102 Jahre Eiswerk Bremerhaven – jetzt ein Opfer der Zwangsumlage für erneuerbarer Energie?

Noch unse­re Groß­vä­ter und Urgroß­vä­ter muss­ten sich Gedan­ken machen, wie sie ihren Lebens­mit­tel­vor­rat durch Küh­lung vor dem schnel­len Ver­derb bewah­ren kön­nen. Sie lager­ten ihre Spei­sen in “Spei­se­kam­mern” ein. Nur der wohl­ha­ben­de Teil der Bevöl­ke­rung hat­te Erd­kel­ler, deren Fuß­bö­den aus unver­fug­ten Stei­nen bestan­den. Die Erd­feuch­te, die durch die Fugen in die Kel­ler geriet, ver­duns­te­te. So wur­de den Böden Wär­me ent­zo­gen und sie blie­ben sehr kühl. Heut­zu­ta­ge hat wohl jeder Haus­halt einen Kühlschrank. 

Speisekammer

In Deutsch­land begann man etwa um 1800 damit, Flüs­se und Neben­ar­me zu stau­en oder Seen anzu­le­gen. Im Win­ter gefro­ren die ste­hen­den Gewäs­ser schnell zu Eis, und Eis­wer­ke konn­ten mit der Eis­ern­te begin­nen. Die­se schwe­re Arbeit muss­te schnell  bewäl­tigt wer­den, denn es gab ja kei­ne Sicher­heit, wie lan­ge die Frost­pe­ri­ode anhal­ten würde.

Mit einem Eis­pflug schnitt man Fur­chen in das Eis, um es dann mit gro­ßen schar­fen Sägen zu zer­tei­len und zur Ein­la­ge­rung abzutransportieren.

Eissäge

Die Grö­ße der Eis­stü­cke betrug etwa 60 cm Brei­te und 1m Län­ge. Schon bei einer Eis­stär­ke von 15 cm wogen sol­che Tafeln etwa 100 Kilo­gramm. Für die Eis­ern­te waren stets vie­le Hilfs­kräf­te erfor­der­lich. Oft­mals haben sich im stren­gen Win­ter arbeits­lo­se Mau­rer und Land­wir­te ein Zubrot verdient.

Brechen von Eis

Das Eis wur­de in Eis­kel­lern oder Höh­len ein­ge­la­gert bis Braue­rei­en, Gast­stät­ten, Haus­hal­te und Mol­ke­rei­en es als Stan­gen­eis kauf­ten. Ohne Natur­eis wäre die Ver­sor­gung der schnell wach­sen­den Städ­te wohl nicht mög­lich gewesen.

Eiskeller

Das geern­te­te Natur­eis war natür­lich nicht sau­ber, es ent­hielt Mikro­or­ga­nis­men und Luft­schad­stof­fe wie Ruß von den Öfen. Auch war die Natur­eis­pro­duk­ti­on stark wet­ter­ab­hän­gig. In Zen­tral­eu­ro­pa war der Win­ter des Jah­res 1873 der­art mild, dass die Eis­ern­te nur gering aus­fiel und die gro­ßen Städ­te nicht genü­gend ver­sorgt wer­den konn­ten. Auch der Win­ter 1898 ver­half den Eis­wer­ken nur zu einer mäßi­gen Eis­ern­te. In sol­chen Fäl­len wur­de das Eis ganz aus Nor­we­gen importiert.

Auch dem tech­ni­schen Fort­schritt war es geschul­det, dass die Natur­eis­wer­ke in dem Maße ver­schwan­den, wie sie durch Eis­fa­bri­ken, die nun künst­li­ches Eis erzeug­ten, ersetzt wur­den. Mit der Erfin­dung der Kühl­tech­nik kam man in die kom­for­ta­ble Lage, Käl­te künst­lich zu erzeu­gen und damit Eis indus­trie­mä­ßig her­zu­stel­len. So konn­ten die Eis­fa­bri­ken auch gro­ße Städ­te jeder­zeit mit Eis ver­sor­gen – unsi­che­re Eis­ern­ten gehör­ten der Ver­gan­gen­heit an.

Eisfabrik Bremerhaven

In Bre­mer­ha­ven wird 1911 das heu­te größ­te deut­sche Eis­werk gebaut. Damals waren bis zu 75 Arbei­ter mit der schwe­ren Arbeit der Eis­her­stel­lung beschäf­tigt. Es war eine Kno­chen­ar­beit, die 2,50 mal 3,50 Meter gro­ßen Eis­plat­ten zu bewe­gen. Die Eis­plat­te wur­de hoch­ge­hievt und fal­len­ge­las­sen. Der Rest muss­te mit Mus­kel­kraft in klei­ne Stü­cke gebro­chen werden.

Eisplatte

Das Geest­e­mün­der Fisch­han­dels­un­ter­neh­men, Fried­rich Bus­se & Co., stell­te am 7. Febru­ar 1885 sei­nen ers­ten Fisch­damp­fer, die Sagit­ta, in Dienst. Ab 1888 ver­an­stal­te­te der Unter­neh­mer die ers­te öffent­li­che Fisch­auk­ti­on, und er leg­te Eis­tei­che und Eis­häu­ser an. Das war der Anfang der deut­schen Hoch­see­fi­sche­rei, der ohne die Eis­la­ge­rung nicht mög­lich gewe­sen wäre. Die gro­ßen Fisch-Traw­ler gin­gen zwei, drei Wochen auf Fan­g­rei­se. Vor ihren Fan­g­rei­sen bun­ker­ten Heck­fän­ger 80 bis 120 Ton­nen Eis.

Den Trans­port in die Fisch-Auk­ti­ons­hal­len über­nah­men frü­her hoch­räd­ri­ge, unför­mi­ge Elek­tro­kar­ren mit Voll­gum­mi­be­rei­fung  — die Abga­se von Ver­bren­nungs­mo­to­ren waren in den Hal­len streng verboten.

Eisauto

Heu­te, nach 102 Jah­ren, pro­du­ziert das Bre­mer­ha­ve­ner Eis­werk immer noch Eis: Eis­wür­fel für die Gas­tro­no­mie, Tank­stel­len und Par­ty-Ser­vices. Fein­eis für Cock­tails, hauch­dün­nes Scher­ben­eis für Fisch­fi­lets und frü­her 950 Ton­nen Eis, sau­ber in Beu­teln ver­packt, für die US-Army in Maze­do­ni­en, Alba­ni­en, Kroa­ti­en und Griechenland.

Aller­dings wird das Eis jetzt künst­lich mit einer Röh­ren­eis­an­la­ge her­ge­stellt. Das ist ein Zylin­der in dem sich 120 Röh­ren befin­den. Die Röh­ren wer­den mit Trink­was­ser gefüllt und gefros­tet. Nach dem Gefrier­vor­gang wird hei­ßes Hoch­druck­gas gegen die Rohr­wän­de gepresst. Damit lösen sich die Eis­stan­gen und fal­len aus dem Zylin­der her­aus. Ein Cut­ter zer­klei­nert das Eis und ein För­der­band trans­por­tiert das Bruch­eis in den Eis­bun­ker. Bis zu 400 Ton­nen Eis kann im Bun­ker zwi­schen­ge­la­gert wer­den, bis es an die Fisch- und Lebens­mit­tel­in­dus­trie gelie­fert wird.

Eiswerk

Doch plötz­lich ist alles anders, die Zukunft des Betriebs ist gefähr­det. Durch die Ener­gie­wen­de explo­die­ren die Strom­prei­se der­art, dass das Unter­neh­men bereits ein Vier­tel des Umsat­zes für Ener­gie ver­wen­den muss.

Rund 246 000 Euro für Strom, Strom­steu­ern und Netz­ent­gel­te belas­ten die Ein­nah­men- Über­schuss­rech­nung. Mit der Umla­ge gemäß des Erneu­er­ba­re-Ener­gien-Geset­zes (EEG) soll die Ener­gie­wen­de finan­ziert wer­den. Betrie­be, die aber 14 Pro­zent ihrer Brut­to­wert­schöp­fung für Strom aus­ge­ben müs­sen, kön­nen von der Umla­ge befreit wer­den. Beim Eis­werk macht der Ver­brauch über 52 Pro­zent aus. Trotz­dem ver­wei­gert das Bun­des­amt für Wirt­schaft und Aus­fuhr­kon­trol­le die Befrei­ung mit der Begrün­dung, dass es sich bei dem Eis­werk nicht um einen Betrieb des pro­du­zie­ren­den Gewer­bes han­deln wür­de, da nur Käl­te pro­du­ziert wird.

Das Sta­tis­ti­sche Lan­des­amt Bre­men und das Haupt­zoll­amt rech­nen den Betrieb dem pro­du­zie­ren­den Gewer­be zu. Das sieht das Bun­des­amt für Wirt­schaft und Aus­fuhr­kon­trol­le in Esch­born aber anders.

Bis zu 17 000 Ton­nen Eis stellt das Werk jähr­lich her, gut 75 Pro­zent davon neh­men die Fisch­be­trie­be ab. Wür­de das Eis­werk schlie­ßen müs­sen, hät­te die Bre­mer­ha­ve­ner Fisch­in­dus­trie wohl gro­ße Pro­ble­me. Und mit dem tra­di­ti­ons­rei­chen Betrieb wür­den zehn Arbeits­plät­ze  im Eis versinken.

Quel­len und wei­te­re Informationen:
berlin-eisfabrik.de

eiskeller-brandenburg.de
Nord­see-Zei­tung vom 23.06.2011, 31.08.2013 und 07.09.2013
braunschweiger-zeitung.de
abendblatt.de
eiswerk.de

3 Antworten

  1. Michael Baunacke sagt:

    Sieh an, sieh an.
    Mein Groß­va­ter sprach immer von einem Eis­teich, ganz in der Nähe, der Nor­den­ham­mer Stra­ße in Wuls­dorf. In den 70er Jah­ren waren auf die­sem ehe­ma­li­gen Eis­teich Schre­ber­gär­ten und eine Gärt­ne­rei zu sehen. Die Umran­dung des Teichs erin­ner­te an eine Kai­mau­er. Heu­te ist davon nichts mehr zu sehen.
    Das Kli­ma in die­ser Regi­on muß im Win­ter wesent­lich käl­ter gewe­sen sein. Anders laßen sich die vie­len Eis­tei­che in unse­rer Stadt auch nicht erklä­ren. Froh bin ich, nie an einer “Eis­ern­te” mit­ge­wirkt zu haben, Wir, die glück­li­che­re Gene­ra­ti­on (1958)!
    Schö­ne Berich­te. Bit­te wei­ter so.

    Gruß micha­el baunacke

  2. Francine Lauber sagt:

    Ab 1988 ver­an­stal­te­te der Unter­neh­mer die ers­te öffent­li­che Fisch­auk­ti­on, und er leg­te Eis…”

    DA MÜSSTE EIN ZAHLENDREHER SEIN .……

    • admin sagt:

      Dan­ke schön für den Hin­weis, da hat sich in der Tat ein Feh­ler­teu­fel ein­ge­schli­chen, es muss hei­ßen: “Ab 1888.…

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