­schen Sol­da­ten geschlos­sen. Die meis­ten hat er nach dem Abzug der Ame­ri­ka­ner aus den Augen ver­lo­ren, doch eine Freund­schaft hat die Jahr­zehn­te über­dau­ert – und hält bis heu­te an.

1946 Columbus Kai Bremerhaven

Als in den USA bekannt wur­de, dass in Euro­pa vie­le Men­schen hun­gern müs­sen, grün­de­ten am 27.11.1945 ame­ri­ka­ni­sche Wohl­fahrts­ver­bän­de die Hilfs­or­ga­ni­sa­ti­on CARE, und im August 1946 tra­fen die ers­ten CARE-Pake­te in Weser­mün­de ein. Im Okto­ber 1947 kamen in Bre­mer­ha­ven 12.000 Pake­te von Freun­den, Ver­wand­ten und Bekann­ten per Schiff an und ver­sorg­ten ihre Emp­fän­ger mit Kon­ser­ven, Milch­pul­ver, Süßig­kei­ten und Bekleidung.

Für vie­le Kin­der war die von den Ame­ri­ka­nern geför­der­te “Schul­spei­sung” die ein­zi­ge war­me Mahl­zeit am Tag. Für das ers­te Weih­nachts­fest nach dem Krie­ge haben haben sich die Ame­ri­ka­ner etwas Beson­de­res aus­ge­dacht: Etwa 800 Schul­kin­der wur­den zu einer Fei­er ein­ge­la­den und beschenkt. Wer­ner Mohr konn­te ein dickes kana­di­sches Woll­hemd aus­pa­cken. In der Hemd­ta­sche fand er einen Zet­tel mit der Anschrift des Absen­ders aus Illi­nois. Es ent­wi­ckel­te sich eine enge lang­jäh­ri­ge Brieffreundschaft.

Kasernengelaende

Mit der Ankunft der Ame­ri­ka­ner ging es hier wie­der Stück für Stück berg­auf“, erwähn­te eine heu­te 82-Jäh­ri­ge, die in ihrem CARE-Paket schwar­ze Lack­schu­he für ihre Kon­fir­ma­ti­on fand, gegen­über de Nordsee-Zeitung.
Quel­len:
Mar­ti­na Albert: Vom Wäsche­jun­gen bis zum…, Nord­see-Zei­tung vom 10.3.2015
Mar­ti­na Albert: Neu­an­fang in einer zer­stör­ten Stadt,
Nord­see-Ztg. vom 9.1.2015
Har­ry Gab­cke: Bre­mer­ha­ven in zwei Jahr­hun­der­ten , 1919 – 1947, Sei­te 133+134
Mar­co Butz­kus:
16 Jahre–16 Leben, Die ame­ri­ka­ni­sche Sei­te Bre­mer­hav, Sei­te 16
www.schuenemann-verlag.de
www.usarmygermany.com
www.wikipedia.org

5 Antworten

  1. admin sagt:

    Es gibt ein sehr schö­nes Buch von Mar­co Butz­kus, der Titel lau­tet: “16 Jah­re — 16 Leben, die ame­ri­ka­ni­sche Sei­te Bre­mer­ha­vens”. Das Buch ist im Jah­re 2014 erschie­nen im Carl Schü­ne­mann Verlag. 

    Auf den Sei­ten 16 und 17 berich­tet ein Zeit­zeu­ge: “…am 20. Mai, über­ge­ben die Schot­ten die Stadt an die Ame­ri­ka­ner (an die 29. Infan­te­rie­di­vi­si­on), die den Hafen der Stadt zur Ver­sor­gung ihrer Trup­pen in Süd­deutsch­land brau­chen. Die zere­mo­ni­el­le Über­ga­be fin­det am 20. Mai im Rah­men einer gro­ßen Para­de von bri­ti­schen und ame­ri­ka­ni­schen Trup­pen am Frei­ge­biet statt, die sich fast ganz Bre­mer­ha­ven anschaut…”.

  2. Georg Krutwig sagt:

    Sehr geehr­ter Herr Schwiebert,

    beim Durch­le­sen der o,g, Fol­ge fiel mir auf, dass eine Bild­un­ter­schrift die Über­ga­be an die Ame­ri­ka­ner mit dem 12.Mai 1945 datiert. Soweit mir bekannt fan­den zwei Para­den statt. Die ers­te am 12.Mai 1945 = Vic­to­ry Para­de der 51 th High­land Divi­si­on und die Zwei­te am 20. Mai 1945= Über­ga­be der Stadt von den Eng­län­dern an die Ame­ri­ka­ner der 29. Divi­si­on. Dazu hier ein Link, der das Gesche­hen bestätigt: 

    https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Pipers_of_the_51st_Highland_Division_play_during_the_ceremony_to_mark_the_handover_of_Bremerhaven_in_Germany_to_American_forces,_20_May_1945._BU6560.jpg

    Hier noch ein zwei­ter Link:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_Bremerhavens

    Dort ist eine Auf­nah­me zu sehen, wo brit. und ame­ri­ka­ni­sche Offi­zie­re eine Para­de abneh­men. Die Para­die­ren­den unter­schei­den sich deut­lich von den­je­ni­gen, die am 12.Mai an der aus­schließ­lich bri­ti­schen Para­de teil­nah­men (sie­he auch den Film über die Vic­to­ry Para­de auf You Tube).

    In der Kür­ze habe ich jetzt kei­ne wei­te­ren Quel­len ausgemacht.
    Soll­te ich mich irren, so las­sen Sie mich es wissen.

    Mit freund­li­chen Grüssen
    Georg Krutwig

    • admin sagt:

      Sehr geehr­ter Herr Krutwig,

      ganz gro­ßen Dank für die inter­es­san­ten Infor­ma­tio­nen. Und beson­de­ren Dank dafür, dass Sie mei­nen Deich­SPIE­GEL so wertschätzen.

      Ich habe nun den gan­zen Abend ver­sucht, Klar­heit für die Bild­un­ter­schrift zu fin­den. Das Bild nebst Beschrei­bung stammt aus dem Archiv von Tom Renouf, ich konn­te es nicht wiederfinden. 

      Aller­dings schreibt die Feu­er­wehr Bre­mer­ha­ven auf ihrer Home­page https://www.feuerwehr-bremerhaven.de/index.php/us-army-feuerwehr.html
      fol­gen­des: … Mit einer Mili­tär­pa­ra­de über­ga­ben die Eng­län­der die Stadt am 12. Mai an die 29. Divi­si­on der Amerikaner.

      Freund­li­che Grüße
      Her­mann Schwiebert

      • admin sagt:

        Sehr geehr­ter Herr Krutwig,

        mög­li­cher­wei­se mel­den sich hier ja noch Leser zu Wort, die uns mit wei­te­ren Infor­ma­tio­nen hel­fen können.

        Lie­be Grü­ße aus Bremerhaven
        Her­mann Schwiebert

      • Georg Krutwig sagt:

        Sehr geehr­ter Herr Schwiebert,

        ich habe mir noch­mals Fotos und Film­ma­te­ri­al angesehen.

        In You Tube sind Auf­nah­men von der brit. Wochen­schau Bri­tish Pathe´und von AP eingestellt.
        Die­se zei­gen Gene­ral Hor­rocks am 12.05.1945 solo auf dem Podest, wel­ches nur mit der brit. Flag­ge geschmückt ist.
        Die Auf­nah­men von AP zei­gen im letz­ten Drit­tel, dass hin­ter Gene­ral Hor­rocks nur brit. Offi­zie­re stehen.

        Die Auf­nah­me in Wiki­pe­dia – Geschich­te Bre­mer­ha­vens – zeigt den Gene­ral Hrrocks u.a. mit Gene­ral­ma­jor H. A. McMil­lan (GB) und Gene­ral­ma­jor C. H. Ger­hardt (USA), sowie dahin­ter zwei wei­te­re US Offi­zie­re und ein Bri­ti­scher ohne Namensangabe.
        Auch die Zuschau­er auf dem rech­ten Gebäu­de­dach sind in bei­den Fäl­len unterschiedlich.

        Für mich bedeu­tet die­ses, dass es zwei Para­den gege­ben hat.

        Mit freund­li­chen Grüssen
        Georg Krutwig

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