Kategorie: Bremerhaven damals und heute

Die Schicksalsfahrt des Geestemünder Heringsdampfers “Friedrich Albert”

Die Schick­sals­fahrt des Geest­e­mün­der Herings­damp­fers “Fried­rich Albert”

Am 10. Febru­ar 1903 mel­de­te die Nord­west­deut­sche Zeitung:
Geest­e­mün­de: Herings­damp­fers “Fried­rich Albert”, der hie­si­gen Herings- und Hoch­see­fi­sche­rei-Akt-Ges. gehö­rig, ist in der Nacht vom 13. zum 14. Janu­ar zum Frisch­fisch­fang nach Island in See gegan­gen und ist bis heu­te weder zurück­ge­kehrt, noch von irgend­ei­nem ande­ren Damp­fer oder Fahr­zeug wäh­rend die­ser Zeit gese­hen wor­den. Es muß daher mit ziem­li­cher Bestimmt­heit ange­nom­men wer­den, daß der “Fried­rich Albert” gleich dem “St. Johann” dem vom 13. bis 17. Janu­ar im größ­ten Tei­le der Nord­see vor­herr­schend gewe­se­nen Süd­west­sturm zum Opfer gefal­len ist. Der Damp­fer hat­te 12 Mann Besat­zung, dar­un­ter in Kapi­tän Büschen einen tüch­ti­gen erfah­re­nen Führer…

Heringsdampfers "Friedrich Albert"

Am 19. Febru­ar 1903 mel­de­te die Thor­ner Pres­se:
Der ver­miß­te Herings­damp­fer “Fried­rich Albert” ist nach einem Tele­gramm aus Leith an der Süd­küs­te Islands gestran­det und total wrack gewor­den. Der Steu­er­mann, der ers­te Maschi­nist und ein Mann der Besat­zung, des­sen Name noch nicht fest­ge­stellt ist, sind ums Leben gekom­men. Die übri­gen neun Mann der Besat­zung wur­den gerettet.

Heringsdampfers "Friedrich Albert"

Am 15. April 1903 mel­de­te die Tages­zei­tung India­na Tri­bü­ne:
Geest­e­mün­de: An der Süd­küs­te von Island ist der hie­si­ge Herings­damp­fer “Fried­rich Albert” gestran­det und total wrack gewor­den. Der Steu­er­mann, der ers­te Maschi­nist und ein Matro­se unbe­kann­ten Namens sind um’s Leben gekom­men. Die ande­ren neun Per­so­nen der Besat­zung wur­den geret­tet. Die Namen des ertrun­ke­nen Steu­er­manns bzw. des Maschi­nis­ten sind Rudolph Bojahr und Her­mann Stick­ler, bei­de von hier.

Heringsdampfers "Friedrich Albert"

Auch die in Glei­witz her­aus­ge­brach­te Zei­tung Der ober­schle­si­sche Wan­de­rer berich­te­te über einen im glei­chen Win­ter ver­miß­ten Herings­damp­fer. Die “Georg Adolf” ist eben­falls von einer Fan­g­rei­se nicht zurück­ge­kehrt und wahr­schein­lich untergegangen.

Heringsdampfers "Friedrich Albert"

Das Seeamt Bremerhaven

Was war gesche­hen? Das hat das See­amt Bre­mer­ha­ven in einer Unter­su­chung am 3. Okto­ber 1903 fest­ge­stellt. Die Unter­su­chung war ein­fach, kom­pli­zier­te Tat­be­stän­de gab es nicht. An die­sem Tag wur­den sechs See­amts­sprü­che gefällt, es gab kei­ne Schuld­sprü­che, kei­ne Paten­te wur­den entzogen.

Auf den Zuhö­rer­bän­ken saßen die Müt­ter und Frau­en der Besat­zungs­mit­glie­der von sechs Fisch­damp­fern. Die See­amts­sprü­che ste­hen in den Akten des See­am­tes von Bre­mer­ha­ven. Die Urtei­le wei­chen kaum von­ein­an­der ab. Das Schick­sal von 65 See­leu­ten wur­de an die­sem Tage geklärt. Ihre Schif­fe sind in Orka­nen gesun­ken, die in den Win­ter­mo­na­ten des Jah­res 1903 in gna­den­lo­ser Hef­tig­keit den Atlan­tik aufpeitschten.

Es war der Fisch­damp­fer “St. Johann”, der am 3. Janu­ar den Fische­rei­ha­fen von Geest­e­mün­de ver­las­sen hat, um vor Island zu fischen. Am 13. Janu­ar 1903 hat­te der deut­sche Fisch­damp­fer “Sophie” vor Island Sicht­kon­takt mit der “St. Johann”. Dann ver­lor sich jede Spur, das Schiff galt als ver­schol­len. Aber auch die Fisch­damp­fer “Balt­rum” (auf Fan­g­rei­se nach Island), die “Georg Adolf” (zuletzt unter Island gesich­tet), die “Neck” (Fan­g­rei­se in der Nord­see), die “Kom­man­dant” (zuletzt nörd­lich von Horn­riff gesich­tet), die Ura­nus (Fan­g­rei­se in der Nord­see) gin­gen ver­lo­ren, blie­ben verschollen.

Der islän­di­sche Fil­me­ma­cher Magnús Magnús­son möch­te in einem Spiel­film die Geschich­te der Män­ner des Herings­damp­fers “Fried­rich Albert” erzäh­len. Seit Jah­ren ist er in Archi­ven unter­wegs, damit die Geschich­te mög­lichst authen­tisch wird. Nach mehr als 117 Jah­ren hat er noch Nach­fah­ren der See­leu­te auf­spü­ren kön­nen, die 1903 mit dem Herings­damp­fer “Fried­rich Albert” vor Island gestran­det sind.

Das Schiff und seine Besatzung:

Heringsdampfer "Friedrich Albert"

Fried­rich Albert PG 58“ (PG steht für Preu­ßen Geest­e­mün­de) Bau­jahr 1898
Ree­de­rei Geest­e­mün­der Herings- und Hoch­see­fi­sche­rei AG
Unter­schei­dungs­si­gnal KRHV
192,88 Regis­ter­ton­nen, Län­ge 39,18 m, Brei­te 6,45 m, Tie­fe 3,28 m.
3fach Expan­si­ons­dampf­ma­schi­ne, 320 PS
Kapi­tän Georg Büschen
Steu­er­mann Rud. Bojahr (Best­mann ohne Patent)
1. Maschi­nist H. Stickler
2. Maschi­nist Carl Merker
Assis­tent Emil Lange
Hei­zer Fritz Wutzow
Netz­ma­cher F. Nahrwold
Matro­se Richard Richter
Matro­se F. Hage­mei­er, War­ber (ver­mut­lich Vater von Ernst Hagemeier)
Matro­se August Pitt­ke, Rusbend
Matro­se W. Wesemann, Haselhorn
Koch Wilh. Wilke

Die Abreise

Heringsdampfer "Friedrich Albert" aus Geestemünde

Am 13. Janu­ar 1903 liegt der Fisch­damp­fer “Fried­rich Albert” an der Kaje in der Gees­te. Auf dem erst fünf Jah­re alten Hering­s­traw­ler wer­den die letz­ten Vor­be­rei­tun­gen für die anste­hen­de Fan­g­rei­se vor Island getrof­fen. Es ist früh­mor­gens um 3 Uhr, als der knapp 40 Meter lan­ge Fisch­damp­fer am 14. Janu­ar 1903 ablegt und den Hafen von Geest­e­mün­de hin­ter sich läßt. An Bord sind der 34 Jah­re alte Kapi­tän Georg Buschen, der Steu­er­mann Rud. Bojahr und zehn wei­te­re See­leu­te. Eine Drei­fach-Expan­si­ons­dampf­ma­schi­ne treibt das Schiff mit 320 PS auf die See hinaus.

Die Strandung

Der Segen des Meeres wird geborgen

Am 18. Janu­ar stand der Damp­fer vor der Süd­west­spit­ze von Island vor Kap Port­land (heu­te Dyr­hólaey) und begann um 11.30 Uhr mit dem Schlepp­netz­fi­schen. Die Aus­beu­te war nur gering. Die “Fried­rich Albert”  der “Geest­e­mün­der Herings- und Hoch­see­fi­sche­rei AG” woll­te am nächs­ten Abend einen ande­ren Fang­platz aufsuchen.

Für das See­gei­et bei Port­land gab es weder ver­läß­li­chen See­kar­ten noch hat­te man Anga­ben über die ört­lich vor­herr­schen­den stark auf­lan­di­gen Strö­mungs­ver­hält­nis­se. Die Was­ser­tie­fe wur­de mit einem Hand­lot gemes­sen. Bedingt durch die Win­ter­zeit gab es nur weni­ge Stun­den Tageslicht.

Steu­er­mann Bojahr hat­te an die­sem Abend Wache. Der zunächst mäßi­ge Wind ent­wi­ckel­te sich spä­ter zu einem Sturm aus süd­li­cher Rich­tung und brach­te Schnee, Hagel und Lava­sand mit. Gleich­ze­iti­ig ver­setz­te eine star­ke Strö­mung das Schiff. Irgend­wann nach 21 Uhr bemerk­te der Steu­er­mann, daß der Damp­fer in einen Sog gera­ten ist, der ihn immer stär­ker Rich­tung Küs­te zieht. Für Gegen­maß­nah­men ist es längst zu spät. Gegen 21.45 Uhr kam die “Fried­rich Albert” fest und wur­de von der anrol­len­den See quer auf den Strand geworfen.

Unab­läs­sig krach­te die gewal­ti­ge Bran­dung auf den Herings­damp­fer und zer­schlug das Ret­tungs­boot. Schutz­su­chend kau­er­ten sich die Män­ner hin­ter dem Brü­cken­haus an Deck. Doch als der Maschi­nen­raum über­flu­tet wur­de, muß­te das Schiff auf­ge­ge­ben wer­den. Die Besat­zung ret­te­te sich auf den Strand.

Teil­wei­se nur mit Unter­wä­sche beklei­det, ver­such­ten die Män­ner zwei Tage lang, fes­tes Land zu errei­chen. Doch Sumpf, Lava­sand und stark strö­men­des Glet­scher­was­ser konn­ten sie nicht über­win­den. Sie bra­chen das Unter­neh­men ab. Am 23. Janu­ar such­ten die Män­ner noch ein­mal das Wrack auf. Unter gro­ßen Mühen konn­ten sie zwei Ton­nen Hart­brot und etwas Schmalz vom Hava­ris­ten ber­gen. Anschlie­ßend unter­nah­men sie einen wei­te­ren Ver­such, bei jetzt stür­mi­schen Wet­ter das Fest­land zu erreichen.

Kampf gegen die Kälte

Gegen 9.30 Uhr erreich­ten die Män­ner ein gro­ßes Gewäs­ser, und sie kamen nicht wei­ter. So über­nach­te­ten sie auf dem ver­eis­ten Schnee­feld, auf dem sie sich gera­de befan­den. Jeder Mann bekam mor­gens und abends eine Hand­voll von dem mit­ge­nom­me­nen Hart­brot. In der schreck­lich kal­ten Nacht ließ der Kapi­tän sei­ne Leu­te zunächst dicht zusam­men­rü­cken, damit sie sich gegen­sei­tig wär­men konn­ten. Aber an Schlaf war nicht zu den­ken. Alle 20 Minu­ten ließ der Kapi­tän sei­ne Män­ner Lauf­schritt machen, damit die Durch­blu­tung intakt blieb und ein Erfrie­ren im Schlaf ver­hü­tet wur­de. Am 25. Janu­ar mor­gens um 6 Uhr aber starb der Maschi­nist H. Stick­ler, nach­dem er bereits wäh­rend der Nacht das Bewußt­sein verlor. 

Die Besat­zung hat­te sich in die­sen Tagen in zwei Grup­pen geteilt. Eine Grup­pe woll­te zurück zum Schiffs­wrack. Im kal­ten Was­ser ste­hend starb der Matro­se H. Wesemann aus Hasel­horn. Am Mor­gen des 26. Janu­ar setz­te die Grup­pe den Fuß­marsch zum Wrack der “Fried­rich Albert” fort. Längst war der Pro­vi­ant auf­ge­braucht. Eini­ge Grup­pen­mit­glie­der konn­ten kei­ne Schu­he mehr tra­gen. Nur ein paar Lap­pen schütz­ten ihre erfro­re­nen Füße. Trotz die­ser unsag­ba­ren Stra­pa­zen erreich­ten die Über­le­ben­den abends um 6 Uhr wie­der die Stran­dungs­stel­le. Der Best­mann Rud. Bojahr ging auf das Wrack und starb dort. 

Die ande­ren Leu­te bau­ten aus den Wrack­tei­len ein Boot, um damit die rei­ßen­den eis­kal­ten Glet­scher­strö­me zu über­que­ren. Am Nach­mit­tag des 29. Janu­ar begann man mit der Über­fahrt und setz­te die Wan­de­rung nach Nor­den fort. Am nächs­ten Tag, es war der elf­te Tag nach der Stran­dung der “Fried­rich Albert”, hat­ten alle erfro­re­ne Hän­de und Füße. Trotz­dem gin­gen sie unter quä­len­den Schmer­zen wei­ter, bis sie am 30. Janu­ar mit letz­ter Kraft das Gehöft Orm­sta­dur erreich­ten, das 50 Kilo­me­ter vom Wrack ent­fernt liegt.

Die Rettung

Es waren sehr arme Leu­te, die den Schiff­brü­chi­gen nun ein Dach über den Kopf boten und ihnen Essen und Trin­ken reich­ten. Der Bau­er und sei­ne Frau ver­sorg­ten die erfro­re­nen Glie­der der Schiff­brü­chi­gen. Zwei Tage spä­ter kam ein Arzt, der die Schiff­brü­chi­gen medi­zi­nisch ver­sorg­te. Tags dar­auf wur­den sie zur wei­te­ren Behand­lung in den klei­nen Ort Brei­da­böls­stad gebracht. Die Matro­sen Hage­mei­er und Pitt­ke müs­sen wegen Erfrie­run­gen ärzt­lich behan­delt und dem Hei­zer Wut­zo bei­de erfro­re­nen Bei­ne abge­nom­men werden.

Am 1. Febru­ar erreich­ten alle den Ort Skap­terf­jeld. Von hier tra­ten die ers­ten vier Leu­te auf Island­pfer­den die acht­tä­gi­ge Rei­se nach Reykja­vik an. Über Sta­van­ger und Ham­burg erreich­ten sie am 1. März 1903 wie­der Geestemünde.

Ein Gedenkstein in Vik auf Island

Blick auf die Trawlerflotte im Fischereihafen

Die deut­sche Hoch­see­fi­sche­rei ist mit Island untrenn­bar ver­bun­den. Zwi­schen 1898 und 1952 gin­gen vor Island 83 deut­sche Fisch­damp­fer ver­lo­ren, und über 1.200 See­leu­te haben ihr Leben ver­lo­ren. Die einen erlit­ten töd­li­che Unfäl­le auf ihren Schif­fen, ande­re gin­gen bei schwe­ren Stür­men über Bord, kamen bei Stran­dun­gen und Schiffs­un­ter­gän­gen ums Leben oder sind mit ihren Schif­fen verschollen. 

Bei Stran­dun­gen an der Süd­küs­te Islands gelang es den See­leu­ten häu­fig, das Land zu errei­chen. Damit waren sie aber nicht geret­tet. Die Strän­de aus Lava­ge­röll erstre­cken sich über eine Län­ge von etwa 200 Kilo­me­ter, und die islän­di­schen Gehöf­te lagen bis zu 20 Kilo­me­ter von der Küs­te ent­fernt. Glet­scher­strö­me stel­len ein zusätz­li­ches Hin­der­nis dar. Die Kata­stro­phe der “Fried­rich Albert” führ­te 1905 zum Bau von Schutz­hüt­ten, die Nah­rungs­mit­tel und Brenn­ma­te­ri­al sowie Aus­rüs­tung zur medi­zi­ni­schen Ver­sor­gung enthielten. 

In Vik an der Süd­spit­ze Islands erin­nert eine Gedenk­stät­te an die Ver­un­glück­ten und an die bei­spiel­lo­se Hilfs­be­reit­schaft der Isländer.

Filmprojekt

Der islän­di­sche Fil­me­ma­cher Einar Magnús Magnús­son ist der Geschich­te der Män­ner des Herings­damp­fers “Fried­rich Albert” seit sechs Jah­ren auf der Spur. In einer acht­tei­li­gen Fern­seh­se­rie soll die Geschich­te des 1903 vor Island gestran­de­ten Geest­e­mün­der Herings­damp­fers erzählt wer­den. Der Fil­me­ma­cher will am 22. Janu­ar 2021 eine Expe­di­ti­on zu dem Ort machen, an dem die “Fried­rich Albert” am 19. Janu­ar 1903 auf Grund lief. Er möch­te die schwe­ren Bedin­gun­gen ken­nen­ler­nen, mit denen die Schiff­brü­chi­gen vor mehr als 100 Jah­ren zu kämp­fen hat­ten. Vom Wrack des Herings­damp­fers “Fried­rich Albert” soll heu­te aller­dings nichts mehr zu sehen sein.

Nähe­re Infor­ma­tio­nen zum Film sind auf der Inter­net­sei­te www.schwarzersand.com zu sehen.
Quel­len:
H. Wöl­bing und J. Röse­mann Die Island­fi­sche­rei in den Jah­ren 1885 bis 1995 See­funk­ka­me­rad­schaft e. V. Bremen
H, Gab­cke: Bre­mer­ha­ven in zwei Jahr­hun­der­ten 1827–1918, Sei­te 170
J. Rab­bel: Neun Mann ent­kom­men dem Tod Nord­see-Zei­tung vom 11.08.2018
J. Rab­bel: Eine Geschich­te, die bewegt Nord­see-Zei­tung vom 29.08.2018
J. Rab­bel: In eisi­ger Käl­te ums Über­le­ben gekämpft Nord­see-Zei­tung vom 4.1.2021
J. Rab­bel: See­leu­te 1903 geret­tet: Fil­me­ma­cher sucht Nach­fah­ren in Bre­mer­ha­ven nord24.de vom 11.08.2018
Erik Hoops Ein Gedenk­stein in Vik auf Island Deut­sches Schif­fahrts­mu­se­um Info Nr. 05/02 vom 13.03.2002

Das ehemalige Verlagsgebäude der “Norddeutschen Volksstimme”

Das ehe­ma­li­ge Ver­lags­ge­bäu­de der “Nord­deut­schen Volksstimme”

Die sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Zei­tung “Nord­deut­sche Volks­stim­me” konn­te von der  Stadt Weser­mün­de für 20 000 Reichs­mark ein Grund­stück am ehe­ma­li­gen Hohen­zol­lern­ring erwer­ben. Auf die­ses Grund­stück ließ der Zei­tungs­ver­lag für 45 000 Reichs­mark im Sti­le des Neu­en Bau­ens ein Eck­haus aus roten Klin­kern errichten.
Das ehemalige Verlagsgebäude der "Norddeutschen Volksstimme"Am 6. April 1930 wur­de das ehe­ma­li­ge Ver­lags­ge­bäu­de der “Nord­deut­schen Volks­stim­me” an der heu­ti­gen Fried­rich-Ebert-Stra­ße Ecke Elbe­stra­ße ein­ge­weiht. Der Zei­tungs­ver­lag, zehn Pri­vat­woh­nun­gen, eine Buch­hand­lung und wei­te­re Geschäf­te fan­den in dem neu­en Gebäu­de Platz.

Am 11. August 1933 ent­eig­ne­te die Natio­nal­so­zia­lis­ten das Grund­stück und den Zei­tungs­ver­lag. Neu­er Eigen­tü­mer wur­de damit der Staat Preu­ßen, der den Grund­be­sitz am 1. Juli 1937 an die Stadt Weser­mün­de ver­kauf­te. Am 1. März 1938 erwarb das Deut­sche Reich das Grund­stück. Das Haus wur­de Dienst­sitz der Gehei­men Staats­po­li­zei der Unter­we­ser­or­te. Die Zei­tung “Nord­deut­sche Volks­stim­me” war schon im Febru­ar und März 1933 ver­bo­ten  und die Druck­ma­schi­nen ver­schleu­dert worden.
Das ehemalige Verlagsgebäude der "Norddeutschen Volksstimme"Die Gesta­po bau­te eini­ge Woh­nun­gen zu Büros und Ver­neh­mungs­zim­mer um. Im Kel­ler wur­den Haft­zel­len ein­ge­rich­tet. Am 1. April 1939 zog die Gesta­po in das Haus am Hohen­zol­lern­ring ein. Hier wur­de auch Ger­hard van Heu­kelum, von 1927 bis 1933 Chef­re­dak­teur der Zei­tung “Nord­deut­sche Volks­stim­me”, mehr­fach inhaftiert.

Das Gebäu­de hat die Bom­ben­an­grif­fe auf Geest­e­mün­de über­stan­den. Nach Kriegs­en­de zog die ame­ri­ka­ni­sche Mili­tär­re­gie­rung in das ehe­ma­li­ge Ver­lags- und Wohn­ge­bäu­de ein. Auch deut­sche Poli­zei­dienst­stel­len waren hier unter­ge­bracht. In den 1950er Jah­ren erhiel­ten die SPD und die Gewerk­schaf­ten ihr Grund­stück wie­der zurück. Die “Nord­deut­sche Volks­stim­me”, die ab 1. Okto­ber 1948 wie­der erschien, wur­de zunächst die “Bre­mer­ha­ve­ner Volks­stim­me” und schließ­lich die “Bre­mer­ha­ve­ner Bür­ger­zei­tung”. Im Jah­re 1970 wur­de die Zei­tung eingestellt.
Das ehemalige Verlagsgebäude der "Norddeutschen Volksstimme"Eben­falls in den 1950er Jah­ren mie­te­ten sich hier die Volks­für­sor­ge, ver­schie­de­ne Ver­si­che­rungs­ge­sell­schaf­ten  und ande­re Büros ein. Im Erd­ge­schoss an der Sei­te zur Fried­rich-Ebert-Stra­ße gab es Ein­zel­han­dels- und Lebensmittelgeschäfte.

Bis auf den Tanz­club Capi­tol im Erd­ge­schoss haben alle Mie­ter das ehe­ma­li­ge Ver­lags- und Wohn­ge­bäu­de ver­las­sen. Auch die zwei Laden­lo­ka­le ste­hen schon lan­ge leer. Im ver­gan­ge­nen Som­mer hat ein Frank­fur­ter Inves­tor das Gebäu­de erwor­ben. Etwa 5.000 Qua­drat­me­ter Nutz­flä­che will der Inves­tor ent­ker­nen. Aus dem geschichts­träch­ti­gen Gebäu­de soll ein Stu­den­ten­haus mit 55 bis 60 Appar­te­ments mit einer Wohn­flä­che von etwa 20 Qua­drat­me­tern wer­den. Auf dem Dach soll eine 80 Qua­drat­me­ter gro­ße Ter­ras­se und zwei WG-Woh­nun­gen ent­ste­hen. “Die Hoch­schu­le wächst und bie­tet neue Stu­di­en­gän­ge an”, ist der Inves­tor überzeugt.
Das ehemalige Verlagsgebäude der "Norddeutschen Volksstimme"Mit der Bre­mer­ha­ve­ner Denk­mal­be­hör­de soll ver­ein­bart wor­den sein, dass die neu­en Fens­ter sich nah am Spros­sen-Ori­gi­nal ori­en­tie­ren. Auch ver­schie­de­ne ande­re Ele­men­te sol­len erhal­ten blei­ben: eines der drei Trep­pen­häu­ser mit dem alten Holz­ge­län­der und Ter­razzo­bo­den, die Eisen­tü­ren im Kel­ler. In einem Jahr soll “Das Fried­rich” eröff­net wer­den. Stu­den­ten kön­nen sich bereits um eine Woh­nung bewer­ben. Die Mie­te soll in inclu­si­ve Neben­kos­ten rund 450 Euro betragen.
Quel­len:
S. Schwan: “Vom Fol­ter­haus zur Stu­den­ten­bu­de”, Nord­see-Zei­tung vom 19.10.2020

Har­ry Gab­cke: “Bre­mer­ha­ven in zwei Jahr­hun­der­ten – 1919–1947″, Sei­ten 54 + 55
H. + R. Gab­cke und H. Kört­ge: “Bre­mer­ha­ven, frü­her, ges­tern, heu­te”, Sei­te 99

Rudolf Herbig: “Natio­nal­so­zia­lis­mus in den Unter­we­ser­or­ten”, Sei­ten 40 und 41
Bre­mer Lan­des­amt für Denkmalpflege
wiki­pe­dia

In Bremerhavens Körnerstraße wird nicht mehr gemangelt

In Bre­mer­ha­vens Kör­ner­stra­ße wird nicht mehr gemangelt

Das genaue Alter der Heiß­man­gel in Bre­mer­ha­vens Kör­ner­stra­ße kennt wohl nie­mand genau. Eigent­lich stand sie ja auch schon immer dort in dem Eck­haus an der Kör­ner­stra­ße und Eupe­ner Stra­ße 44. Und schon immer ver­brei­te­te sie die­sen Geruch frisch geman­gel­ter Wäsche, den die Besit­ze­rin Karin Lupo seit ihrer Kind­heit so liebt.
In Bremerhavens Körnerstraße wird nicht mehr gemangeltNur ein Schrift­zug auf einem gro­ßen Zahn­rad ver­rät die Her­kunft der Heiß­man­gel: “Gebr. Stu­te, Han­no­ver”.  Seit 1895 rich­te­te die “Ers­te Deut­sche Bau­an­stalt für voll­stän­di­ge Wäsche­rei-Ein­rich­tun­gen Stu­te & Blu­men­thal” Dampf­wä­sche­rei­en ein.

Die Fabrik von Karl Stu­te und Lou­is Blu­men­thal befand sich in Han­no­ver Lin­den am Bahn­hof Fischer­hof. Die Fabrik nann­te sich spä­ter  “Maschi­nen­b­au­ges. m. b. H. vor­mals Stu­te und Blu­men­thal. Und um 1928 gab es eine Gebr. Stu­te Wäsche­rei­ma­schi­nen­fa­brik an der Hil­des­hei­mer Stra­ße 173 in Han­no­ver-Döh­ren. Aus die­ser Zeit muss auch die Heiß­man­gel aus der Kör­ner­stra­ße stammen.
Erste Deutsche Bauanstalt für vollständige Wäscherei-Einrichtungen Stute & BlumenthalKarin Lupo ist mit der Heiß­man­gel auf­ge­wach­sen. Ihre allein­er­zie­hen­de Mut­ter, Lie­se­lot­te Schei­de­mann, hat­te bereits im zwei­ten Welt­krieg eine Man­gel in der Lud­wig­stra­ße. Dort ver­brach­te Karin Lupo ihre Kind­heit. Am Ende des Krie­ges wur­de die Man­gel voll­stän­dig zerstört. 
In Bremerhavens Körnerstraße wird nicht mehr gemangeltUnge­fähr acht Jah­re war Karin Lupo alt, als ihre Mut­ter im Jah­re 1955 die Heiß­man­gel an der Kör­ner­stra­ße Ecke Eupe­ner Stra­ße von einer Fami­lie Bött­cher über­nahm. Die klei­ne Karin hat­te schon damals ger­ne bei Mut­ti in der Heiß­man­gel mit ange­fasst. Die Mut­ter führ­te die Heiß­man­gel bis zu ihrem 75. Lebens­jahr. Zu der Zeit war das Geschäft noch den gan­zen Tag geöff­net. Meh­re­re Hel­fe­rin­nen sorg­ten dafür, dass die vie­le Arbeit bewäl­tigt wer­den konnte.

Die Heiß­man­gel ist eine abso­lu­te Sel­ten­heit. Die gro­ße Trom­mel ist aus Guss­ei­sen und damit viel schwe­rer als die heu­ti­gen Rol­len. Beheizt wur­de die Trom­mel mit Gas. Hun­der­te klei­ner Flämm­chen sorg­ten unter der Trom­mel für eine gleich­mä­ßi­ge Hit­ze. Mor­gens dau­ert es fast eine Stun­de, bis die Trom­mel die Betriebs­tem­pe­ra­tur erreicht hat. Wäh­rend die gro­ße und schwe­re Rol­le mit Gas betrie­ben wur­de, trieb ein fast eben­so alter Elek­tro­mo­tor den gro­ßen fast 8 m lan­gen Rie­men an, der die gro­ße Wal­ze drehte.
In Bremerhavens Körnerstraße wird nicht mehr gemangeltDie Heiß­man­gel könn­te noch wei­ter arbei­ten — wenn in Bre­mer­ha­ven nicht das Gas umge­stellt wer­den wür­de. Davon sind rund 28.000 Haus­hal­te und Betrie­be  betrof­fen. Etwa 2,5 Pro­zent der Gas­ge­rä­te müs­sen still­ge­legt wer­den. Auch die Heiß­man­gel in der Kör­ner­stra­ße gehört dazu.

Für die Men­schen in Lehe war es eine Über­ra­schung, dass ihre belieb­te Heiß­man­gel schlie­ßen muss­te. Hier traf man sich jahr­zehn­te­lang. Ärz­te, Kauf­leu­te, Leh­rer, Beam­te und Unter­neh­mer brach­ten ihre Tisch­de­cken und Bett­wä­sche zum Man­geln in die Kör­ner­stra­ße. Für jeden hat­te Karin Lud­wig ein net­tes Wort übrig. Manch­mal wur­den es auch län­ge­re Gesprä­che. Und im Win­ter gab es schon mal ein Gläs­chen Glüh­wein zum Auf­wär­men. Auch die klei­nen Kin­der lieb­ten ihre “Frau Heißmangel”.

Karin Lud­wig hat bei Kar­stadt Schuh­ver­käu­fe­rin gelernt. Aber immer hat sie auch Mut­ti in der Heiß­man­gel gehol­fen. Und Anfang der 1980er Jah­re hat Karin Lud­wig die Heiß­man­gel von ihrer Mut­ter über­nom­men. Neue Tex­ti­li­en haben dazu geführt, dass die Man­gel nur noch vor­mit­tags geöff­net war. So konn­te Karin Lupo die Arbeit allei­ne erledigen.

50 Jah­re stand sie jeden Vor­mit­tag im Geschäft. Nie hat sie gefehlt. Doch nun ist es vor­bei: In Bre­mer­ha­vens Kör­ner­stra­ße wird nicht mehr gemangelt.
In Bremerhavens Körnerstraße wird nicht mehr gemangeltDas Schild “Heiß­man­gel” über der Ein­gangs­tür ist mitt­ler­wei­le abge­schraubt. eine Restau­ra­to­rin hat die Maschi­ne ist zer­legt. Karin Lud­wig ist weh­mü­tig, aber sie freut sich, dass die Heiß­man­gel nicht ver­schrot­tet wer­den muss. Sie wur­de ins His­to­ri­sche Muse­um Bre­mer­ha­ven gebracht. Dort kann man sie im kom­men­den Janu­ar im Foy­er besichtigen.
Quel­len:
T- Mel­ch­ers: “Die ältes­te Heiß­man­gel steht nun still,  Nord­see-Zei­tung vom 16.10.2020
“Mit Lie­be an der Man­gel”, Leher Blatt Num­mer 2

T- Mel­ch­ers: “Bre­mer­ha­ven: Heiß­man­gel kommt ins Muse­um”, nord24.de vom 16.10.2020

Die Gaststätte “Gießkanne” in der Rickmersstraße

Die Gast­stät­te “Gieß­kan­ne” in der Rickmersstraße

Sascha Wachs­mann hat sein Geschäft gelernt. In Ham­burg auf der Ree­per­bahn hat er eine Aus­bil­dung zum Restau­rant-Fach­mann absol­viert. Am 25. Dezem­ber 2009 hat er die Bre­mer­ha­ve­ner Gast­stät­te “Gieß­kan­ne” in der Rick­mers­stra­ße 64 über­nom­men, kom­plett saniert und im Jah­re 2010 eröff­net.Die Gaststätte "Gießkanne" in der RickmersstraßeDie Gast­stät­te “Gieß­kan­ne” ist eine typi­sche Knei­pe. Sie gehör­te sei­nem Groß­va­ter. Auch sein Vater hat hier schon Bier gezapft. Links und rechts am Tre­sen, der sich wie ein gro­ßes “U” um die Zapf­an­la­ge zieht, sit­zen die Stamm­kun­den. Bei Ziga­ret­ten­qualm wer­den “Stamm­tisch­ge­sprä­che” geführt, gelacht und Bier vom Fass oder aus der klei­nen bau­chi­gen Fla­sche getrun­ken. Wer kei­nen frei­en Bar­ho­cker fin­det, der trinkt eben ste­hend sein Bier.Die Gaststätte "Gießkanne" in der RickmersstraßeStreit gibt es in der Gast­stät­te “Gieß­kan­ne” nicht. Hier in Bre­mer­ha­ven-Lehe trifft sich die Nach­bar­schaft. Wenn jemand über sei­ne Sor­gen und Nöte spre­chen möch­te, fin­det er im Knei­pen­wirt Sascha Wachs­mann einen Zuhö­rer, nicht sel­ten auch einen Rat­ge­ber.Die Gaststätte "Gießkanne" in der RickmersstraßeDoch nun ist alles anders. Nun hat der “Blaue”, wie der Wirt von sei­nen Gäs­ten wegen sei­ner Begeis­te­rung für Schal­ke 04 genannt wird, sel­ber Sor­gen. Die Coro­na-Pan­de­mie setzt ihm zu. Zwar darf er wie­der öff­nen, aber vie­le Stamm­gäs­te blei­ben aus. Wohl auch, weil nie­mand am Tre­sen sit­zen oder ste­hen darf. “Mei­ne Stamm­gäs­te möch­ten aber an der The­ke sit­zen. Sie wol­len nur dort ihr Bier trin­ken und reden — in direk­ter Nähe zu mir. Die The­ke ist ein beson­de­rer Ort in jeder Knei­pe”, sagt Sascha Wachs­mann in einem Gespräch mit der Nord­see-Zei­tung.Die Gaststätte "Gießkanne" in der RickmersstraßeDer Wirt hat über tau­send Euro inves­tiert und Ple­xi­glas­schei­ben als Spuck­schutz in den Tre­sen­be­reich gehängt und auch die Hygie­ne­vor­schrif­ten umge­setzt. Aber die Stamm­kun­den blei­ben aus, so dass der Wirt die Gast­stät­te manch­mal schon am frü­hen Abend schließt. Sascha Wachs­mann hofft nun, dass das The­ken­ver­bot bald auf­ge­ho­ben wird.Die Gaststätte "Gießkanne" in der RickmersstraßeQuel­len:
“Neue Exis­tenz­grün­dun­gen in Lehe”, Leher Blatt Num­mer 10
M. Ber­lin­ke: “Der Blaue von der Gieß­kan­ne”, Sonn­tags­jour­nal vom 22.7.2012
M. Ber­lin­ke: “Ohne The­ken­platz bleibt Knei­pe leer”, Nord­see-Zei­tung vom 13.6.2020

Der ehemalige “Gasthof zum Ratskeller” in Wulsdorf

Der ehe­ma­li­ge “Gast­hof zum Rats­kel­ler” in Wulsdorf

Wuls­dorf war schon sehr früh ein begehr­ter Wohn­ort für die vie­len Arbei­ter, die in den Häfen von Bre­mer­ha­ven und Geest­e­mün­de beschäf­tigt waren. Vie­le Häu­ser und neue Stra­ßen wur­den gebaut. An der heu­ti­gen Weser­stra­ße sie­del­ten sich Schmie­den und Fuhr­leu­te an. Aber auch immer mehr Gast­wir­te, die den Rei­sen­den die Mög­lich­keit zum Über­nach­ten boten, sahen ihre Chan­cen. Im Jah­re 1860 errich­te­te der Musi­kus Johann Vol­lers an der Weser­stra­ße 86 die “Gast­stät­te Zum Deut­schen Haus”.

Um 1850 ent­stand die Wulfs­dor­fer Lin­den­al­lee. Als Land­stra­ße von Bever­stedt kom­mend, mün­det sie in die nach Bre­mer­ha­ven füh­ren­de Weser­stra­ße. Dort, wo sich die neu­en Stra­ßen kreu­zen, wuch­sen zahl­rei­che neue Gast­hö­fe und Aus­spann­wirt­schaf­ten aus dem Boden: An der Kreu­zung Weser­stra­ße zur Lin­den­stra­ße etwa das “Gast­haus zur Bör­se”.gasthof  zum ratskellerIn dem Eck­ge­bäu­de Lin­den­al­lee 73 an der Abzwei­gung in die Pog­gen­bruch­s­tra­ße öff­ne­te der “Gast­hof zum Ratskeller“seine Pfor­ten. Die­ses Lokal betrieb für eini­ge Zeit auch Johann Mahn­ken, ein Schwa­ger des beim Möbel­fa­bri­kant Lou­is Schlü­ter beschäf­tig­ten Tisch­ler­meis­ters Karl Jüch­tern.gasthof zum ratskellerÜber den “Gast­hof zum Rats­kel­ler” schreibt mir Deich­SPIE­GEL-Leser Ronald Stock:
“Jon­ny”, der eigent­lich Johann Mahn­ken hieß, und sei­ne Frau “Guschi” waren einst die Besit­zer die­ses Lokals. Ich ken­ne “(Tan­te) Guschi” nur unter die­sem Namen, mei­ne mich aber zu erin­nern, dass mei­ne Oma Lydia ihre Schwes­ter auch beim Vor­na­men Augus­te rief. 

Die Mahn­kens gaben den Rats­kel­ler irgend­wann auf, und spä­ter arbei­te­te Onkel Jon­ny für die Fir­ma Erd­al (Schuh­creme), heu­te Erd­al-Rex GmbH. “Jon­ny und Guschi” hat­ten einen Sohn Gerold, der ca. 1934 gebo­ren sein müss­te. Die­ser wan­der­te über Kana­da in die Ver­ei­nig­ten Staa­ten aus. Sei­ne Spur ver­läuft sich am Flug­ha­fen New York. Hier soll er zum Ende der 1960er Jah­re Arbeit gefun­den haben…
Quel­len:
H. Gab­cke: Bre­mer­ha­ven in zwei Jahr­hun­der­ten 1919 – 1947, Sei­te 15
J. Rab­bel: “Ältes­te Knei­pe Wuls­dorfs schließt”, Nord­see-Zei­tung vom 06.2.2013
Inter­es­sen­Ge­mein­schaft Wulsdorf

 

 

 

Die Nordstraße verändert ihr Gesicht

Die Nord­stra­ße ver­än­dert ihr Gesicht.

Eine Stra­ße ver­än­dert ihr Gesicht, wenn alt­ein­ge­ses­se­ne Geschäf­te auf­ge­ben, wenn die Spar­kas­sen­fi­lia­le ver­schwin­det oder wenn der lang­jäh­ri­ge Arzt sei­ne Pra­xis schließt. Und wenn ein gan­zer Gebäu­de­kom­plex abge­ris­sen wird, erkennt man das Vier­tel oft nicht wieder.

Thams  & Garfs eröff­ne­te bereits im Jah­re 1910 in Bre­mer­ha­ven eine Zweig­nie­der­las­sung. Nach dem 2. Welt­krieg wur­de das Haupt­ge­schäft in der in der Bür­ger­meis­ter-Smidt-Str. 93  als ers­tes Lebens­mit­tel­ge­schäft in Bre­mer­ha­ven  als Selbst­be­die­nungs­la­den aus­ge­stat­tet. Hier stell­te man schon Ende der 1950er Jah­re sei­ne Ein­käu­fe selbst zusam­men. Fri­sche Eier, Milch in Fla­schen, But­ter, Sah­ne Obst und Süßig­kei­ten wur­den in einen Draht­korb gelegt, dann ging man zur Kas­se. In Bre­mer­ha­ven gibt es im Jah­re 1970 neben der Fili­al­ver­wal­tung in der Gra­zer Stra­ße 50 neun Thams & Garfs-Filialen.

Die Nordstraße verändert ihr Gesicht

Die Thams & Garfs-Filia­le in der Nord­stra­ße 67 lei­tet Gün­ter Cor­des. Rück­ge­hen­de Umsät­ze ver­an­las­sen die Geschäfts­lei­tung, immer Filia­len zu schlie­ßen. Als Thams & Garfs im Jah­re 1986 end­gül­tig auf­ge­löst wird, über­nimmt Gün­ter Cor­des das Geschäft und  führt es in eige­ner Regie wei­ter. Der Laden flo­riert, und die Kun­den lie­ben “ihren” Kauf­mann. Alex­an­der stellt lako­nisch fest: “In die­sem Super­markt wur­de der Ser­vice groß geschrie­ben! Scha­de drum… .”

Auch Anja erin­nert sich: “Ja wirk­lich… sogar in der Obst- und Gemü­se­ab­tei­lung wur­de man per­sön­lich bedient! Und die Fleisch- und Wurst­the­ke war sehr gut sor­tiert und immer schön frisch… das war sehr gemüt­li­ches Ein­kau­fen, wie frü­her mit Mutti.”

Die Nordstraße verändert ihr Gesicht

Tan­ja, die in der Nord­stra­ße groß gewor­den ist, beschreibt sehr plas­tisch, wel­che Ein­kaufs­er­leb­nis­se sie hat­te: “Mei­ne Mut­ter hat­te einen Schre­ber­gar­ten kurz hin­ter Cor­des, und somit hab ich bereits als Kind mein Eis dort bei “Tham­mel & Gam­mel” geholt. Erst als Jugend­li­che und spä­ter als jun­ge Erwach­se­ne habe ich dann wei­ter­hin bei Cor­des eingekauft.

Die Kin­der beka­men dort immer ein Würst­chen oder ’ne Schei­be Wurst in die Hand gedrückt, wenn Mut­ti dort ein­kauf­te. Ich weiß noch, wie mei­ne Toch­ter als Klein­kind im Laden ein­mal einen ful­mi­nan­ten Wut­an­fall bekam, — und ich mich soooo geär­gert hab, als sie trotz­dem “ihre” Wurst an der Fleisch­the­ke bekam.

Ich habe sehr ger­ne dort ein­ge­kauft und beson­ders den “alten” Flei­scher ver­mis­se ich heu­te noch. Fleisch in der Qua­li­tät habe ich seit­dem kaum wie­der bekom­men. Und es war so prak­tisch! Eben bei der Spar­kas­se einen Scheck ein­lö­sen (Geld­au­to­ma­ten gab es noch nicht), bei Cor­des ein­kau­fen, und auf dem Rück­weg eben bei der Post Brief­mar­ken raus­ho­len! Über­all einen kur­zen Schnack hal­ten, weil jeder sich kann­te, und dann zufrie­den nach Hau­se dackeln.”

An die Wurst­ge­schen­ke erin­nert sich auch Uwe ger­ne: “Immer wenn ich mit mei­ner Mut­ter bei Thams & Garfs (Tam­mel und Gam­mel) ein­kau­fen war, gab es für mich ein Würst­chen an der Fleisch­the­ke. Auf die ging man direkt zu, wenn man den Gang vom Ein­gang aus lang­ge­gan­gen ist… .”

Günter Cordes bei der Arbeit

Über dem Super­markt resi­dier­te ein Uro­lo­ge. Mit­te der 1970er-Jah­re beglei­tet Ter­ry sei­ne Mut­ter dort­hin. Er schau­te aus dem Fens­ter und zähl­te die Autos, “die aus Rich­tung Flö­ten­kiel her­an­ge­fah­ren kamen — wobei mich am meis­ten inter­es­siert hat, wie oft ein Mer­ce­des dar­un­ter war. Im Schnitt waren es 36 % , dar­an erin­ne­re ich mich noch… .”

Rechts neben dem Fri­schemarkt emp­fängt die Städ­ti­sche Spar­kas­se ihre Kun­den und ver­sorgt sie mit Bar­geld und ande­ren Finanz­ge­schäf­ten. Jule hat dort von 1979 bis 1983 ihre Aus­bil­dung absol­viert: “Die Städ­ti­sche Spar­kas­se hat­te damals 15 Filia­len, ver­teilt über das gesam­te Stadt­ge­biet. Die Filia­le Nord­stra­ße befand sich in dem glei­chen mit Wasch­be­ton ver­klei­de­ten Gebäu­de, in dem auch der Super­markt befand.”

Ter­ry gefiel der Innen­raum der Spar­kas­sen­fi­lia­le gut und Uwe Z. weiß noch: “Jeden Welt­spar­tag habe ich auf der Spar­kas­se mei­ne säu­ber­lich geroll­ten Mün­zen abge­ge­ben und auf mein Spar­buch eingezahlt… .”

Gün­ter Cor­des macht mit sei­nem 300-Qua­drat­me­ter-Frisch­markt gute Umsät­ze – bis die Städ­ti­sche Spar­kas­se im August 2002 die Nord­stra­ße ver­lässt und fort­an ihre Geld­ge­schäf­te an der Pfer­de­ba­de betreibt. “Das Kun­den­ver­hal­ten hat sich in den letz­ten Jah­ren erheb­lich ver­än­dert”, erklär­te damals ein Spar­kas­sen-Vor­stands­mit­glied der Nord­see-Zei­tung. “Wir sind da, wo der Kun­de ist. Die expo­nier­te Lage und die kos­ten­in­ten­si­ve Reno­vie­rung der alten Räum­lich­kei­ten in der Nord­stra­ße mach­ten uns die Ent­schei­dung leicht”, war im sel­ben Arti­kel zu lesen.

Die Nordstraße verändert ihr Gesicht

Auch die in der Nähe gele­ge­ne Post schließt, und für Gün­ter Cor­des beginnt “das Ster­ben auf Raten” – “ganz lang­sam.” Es wird fort­an schwer für ihn. Nicht die Nähe zum Real-Markt ist das Pro­blem. Die Bil­lig-Dis­coun­ter sind es. Am Blink haben gleich meh­re­re Dis­coun­ter eröff­net, und vie­le Kun­den gehen nun dort ein­kau­fen. Etwa ein Drit­tel der Kun­den hal­ten “ihrem” Kauf­mann die Treue und erle­di­gen ihre kom­plet­ten Ein­käu­fe wei­ter­hin bei Gün­ter Cor­des. Die ande­ren – vor­wie­gend jün­ge­re Leu­te – kau­fen in der Nord­stra­ße nur noch das ein, was sie beim Dis­coun­ter ver­ges­sen haben.

Am 31. Juli 2013 schließt der 66-Jäh­ri­ge Gün­ter Cor­des nach 27 Jah­ren sei­nen Fri­schemarkt. “Rea­lis­tisch betrach­tet hät­te ich schon vor zehn Jah­ren schlie­ßen müs­sen. Seit­dem habe ich nur rein­but­tern müs­sen und dadurch mei­ne Alters­vor­sor­ge ver­lo­ren”, erklärt er der Nord­see-Zei­tung. Sei­ne Mit­ar­bei­ter, eine Halb­tags­kraft, zwei Voll­zeit­be­schäf­tig­te und sie­ben 400-Euro-Mit­ar­bei­ter, müs­sen sich eine neue Beschäf­ti­gung suchen.

Lehe

Die Nord­stra­ße wur­de im Jah­re 1904 ange­legt. Sie soll die Lan­ge Stra­ße ent­las­ten, über die damals der Ver­kehr in bei­de Rich­tun­gen geführt wird. Die Nord­stra­ße ver­bin­det den Flö­ten­kiel mit der Hafenstraße.

Nicht nur der Auto­ver­kehr fließt durch die Nord­stra­ße. Auf den Schlacht­fel­dern Euro­pas tobt der Ers­te Welt­krieg, als die Arbei­ter­ju­gend sich auf den Weg zu einem Wald­fest macht und durch die Nord­stra­ße läuft.

Als der Zwei­te Welt­krieg vor­bei ist, kom­men Jeeps der 51. High­land Divi­si­on die Nord­stra­ße her­un­ter­ge­fah­ren, um die Stadt zu beset­zen. Karl Will­ms beschreibt in der Nord­see-Zei­tung: “Da kamen sie aus der Nord­stra­ße her­an. Autos, Jeeps, die saßen da drin mit Waf­fe im Anschlag, wir drück­ten uns die Nasen platt am Türglas.“

Und es gibt auch Erin­ne­run­gen an Kar­ne­vals­um­zü­ge oder an Demons­tra­tio­nen gegen die Sta­tio­nie­rung der Pers­hing-II-Rake­ten im Okto­ber 1983. Damals zie­hen tau­sen­de Demons­tran­ten durch die Nord­stra­ße. Wem es zu eng wird, der spa­ziert ein­fach über die gepark­ten Autos.

05a_Nordstrasse

Trotz­dem wohnt man ger­ne in der Nord­stra­ße. Zwi­schen dem Atlan­tic-Hotel und dem Gericht gibt es schö­ne Alt­bau­woh­nun­gen. Es ist eng hier und gemüt­lich. Bus­li­ni­en, Spar­kas­se und Post, Ärz­te und Super­märk­te – alles ist fuß­läu­fig erreich­bar. Sogar ein klei­nes Knei­pen­vier­tel gibt es.

Heu­te hat sich vie­les ver­än­dert. Eine Post ist gibt es hier nicht mehr, und das ehe­ma­li­ge Wasch­be­ton­ge­bäu­de war lan­ge ver­waist. Der Super­markt hat geschlos­sen, die Ärz­te sind ver­schwun­den, und die Spar­kas­se ist auch längst nicht mehr da. Fünf Jah­re rot­tet der ehe­ma­li­ge Fri­sche-Markt vor sich hin.

Die Nordstraße verändert ihr Gesicht

Im Jah­re 2016 kauft ein Inves­tor das 700 Qua­drat­me­ter gro­ße Grund­stück und läßt die 1965 erstell­te Hal­le abrei­ßen. Auch die Tief­ga­ra­ge wird nicht ver­schont. Für 3,8 Mil­lio­nen Euro soll hier ein neu­er pyra­mi­den­för­mi­ger Gebäu­de­kom­plex ent­ste­hen: 17 Woh­nun­gen, zwei Pent­house­woh­nun­gen, Arzt­pra­xis, Tief­ga­ra­ge. Die Zufahrt wird in die Tor­gau­er Stra­ße verlegt.

Eine Stra­ße ver­än­dert ihr Gesicht!

Nach­trag vom 28.12.2019
Ein Haus­arzt und ein Phy­sio­the­ra­peut sind die ers­ten, die am 1. Juli 2019 trotz Bau­stel­le in das Erd­ge­schoss des neu­en Miets­hau­ses ein­zie­hen.Die Nordstraße verändert ihr GesichtDie ande­ren Woh­nun­gen sind seit 1. Okto­ber 2019 bezugs­fer­tig. 13 Zwei- und Drei-Zim­mer-Woh­nun­gen wer­den als sozia­ler Woh­nungs­bau staat­lich geför­dert.Die Nordstraße verändert ihr GesichtQuel­len:
J. Rab­bel: Das Laden­ster­ben geht wei­ter, Nord­see-Zei­tung vom 5.7.2013
Von der  Nord­stra­ße zur Pfer­de­ba­de umge­zo­gen, Nord­see-Zei­tung v. 10.8.2002
Spar­kas­sen-Stand­ort an der Pfer­de­ba­de, Nord­see-Zei­tung vom 12.8.2002
Lach­kol­ler und But­jer­cou­ra­ge, Nord­see-Zei­tung vom 7.5.2005
Zwi­schen Lach­krampf und Laus­bu­ben­mut, Nord­see-Zei­tung vom 7.5.2005
S. Schwan: Tschüss, olle Gru­sel­hal­le, Nord­see-Zei­tung vom 16.10.2017
H. Haus­hahn: Ham­bur­ger Kaf­fee-Lager Thams & Garfs Paul Düvier GmbH, BEW aktu­ell 03/2016, Sei­ten 34 + 35
juwis’s welt: Kurs abge­steckt Rich­tung Geisterstadt?
S. Schwan: Neu­es Miets­haus für Lehe ist fer­tig, NORD24.de vom 5.7.2019

Der Kalkofen in Lehe

Der Kalk­ofen in Lehe

Wäh­rend der ers­te Kalk­ofen in Lehe schon für das 18. Jahr­hun­dert nach­ge­wie­sen ist, waren hier nach 1840 bis zu vier Brenn­öfen in Betrieb. Der eine stand am Bahn­über­gang und war im Besit­ze der Fami­lie Will­ms. Der Stand­ort des Tim­mer­mann­schen Ofens wird in der Nähe der alten Grau­pen­müh­le und der Fran­zo­sen­brü­cke ver­mu­tet, und zwar in der Nach­bar­schaft des Leher Hafens. Ein drit­ter Ofen hat­te sei­nen Platz auf dem Kötz­feld, west­lich von dem Markt­platz, auf dem einst die “Ger­ma­nia” stand. Der statt­lichs­te und moderns­te Kalk­ofen in Lehe war aber ohne Zwei­fel der, den im Jah­re 1850 der Groß­va­ter  von Buern­hu­us­vad­der Jan Bohls gemein­sam mit den Leher Bür­gern Krü­ger und Wöhl­ken  im Leher Büt­tel nahe der obe­ren Hafen­stra­ße errich­tet hat.Der Kalkofen in LeheLehe hat­te nicht ohne Grund vier Kalk­hüt­ten: Der Fle­cken hat­te in der Zeit von 1734 bis 1808 durch fünf schwe­re Brand­ka­ta­stro­phen 396 Wohn­häu­ser ver­lo­ren. Davon leg­te der Brand von 1796 gan­ze 160 Bau­ten in Schutt und Asche und im Jah­re 1808 wei­te­re 147. Es setz­te eine Bau­tä­tig­keit ein, wie sie Lehe vor­her noch nie erlebt hat­te. Auch das im Jah­re 1827 gegrün­de­te Bre­mer­ha­ven ver­lang­te auf­grund der ein­set­zen­den regen Bau­tä­tig­keit nach Kalk­mör­tel und Bau­stei­nen. Zement gab es damals noch nicht, folg­lich ver­wen­de­te man Muschel­kalk als Bin­de­mit­tel zwi­schen den Stei­nen. Die Fol­ge war eine außer­ge­wöhn­lich star­ke Nach­fra­ge nach Kalk. 

Das Roh­ma­te­ri­al fand man in den Mün­dungs­ge­bie­ten von Elbe und Weser, näm­lich Muscheln und Schne­cken­ge­häu­se. Im Som­mer lie­ßen die Fischer ihre fla­chen Boo­te bei Ebbe tro­cken fal­len und gru­ben kör­be­wei­se Muscheln und Schne­cken müh­sam aus dem Sand aus. Die Fischer brauch­ten bis zu drei Tage, bis ein Kahn voll war. Die „Muschel­scha­len-Fische­rei“, nann­te man in Platt „Schil­len“ (Schill = Scha­le) nann­te. Mit Pfer­de­ge­span­nen wur­den die Muschel­scha­len und Schne­cken­ge­häu­se von den Schill­fi­schern zu den Kal­kö­fen trans­por­tiert und in einem beson­de­ren Ver­fah­ren zu Kalk­mehl verbrannt.

Der Ofen im Leher Büt­tel ist 11,60 Meter hoch und hat einen Durch­mes­ser von 6 Metern. Die Mau­er ist 0,47 Meter dick. Über dem Erd­bo­den befin­den sich drei Rei­hen Zug­lö­cher. An der Nord­sei­te befin­den sich drei gro­ße Öff­nun­gen zum Ein­schüt­ten der Füllmasse. 

Zuerst stell­te der Brand­meis­ter im Ofen eine dop­pel­te Torf­schicht so auf, dass die Torf­so­den in auf­rech­ter Stel­lung schräg gegen­ein­an­der stan­den. Auf die­se Schicht schüt­te­te er dann eine 10 cm dicke Lage Muscheln. Wei­te­re Torf- und Muschel­schich­ten folg­ten, die zunächst durch die Sei­ten­öff­nun­gen und zum Schluss durch den Schorn­stein ein­ge­bracht wur­den. Auf Lei­tern wuch­te­ten die Arbei­ter die mit dem Torf und mit den Muschel­scha­len gefüll­ten Kör­be zu den Luken hinauf.

In die Mit­te des Füll­gu­tes wur­de ein Eisen­rohr gestellt, um einen Schacht – den “Schorn­stein” – zu bil­den. War der Kalk­ofen gefüllt, wur­de das Eisen­rohr ent­fernt. Schließ­lich wur­den die Öff­nun­gen mit Mau­er­stei­ne ver­schlos­sen. Dann füll­te man glü­hen­de Holz­koh­le in den “Schorn­stein”. Die Brenn­hit­ze erreich­te tau­send Grad. Damit der Ofen nicht aus­ein­an­der­plat­zen wür­de, sicher­ten acht Eisen­bin­der und eine Ket­te das einen hal­ben Meter dicke Mau­er­werk.Der Kalkofen in LeheDrei Tage zogen dicke Rauch­schwa­den durch den Fle­cken, dann lag auf dem Boden des Ofens das mit der Tor­fa­sche ver­misch­te hei­ße Kalk­mehl. Man zog es aus der unte­ren Luke und trans­por­tier­te es zum unmit­tel­bar dane­ben­lie­gen­den “Kalk­haus”. Dort gos­sen die “Löscher” bis zu zwan­zig Eimer Was­ser auf den hei­ßen Kalk und ver­rühr­ten ihn in Holz­trö­gen zu einem fei­nen Brei. Mit Eisen­schlä­geln, die an einem Holz­stiel befes­tigt waren, wur­de nun die Mas­se unter stän­di­gem Rüh­ren hin und her, um auch die nicht ver­brann­ten Muschel­stü­cke zu zerkleinern.

Eine mit Muschel­kalk gefüll­te Ton­ne kos­te­te damals etwa vier Reichs­mark. Der hoch­wer­ti­ge Muschel­kalk wur­de bis nach Thü­rin­gen und in die Mag­de­bur­ger Bör­de verkauft.

In Bre­mer­ha­ven-Lehe gibt es noch einen Zeu­gen der Muschel­kalk-Her­stel­lung. Wie eine selt­sam geform­te Stein­gut­fla­sche erhebt sich der Kalk­ofen an der Weich­sel­stra­ße im Leher Büt­tel. Die­ses im Jah­re 1850 erbau­te Indus­trie­denk­mal ist der ein­zi­ge noch erhal­te­ne Brenn­ofen an der Unter­we­ser und der ein­zi­ge Über­le­ben­de von den ursprüng­lich vier Leher Öfen.

Seit dem Jah­re 1870 ist der Büt­te­ler Ofen erkal­tet. Die Zeit des Muschel­kalks war vor­bei. Man benutz­te ihn nur noch zum Wei­ßen der Innen­räu­me, solan­ge es in den Alt­bau­ten noch kei­ne Tape­ten gab. An die Stel­le des Muschel­kal­kes trat nun der mit der Bahn oder auf Schif­fen her­an­ge­hol­te Stein­kalk. Und dann trat der Port­land-Zement sei­nen Sie­ges­zug an.

Aber 25 Jah­re spä­ter zog in den Kalk­ofen in Lehe neu­es Leben ein. Im Jah­re 1895 hat ein Stor­chen­paar auf dem erlo­sche­nen Schorn­stein sein Nest gebaut, und jeden Früh­ling war­te­te ganz Lehe auf die Rück­kehr der Stör­che.Der Kalkofen in LeheIm Jah­re 1976 wur­de der Kalk­ofen im Leher Büt­tel unter Denk­mal­schutz gestellt. Er gilt als tech­ni­sches Denk­mal mit gro­ßem Sel­ten­heits­wert in der Kul­tur­land­schaft Nord­deutsch­lands und wur­de 2012 für 20.000 Euro mit Hil­fe der Stif­tung Wohn­li­che Stadt saniert. Bereits 1939 wür­dig­te das Inven­tar der Kunst­denk­ma­le der Pro­vinz Han­no­ver den Kalk­ofen im Leher Büt­tel als Denk­mal einer vor­in­dus­tri­el­len Epo­che mit einer Abbildung.
Quel­len:
H. Schrö­der: Geschich­ten der Stadt Lehe, Sei­te 222
C. C. Cor­des: Der alte Kalk­ofen im Leher Büt­tel, Nie­der­deut­sches Hei­mat­blatt Nr. 217 vom Janu­ar 1968
H. Cars­tens: Zement ver­dräng­te Muschel­kalk, Nie­der­deut­sches Hei­mat­blatt Nr. 722 vom Febru­ar 2010
B. Sche­per: Bre­mer­ha­ven so wie es war, Sei­te 25
H. Gab­cke: Bre­mer­ha­ven in zwei Jahr­hun­der­ten 1827 – 1918, Sei­te 63
Lan­des­amt für Denk­mal­pfle­ge: Kalk­ofen

Dirnen, Schankmädchen und Hafenspelunken.

Dir­nen, Schank­mäd­chen und Hafen­spe­lun­ken. Pro­sti­tu­ti­on in Bre­mer­ha­ven und Bre­men wäh­rend der ers­ten Hälf­te des 19. Jahrhunderts

Dirnen, Schankmädchen und Hafenspelunken

Stets hat die christ­li­che Kir­che Lust und Sinn­lich­keit als Sün­de ver­dammt. Gleich­wohl war die Pro­sti­tu­ti­on im Mit­tel­al­ter eine lega­le Tätig­keit, und die Dir­nen hat­ten ihren Platz in der Gesellschaft.

Um die Pro­sti­tu­ti­on in Bre­mer­ha­ven und Bre­men wäh­rend der ers­ten Hälf­te des 19. Jahr­hun­derts han­delt ein Vor­trag, den die His­to­ri­ke­rin Kim Kris­tin Breit­mo­ser am 7. März 2019 um 18 Uhr im Casi­no der Weser-Elbe-Spar­kas­se in der Bür­ger­meis­ter-Smidt-Stra­ße hält.

Unter dem Titel “Dir­nen, Schank­mäd­chen und Hafen­spe­lun­ken” befasst sich die Wis­sen­schaft­le­rin mit der Aus­wir­kung der Pro­sti­tu­ti­on auf den sozia­len und dadurch auch topo­gra­fi­schen Wan­del nord­deut­scher Städ­te im Zeit­raum von 1750 bis 1850.

Die pro­mo­vier­te His­to­ri­ke­rin meint, über den Zugang der Pro­sti­tu­ti­ons­for­schung auch viel über die Lebens­wel­ten aller ande­ren Per­so­nen erfah­ren zu kön­nen. Den Grund hier­für sehe sie dar­in, dass die Art und Wei­se, wie die Pro­sti­tu­ti­on aus­ge­übt wird, immer auch die Situa­ti­on der umlie­gen­den Gesell­schaft wider­spie­ge­le. Für ihr For­schungs­pro­jekt sei­en die ers­ten drei Jah­re Bre­mer­ha­vens bis zur Eröff­nung des Hafens beson­ders inter­es­sant gewesen.
Quel­len:
Stadt­ar­chiv Bre­mer­ha­ven, Vor­trags­pro­gramm Früh­jahr 2019
J. Rab­bel: “Vier­mal Geschich­te sicht­bar erle­ben”, Nord­see-Zei­tung v. 18.02.2019